Die Formel-1-Saison 2023 ist in vollem Gange. Obwohl seit den Testfahrten erst drei Rennen vergangen sind, hat sich die Ausgangslage an vielen Fronten stark gewandelt. Einige Teams überraschten in den ersten Grands Prix positiv, während andere hinter den eigenen Erwartungen zurückblieben. Was aber alle gemeinsam haben: Probleme, die es noch zu lösen gilt. Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick auf die größten Baustellen.

Red Bull: Der Teamfrieden

Sportlich gibt es bei Red Bull in der Formel-1-Saison 2023 nichts zu meckern. Der RB19 gibt erwartungsgemäß den Ton an, Sergio Perez und Max Verstappen konnten bislang alle Siege in dieser Saison unter sich ausmachen. Doch menschlich hapert es wohl zunehmend zwischen den beiden Red-Bull-Piloten - und das nicht erst seit Saisonbeginn. Schon 2022 kamen die Spannungen zwischen dem Duo auf, nachdem sich Verstappen in Brasilien weigerte, eine Teamorder zu befolgen. 2023 ging es weiter: In Saudi-Arabien stahl Verstappen seinem in Führung liegenden Teamkollegen die schnellste Rennrunde, und das, obwohl das Team zuvor beiden die Anweisung erteilte hatte, langsam zu machen. Dass Perez nun auch Ansprüche auf den WM-Titel stellt, ist natürlich wenig hilfreich. Falls der Mexikaner Verstappen noch regelmäßig fordern kann, könnte sich die Großwetterlage in Milton Keynes schnell erneut zuspitzen.

Aston Martin: Der Topspeed

Aston Martin war die große Überraschung der Winterpause. Plötzlich ist die Mannschaft aus Silverstone ein Topteam. Sämtliche Kritik für das Team ist also Jammern auf hohem Niveau. Dennoch hat sich in den ersten Rennen ein klarer Schwachpunkt abgezeichnet, der Fernando Alonso und Lance Stroll im Laufe des Jahres noch wertvolle Punkte kosten könnte. Es handelt sich um die Spitzengeschwindigkeiten. Der AMR23 ist nach dem McLaren das zweitlangsamste Auto im Feld, Überholen war und ist deshalb äußerst schwierig. Fernando Alonso zeigte in Bahrain, dass es geht, aber selbst in seinem zu diesem Zeitpunkt deutlich schnelleren Boliden musste er eine kreative Überholstelle finden. Bei einem Blick in die Daten ist zudem auffällig, dass der DRS-Vorteil bei keinem Wagen so gering ausfällt wie beim Aston.

Mercedes: Das "Konzept"

Australien war ein Befreiungsschlag für Mercedes. Doch dieses eine Rennen kann nicht über das bestimmende Thema des Saisonstarts hinwegtäuschen. Die ehemals dominante Mannschaft der Formel 1 verzweifelt am Konzept des W14. Das beginnt bereits beim Wording. Toto Wolff bezeichnete bereits beim Auftakt-GP in Bahrain das Mercedes-Konzept als gescheitert. Seitdem versuchte der Rennstall gekonnt Fragen nach dem Fahrzeug-Konzept zu umschiffen, indem man auf die Frage auf die Goldwaage legte, was der Begriff "Konzept" überhaupt bedeutet. Unabhängig von der Antwort steht allerdings fest, dass nach der April-Pause große Upgrades kommen werden. Ob damit auch die kaum existenten Seitenkästen durch eine etwas herkömmlichere Bauweise abgelöst werden, wird sich zeigen.

Ferrari: Das Reifenmanagement

Großer Umbruch im Winter. Mit Frederic Vasseur an der Spitze sollte es bei Ferrari besser werden. Doch auch nach dem Führungswechsel plagt die Scuderia eine Flut an Problemen. Und so gut wie alle kennen wir aus dem Vorjahr. Neben dem vermeintlich gebändigten Defekt-Teufel, der bereits in Bahrain jedoch wieder zuschlug, bereiten die Reifen Kopfzerbrechen. In Bahrain war der Reifenverschleiß von Ferrari zu hoch, in Saudi-Arabien brachte man die Hards nicht auf Temperatur. In Australien waren Red Bull, Mercedes und Alonso auch ohne offenkundige Reifenprobleme der Scuderia einen Schritt voraus. Die Mannschaft aus Maranello muss in der Aprilpause viele Hausaufgaben erledigen.

McLaren: Das Auto

Die Formel-1-Saison 2023 ist zwar noch jung, bei McLaren kostete sie allerdings schon Technik-Chef James Key den Job. Nachdem man sich im Vorjahr im Laufe der Saison von einem Fehlstart erholen konnte, ging es in diesem Jahr noch schlechter los. Erst in Australien holte das Team die ersten Punkte. Ähnlich wie bei Alpine ist auch in diesem Fall eine Reihe an Gründen für die Misere verantwortlich, ein Hauptproblem ist aber das Auto und sein Fahrverhalten. Lando Norris beklagte sich nach dem Australien-Qualifying über das Handling des MCL60, welches es ihm nicht erlaubte, bis ans Limit zu gehen. Teamchef Andrea Stella bestätigte, dass das Auto sehr schwierig zu fahren sei. Die Technik-Probleme und der mangelnde Topspeed tragen noch zu den Sorgenfalten des Teams bei.

Alpine: Chancenverwertung

Bei Alpine ist es schwer eine einzelne Baustelle auszumachen. Das Ziel vor der Saison, Platz 4 in der Konstrukteurs-WM zu belegen, ist schon früh zum Scheitern verurteilt, allerdings brach das Team nicht so stark ein, wie es etwa bei Vorjahres-Konkurrent McLaren der Fall ist. Pacemäßig liegt man durchschnittlich irgendwo zwischen den Topteams und dem Rest des Feldes. In der WM rangiert Alpine aber hinter McLaren nur auf Rang 6. Das ist wohl das größte Problem: Man kann über ein Wochenende das eigene Potenzial nicht abrufen. Die Ursachen sind vielfältig: Strafen, wie bei Esteban Ocon in Bahrain, Unfälle wie in Australien oder einfach nur allgemein schlechte Leistungen wie Pierre Gasly im Bahrain-Qualifying. Nur in Jeddah erfüllte man das Soll. Bei vier Topteams bleiben aber in der Regel nicht viele Punkte über, um den Unterschied zu machen.

Haas: Kevin Magnussen

Was im letzten Jahr Mick Schumacher war, ist 2023 Kevin Magnussen. Der Däne war auf den ersten Metern der neuen Saison klar die Schwachstelle bei Haas. Bislang vergingen zwar nur drei Rennen, aber bereits im Vorjahr ging seine Leistungskurve mit Ausnahme der Brasilien-Pole gegen Saisonende begleitet von zahlreichen kleineren Zwischenfällen zunehmend nach unten. 2023 setzte er nicht zuletzt durch den Melbourne-Unfall diesen Trend fort. Rückkehrer Nico Hülkenberg hat den ehemaligen IMSA-Piloten vor allem im Qualifying mit durchschnittlich über einer halben Sekunde Vorsprung im Griff. Im Rennen war es ebenfalls nur der Deutsche, der um Punkte mitkämpfe. Noch befinden wir uns zu früh in der Saison, um ernsthaft Fahrer-Entscheidungen zu debattieren. Aber falls Magnussen nicht im Laufe der Saison das Ruder herumreißt, muss er wohl um seinen Vertrag zittern.

Kevin Magnussen im Kies: Ein Sinnbild für seinen Saisonstart, Foto: LAT Images
Kevin Magnussen im Kies: Ein Sinnbild für seinen Saisonstart, Foto: LAT Images

Alfa Romeo: Das Qualifying

Nach den Testfahrten lagen relativ hohe Erwartungen auf dem Alfa C43. Erfüllen konnte das Auto sie nicht. Im äußerst engen Mittelfeld entscheiden Kleinigkeiten. Vor allem eine Schwäche wurde auf den ersten GPs augenscheinlich: Im Qualifying fehlen Valtteri Bottas und Guanyu Zhou noch etwas Körner. Gemeinsam mit AlphaTauri ist die Truppe aus Hinwil das einzige Team, das noch nie ins dritte Qualifying-Segment einziehen konnte. Auch im Rennen konnten Alfa Romeo noch keine außergewöhnlich starken Leistungen abspulen. Mit einer guten Startposition wäre es im engen Kampf deutlich einfacher.

AlphaTauri: Das Vertrauen

"Während des Winters haben sie mir gesagt, dass das Auto fantastisch ist und dass wir einen großen Fortschritt machen. Dann kommen wir nach Bahrain und wir sind nirgendwo. Ich vertraue ihnen nicht mehr". Ein Team, in dem das der Teamchef über die eigenen Ingenieure sagt, hat wohl größere Probleme als nur ein langsames Auto. Bei AlphaTauri hängt der Haussegen etwas schief und das ist nach diesem Saisonstart wenig verwunderlich. Yuki Tsunodas einziger Punkt kam unter glücklichen Umständen zustande, ansonsten stünde noch die Null. Q3 erreichte man in diesem Jahr noch nie. Nyck de Vries gab im Vergleich der drei Formel-1-Rookies bislang das wohl schlechteste Bild ab. Im engen Mittelfeld benötigt das Auto dringend Upgrades, um regelmäßig um weitere Punkte fahren zu können. Aber zuallererst muss wohl wieder das Vertrauen innerhalb des Teams wiederhergestellt werden.

Williams: Die Struktur

Williams sah bei den Tests in Bahrain noch wie das abgeschlagene Schlusslicht aus. Selbst Alex Albon war davon überzeugt. Die geringen Erwartungen konnte der FW45 aber übertreffen, auch wenn er größtenteils im hinteren Mittelfeld beheimatet ist. Vor allem der Topspeed erweist sich als große Stärke im Zweikampf und auch die Qualifying-Pace ist konkurrenzfähig. Alex Albon zeigte in Bahrain und in Australien was im Auto steckt - bevor er es im Reifenstapel versenkte. Kurzfristig geht es erstmal um den Kampf gegen die rote Laterne. Doch wie schon zu Saisonstart hat vor allem ein Ziel Priorität: Die Modernisierung und Neuaufstellung des Teams. Der neue Teamchef James Vowles kritisierte bei Dienstantritt, dass das Team noch keine Struktur habe. Für langfristigen Erfolg muss sich das ändern.