Die Formel-1-Testfahrten in Bahrain werfen ihre Schatten voraus. Nur drei Tage lang werden sich die Teams auf die Saison 2023 vorbereiten können, halb so viele wie noch im Vorjahr. Es gibt also nur sehr wenig Zeit um die eigenen Problemzonen anzugehen und, falls möglich, bereits zu lösen. Doch nicht nur auf, sondern auch neben der Strecke könnten Dinge im Argen liegen. Motorsport-Magazin.com blickt auf alle zehn Rennställe und benennt die, unserer Meinung nach, größten Baustellen.
Die Großbaustelle: Gewicht
Bevor wir die Teams einzeln abhandeln, so müssen wir eine Sache ansprechen, die so gut wie alle betrifft. Die Lackierungen der Formel-1-Boliden wurden 2023 immer schwärzer, Mercedes trieb dies mit seinem 'Schwarzpfeil' auf die Spitze. Der Grund dafür ist klar: Gewichtsreduzierung. Kein Team scheint das Minimalgewicht von 798 Kilogramm problemlos erreichen zu können, daher wird sogar an der Lackierung gespart. Kein Team? Nicht ganz, denn ausgerechnet das gallische Dorf im Feld trotzt diesem Trend: Alpine hat ein Leichtgewicht gebaut. Für die anderen neun Rennställe gilt das Thema aber sehr wohl. Bevor wir das Gewicht also bei jeder Mannschaft einzeln erwähnen, fassen wir es lieber als die Großbaustelle der Teams zusammen. Von den Diäten der Formel-1-Boliden werden wir dieses Jahr eine Menge zu hören bekommen.
Red Bull: Die Windkanal-Strafe
Bei Red Bull eine Baustelle zu finden, ist schwierig. Die Baustellen des RB18 (Zuverlässigkeit, Untersteuern) wurden schon 2022 geschlossen. Dass sich der Zwist beider Piloten beim Brasilien Grand Prix noch auswirken wird, ist wohl auch eher unwahrscheinlich. Max Verstappens Position gegenüber Sergio Perez ist sportlich und teamintern zu dominant. Bleibt nur noch eine Sache, die Red Bull im Saisonverlauf auf die Füße fallen könnte: Reduzierte Windkanalzeiten. Als Konstrukteurs-Weltmeister steht ihnen ohnehin schon die geringste Zeit zur Verfügung, aber das Überschreiten des Budgetcaps 2021 hat ihnen noch einmal weitere 10% als Strafe gekostet. Red Bull wird im Update-Rennen und bei der Entwicklung des RB20 für 2024 also sehr effizient arbeiten müssen.
Ferrari: Die Zuverlässigkeit
Ferrari hatte 2022 mehr als nur eine Baustelle: Strategien, Boxenstopps, Fahrfehler, mangelnde Updates und die schwelende Frage nach einem Nummer-1-Piloten sind da zu nennen. Dennoch hat die Scuderia selbst ein Thema als das größte Problem benannt: Die Zuverlässigkeit. Im Vorjahr verlor Charles Leclerc zwei mögliche Siege durch Defekte am Motor. Carlos Sainz' fackelte der Dienstwagen in Österreich komplett ab. Dazu kamen zahlreiche Strafversetzungen aufgrund von Wechseln der Motoren-Komponenten. Ferrari ist sich seiner Schwäche bewusst. Besonders in der Motorenabteilung wurde hart an der Standfestigkeit gearbeitet. Nach nur drei Testtagen werden sicherlich noch Fragezeichen bleiben. Die Ziele sind trotzdem ambitioniert: Maranello will mit drei Motoren durch das Jahr kommen.
Mercedes: Erneute böse Überraschung verhindern
Letztes Jahr war Mercedes der Windkanalweltmeister. Laut dem Team hätten die Daten eine absolute Rakete versprochen. In der Realität verhielt sich der W13 auf der Strecke aber deutlich anders. Wie kein anderes Auto des Jahrgangs 2022 litt der Silberpfeil unter dem Porpoising-Phänomen. Bis Mercedes sein Auto verstand und einigermaßen gezähmt hatte, war der WM-Zug längst abgefahren. Trotz dieser Erfahrung haben die einstigen Serienmeister auch beim W14 an der aerodynamischen Grundphilosophie des Vorjahres festgehalten. Jetzt muss die Truppe von Toto Wolff beweisen, dass sie ihr Konzept wirklich verstanden haben und nicht erneut eine unberechenbare Diva gebaut haben. Fahrerisch ist die Paarung aus Superstar Lewis Hamilton und Toptalent George Russell zweifellos bereit für den Angriff auf den Titel.
Alpine: Zuverlässigkeit die Zweite
Wie Ferrari muss auch Alpine deutlich standfester werden. Manche mögen vielleicht Scherzen, dass technische Ausfälle Enstone zusammen mit Fernando Alonso verlassen haben könnten, hatte der Spanier 2022 doch den Großteil der Defekte zu beklagen. Dennoch ist das Problem evident: Alpine hat den Kampf um Platz Vier gegen McLaren im Vorjahr nur gewonnen, weil Daniel Ricciardo stark schwächelte. Die mangelnde Zuverlässigkeit des A522 sorgte dafür, dass sich das eigentlich schnellere Auto die ganze Saison über nie deutlich vom Konkurrenten aus Woking absetzen konnte. In Sachen Motor hatte Renault dabei den Nachteil, nur zwei Autos im Einsatz und daher auch weniger Daten zur Verfügung zu haben als die Konkurrenz. Esteban Ocon und Neuzugang Pierre Gasly werden hoffen, dass es den Franzosen trotzdem gelungen ist, die Standfestigkeit zu verbessern. Alpine selbst betont, dass die Motorenprobleme für 2023 gelöst seien. Leistungsmäßig war Renault bereits bei der Musik, dafür wurde 2022 auch ein Motoren-Trick von Mercedes kopiert.
McLaren: Zweiten Fall Ricciardo vermeiden
McLaren muss sicherlich auch in Sachen Pace zulegen, aber das größte Problem 2022 war die Form von Daniel Ricciardo, der mit dem MCL36 nicht ansatzweise zurechtkam. Der 'Honigdachs' wurde nun durch Landsmann Oscar Piastri ersetzt. Das Traditionsteam wird alles dafür tun müssen, dass sich das Supertalent besser einfindet als der achtfache Grand-Prix-Sieger. Eine erneute Saison mit effektiv nur einem punktenden Piloten (Lando Norris) kann sich die Truppe des neuen Teamchefs Andrea Stella im engen Kampf um die Mittelfeldspitze nicht leisten. Mit nur eineinhalb Tagen im Auto ist Piastris Eingewöhnungszeit vor der Saison denkbar knapp. Der 21-jährige wird seine ersten Rennwochenenden dazu nutzen müssen, um schnell auf Touren zu kommen.
Alfa Romeo: Neue Teamstruktur
Teamchef Frederic Vasseur hat Alfa Romeo Sauber in Richtung Ferrari verlassen, dafür kam Andreas Seidl von McLaren als neuer starker Mann nach Hinwil. Dieser ist aber Geschäftsführer der gesamten Sauber Gruppe und nicht der Nachfolger des Franzosen als Teamchef. Einen solchen gibt es bei Sauber nämlich nicht mehr. Alessandro Alunni Bravi hat nun die Rolle des sogenannten Teamrepräsentanten inne und übernimmt den Part der Öffentlichkeitsarbeit. Die weiteren Teamchefaufgaben sollen auf mehreren Schultern verteilt werden. Wie diese Struktur aussehen soll, hat uns Alunni Bravi in einem exklusiven Interview erklärt. Ob diese Aufgabenverteilung wirklich funktioniert und der Verlust Vasseurs kompensiert werden kann, wird sich erst im Saisonverlauf zeigen.
Aston Martin: Das Qualifying
Aston Martin hat wortwörtlich eine gewaltige Baustelle, denn zuhause in Silverstone soll in diesem Jahr die neue Fabrik des Teams fertig werden und der Umzug vonstattengehen. Diesen mit der laufenden Saison zu vereinbaren wird sicherlich eine Herausforderung. Sportlich gesehen war jedoch das größte Problem der grünen Renner im Vorjahr eindeutig das Qualifying. Der AMR22 brachte oft nicht genug Temperatur für eine schnelle Runde in die Reifen und Aston Martin machte sich so das Leben mit schlechten Startplätzen für das Rennen selbst schwer. Für den geplanten Angriff auf die Mittelfeldspitze muss Aston Dauergast im Q3 werden. Neuzugang Fernando Alonso war dies bereits im Vorjahr, allerdings am Steuer eines Alpine.
Haas: Die Update-Maschinerie anwerfen
Haas hatte im letzten Jahr viele Probleme, darunter auch mangelnde Konstanz und unnötige Unfälle der Piloten. Wesentlich war für die US-Ferraris aber auch die mangelnde Möglichkeit, im Technikrennen nachlegen zu können. Nur ein großes Update bekam der Haas VF-22 im gesamten Jahr 2022 spendiert. Der Grund dafür war klar: Das Team hatte einfach nicht genug Geld für mehr Entwicklungen. Dies sollte für 2023 aber anders aussehen. Dank eines neuen Sponsors operiert Haas nun am Budgetcap. Die Truppe von Günther Steiner muss nun also beweisen, dass sie auch während der Saison stark weiterentwickeln kann. Kevin Magnussen und Rückkehrer Nico Hülkenberg werden darauf hoffen.
AlphaTauri: Fahrerduo im Zaum halten
Auch bei der Scuderia aus Faenza ist einiges im Argen. Mangelnde Pace und fragwürdige Strategien können hier genannt werden. Das größte Fragezeichen dürfte aber hinter der Fahrerpaarung stehen. Mit dem Abgang von Pierre Gasly hat AlphaTauri als einziges Team keine sichere Bank mehr auf Fahrerseite. Yuki Tsunoda geht zwar in seine dritte Saison mit dem Team, doch zeigte sich der Japaner 2022 noch zu häufig fehlerhaft und impulsiv. Auch sein neuer Teamkollege Nyck de Vries ist als Radaubruder bekannt. Der niederländische Rookie hat sich mit seiner harten Gangart in der Formel-E nicht gerade Freunde gemacht, auch wenn er dort 2021 den Titel gewann. Franz Tost wird also zusehen müssen, dass bei seinem Fahrerduo nicht zu oft die Sicherungen durchbrennen.
Williams: Personeller Neuanfang
Eigentlich ist Williams eine einzige Großbaustelle. Ein Blick auf die Ergebnisse der letzten Saison genügt, um zu sehen, dass beim Auto deutlich zugelegt werden muss. Auch das Heranführen von Rookie Logan Sargeant an die Königsklasse wird 2023 eine wichtige Aufgabe. Doch das größte Ziel für Williams muss wohl sein, erst einmal die teaminterne Organisation wieder auf die Beine zu stellen. Ende letzten Jahres ging Teamchef Jost Capito und nahm auch gleich noch Technikchef François-Xavier Demaison mit. Als neuen Teamchef holte Groove überraschend James Vowles von Mercedes, der allerdings noch nie in dieser Rolle aktiv war. Der 43-jährige beginnt seine Arbeit beim Traditionsteam am heutigen Montag. Der Posten des Technikchefs ist weiterhin vakant. Vowles steht also eine Menge Arbeit bevor, das Team neu zu strukturieren und aus dem Keller zu führen.
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