In China lag die ganze Formel 1 nicht zum ersten Mal bei der Strategie komplett daneben. Weder Pirelli noch die F1-Teams erkannten für das Rennen die Einstopp-Zeichen. Motorsport-Magazin.com erklärt in der Renn-Analyse nicht nur, wie das schon wieder passieren konnte - sondern prüft auch, ob dieser Fehlgriff George Russell, Charles Leclerc oder Lando Norris gar um den Sieg brachte.

Für alle begann das Problem lange vor dem Start des China-Wochenendes. Erstens: China wurde für 2025 neu asphaltiert. Zweitens: Pirelli modifizierte die Reifen-Mischungen für 2025, um sie robuster zu machen. Beim C2-Reifen - in China als Hard mit dabei - wurde besonders viel geändert. Die Teams bekamen mit ihren neuen Autos nur beim Bahrain-Test C2-Daten. Und der neue Asphalt war sowieso eine komplette Unbekannte.

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Dürftige Datenlagen sind besonders an Sprint-Wochenenden ein Problem. Trotzdem fuhr im einzigen Training kein einziges Team den Hard. Das kann nämlich ein strategisches Desaster sein. Es gibt nur zwei Hard-Sätze pro Fahrer. Findet man im Training hohe Abnutzung vor, hat man sich mit einem Hard-Longrun bereits am Freitagmittag um die beste Strategie - Medium-Hard-Hard - gebracht.

Wohin verschwanden die Reifen-Probleme der F1 in China?

In China schien so ein Szenario der hohen Abnutzung einzutreten. Training und Sprint zeigten beim Medium-Reifen besonders im Verkehr sehr schnell aufbauendes Graining auf der Oberfläche der Vorderreifen. Bei den langen Kurven nicht überraschend. Der neue Asphalt bot außerdem sehr viel Grip, aber auch einen sehr schnellen Haftungsverlust. Durch das hohe Tempo bauten die Reifen schneller ab als erwartet.

Aber je länger das Wochenende dauerte, desto mehr F1-Gummi wurde auf den Asphalt gepresst. Die Lage stabilisierte sich. Weiters entschärften die Teams nach dem Sprint ihre Setups, entlasteten die Vorderachse. Am Sonntagnachmittag kam das Wetter zu Hilfe. Es war bewölkt, der Asphalt kühlte bis Rennende auf 30 Grad ab. Im letzten Stint war er damit fast zehn Grad kühler als im Sprint.

Eine Liniengrafik aller F1-Strategien im Rennen von China
Die Strategien bei der Formel 1 in China, Foto: Pirelli

"Schon auf dem Medium war es einfacher als im Sprint", so Rennsieger Oscar Piastri. Als man dann beim ersten Stopp endlich zum ersten Mal den Hard aufzog, folgte sehr bald die Erkenntnis: "Viel besser als wir alle erwartet hatten." Piastri begann gegen Runde 25 ernsthaft in Erwägung zu ziehen, dass der Hard bis zum Ende halten würde.

George Russell träumt noch früher von Einstopp - war das eine Sieg-Chance?

Über zehn Runden vor Piastri hatte schon der drittplatzierte George Russell das Rennen zur Einstopp kippen gespürt. Russell war auch 2024 beim Belgien-GP einer von nur zwei Fahrern gewesen, der eine vergleichbare Situation früh genug erkannt hatte. In China holte die Mercedes-Box ihn aber in Runde 14 rein, um einen Undercut-Angriff der beiden hinter ihm liegenden Ferraris zu unterbinden und zugleich Piastri und Lando Norris zumindest unter Druck zu setzen.

Die Frage stellt sich: Hätte Mercedes wie vor Monaten damals in Belgien auf den Fahrer hören und ihn für eine besser eingeteilte Einstopp-Strategie mit einem längeren ersten Stint draußenlassen sollen? Die Theorie dahinter ist, dass man im zweiten Stint dann auf der sicheren Seite ist und leichter pushen kann, während die Fahrer, die weit über 30 Runden auf dem Hard fahren müssen, mit viel Reifenmanagement ins Ungewisse starten und womöglich trotzdem hintenraus einen Einbruch erleiden. In China sah die Realität aber so nicht aus.

Zuerst einmal brachte der Wechsel von Medium auf Hard einen klaren Pace-Sprung mit. Am Start mit vollen Tanks und im Verkehr wurde der Medium nämlich im Schnitt bei allen Fahrern der Spitzengruppe pro Runde um eine halbe Zehntel langsamer. Lance Stroll zeigte weiter hinten zwar einen beeindruckenden 36 Runden langen ersten Stint - aber auf Hard. Trotzdem wurde er pro Runde nur eine halbe Zehntel schneller.

Wäre Russell draußengeblieben, hätte er mit Sicherheit zwei Plätze an Ferrari verloren. Und die Theorie, sich die dank dann 10 Runden frischerer Reifen einfach zurückholen zu können, ging in China nicht auf. Der Hard-Reifen war tatsächlich so robust, dass er bis zum Ende nicht einbrach. Zu glauben, dass Russell über die letzten 30 Runden beide Ferrari überholen und dann noch McLaren gefährden könnte, ist illusorisch.

Einstopp-Opfer Charles Leclerc: Sieg-Potenzial steckte im Ferrari!

Für Charles Leclerc hatte der Schwenk auf die Einstopp ganz andere Konsequenzen. Ferrari hatte offenbar in China äußerst knapp mit dem Gewicht kalkuliert und war von zwei Stopps ausgegangen. Das Auto wird aber nach dem Rennen mit dem letzten Reifen gewogen. Bei einem so langen Stint kann der verlorene Gummi weit über ein Kilo pro Reifen ausmachen. Auf der Waage fehlten dem SF-25 ein Kilo. Disqualifiziert.

Davor war Leclercs Pace teilweise sensationell, obwohl er sich in der ersten Kurve den Frontflügel bei einer unglücklichen Situation an Lewis Hamilton abgefahren hatte. Zeitweise war Leclerc zur Rennmitte schnellster Mann: "Aber ich habe mir die Vorderreifen vernichtet. 30 Punkte weniger Abtrieb ist eine Menge." Hintenraus brach er ein, nachdem er am Überholen von Russell gescheitert war, und verlor noch auf der Strecke den vierten Platz an Max Verstappen.

"Ehrlich gesagt hatten wir die Pace, um mit den Jungs vorne, also mit den McLaren zu kämpfen", ist sich Leclerc sicher, dass Setup-Änderungen nach dem Sprint ein Durchbruch waren. Es war nur einmal wieder ein andernorts verhunztes Rennen. Mit dem kaputten Flügel, der den Reifenverschleiß erhöhte. Mit dem schlechten Qualifying, wegen dem sich Leclerc hinter einem mit dem Setup falsch abgebogenen Lewis Hamilton wiederfand.

Eventuell hätte Leclerc eine frühere Teamorder gegen Hamilton geholfen. Der hielt den vierten Platz bis Runde 21. Die Teamorder musste Hamilton ins Spiel bringen, Ferrari schien trotz sichtlich besserer Leclerc-Pace nicht von sich aus eingreifen zu wollen. Wäre das Rennen als klassisches Zweistopp-Rennen über die Bühne gegangen, so wäre Leclerc der Disqualifikation wohl entgangen, und mit einem heilen Frontflügel erst recht brandgefährlich gewesen.

Wo ging der China-Sieg von Lando Norris verloren?

Im Einstopp-Szenario blieb aber nur Lando Norris als ernsthafter Gegner für Oscar Piastri übrig. McLaren hatte nach dem Sprint alles richtig gemacht, um ein etwas anfälliges Auto perfekt abzustimmen. "Auch haben wir viel mit den zwei Fahrern gearbeitet, um den Fahrstil anzupassen", sagt Teamchef Andrea Stella. Norris nahm mehr von Piastri mit, der sich mit der Handhabung der Vorderachse hier in China deutlich leichter tat.

So dominierte McLaren das Rennen zwar nicht, aber man hatte einen Puffer. Man hatte den ewig langen Hard-Stint von Lance Stroll im Auge, man sah Mercedes, die über die Einstopp nachdachten, man sah die eigenen Reifenabnutzungsdaten, und hatte den Spielraum, um im Mittelteil beide Fahrer zu zügeln: "Beide verstanden, dass das eine Phase war, wo hartes Pushen keinen Sinn machte. Das Ende war noch weit weg und unsicher."

Norris bemühte sich redlich, nach einem schwachen Qualifying dieses Szenario jetzt zu seinen Gunsten zu drehen. Im Mittelteil ließ er sich zurückfallen und passte mit Sicherheitsabstand seine Pace äußerst präzise an Piastri an. "Jedenfalls wollte Lando schauen, ob er genügend Pace hatte, um Oscar anzugreifen", meint Stella. "Und Oscar sparte seine Reifen, um zu zeigen, dass er heute der Schnellere war."

Das Belauern der beiden war äußerst taktisch. Das Team musste sie schließlich auffordern, kurz vor der Schlussphase die Pace anzuziehen, um für den Fall eines zweiten Stopps von Russell oder Leclerc aus dem Undercut-Fenster herauszufahren. Als Norris dann den Stift zog, gab aber seine Bremse nach. Statt Angriff musste er ein wundes Auto ins Ziel schleppen.

"Die Pace unserer zwei Fahrer war sehr ähnlich", lässt sich Stella zu keiner Schlussfolgerung hinreißen. Aber selbst der Teamchef hätte den Showdown in den letzten zehn Runden gerne gesehen: "Wäre interessant gewesen, wenn beide gepusht hätten."