Nach zwei Rennen gehört es in der Formel 1 zum guten Ton, die Funksprüche von Ferrari nach dem Rennen zu verreißen. In China erneut: Rundenlange Debatten um Teamorder, und Fahrer, die sich über ihre Renningenieure echauffierten. Als Teamchef Fred Vasseur danach vor die Presse tritt, platzt ihm bei den Nachfragen aber der Kragen. Die F1-Regie scheint bewusst das Bild zu verzerren.

"Das ist ein Witz!", ärgert sich Vasseur vor allem am Sonntagabend in China über die Darstellung der Teamorder durch die TV-Regie. Die hatte ab Runde 20 mehrmals Funksprüche eingespielt, wie der zu Rennbeginn auf Platz vier mit seiner Pace hadernde Lewis Hamilton aufgefordert wurde, den schnelleren Charles Leclerc vorzulassen, bis hin zu einem patzigen Leclerc-Funkspruch, als das lange nicht passierte.

Problem nur: Ganz so wie von der Regie dargestellt lief es nicht ab. "Der erste Call kam von Lewis", empört sich Vasseur. Tatsächlich zahlt es sich aus, die ganzen Ereignisse und das Funkprotokoll bei der Ferrari-Teamorder aufzurollen.

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Das Szenario spitzte sich nach dem frühen Boxenstopp zu, als beide Fahrer im Mittelfeld-Verkehr eng zusammenkamen. In Runde 17 versuchte Leclerc in Kurve 14 Hamilton ohne Teamanweisung zu attackieren, aber auch Hamilton vor ihm hatte da DRS offen, denn er überholte den noch nicht gestoppten Carlos Sainz. Leclerc steckte kurz vor dem Scheitelpunkt zurück.

Die beiden Ferrari mit Lewis Hamilton vor Charles Leclerc
Die Ferraris fuhren am Sonntag in China anfangs hintereinander, Foto: IMAGO / DeFodi Images

Hamilton, zugleich mehrmals ermahnt, in schnellen Kurven auf die Reifen aufzupassen, wurde an diesem Zeitpunkt klar, dass Leclerc hinter ihm um einiges schneller konnte. Nur wenige Kurven später fragte er freiwillig bei seinem Renningenieur Riccardo Adami an, ob er Leclerc vorbeilassen sollte. Das komplette Funk-Protokoll zwischen Hamilton und Adami, sowie zwischen Leclerc und seinem Ingenieur Bryan Bozzi liest sich wie folgt:

Runde 18
nach Kurve
5HAM: Ich denke, ich lasse Charles durch.
Ich habe zu kämpfen.
Adami: Verstanden.
Manage die Reifen in schnellen Kurven mehr.
11Bozzi: Wir werden die Autos in Kurve 14 tauschen.
13Adami: Wir tauschen die Autos in Kurve 14. 1-4.
Bozzi: Lewis wird dich in Kurve 14 durchlassen.
16Adami: Diff-Mid 3 Vorschlag.
Runde 19
5Adami: George vorne Zeit 38,8.
13Adami: Wir tauschen Autos Kurve 14.
HAM: Wenn er näherkommt, ja.
Bozzi: Wir werden die Autos in Kurve 14 tauschen.
16HAM: Kriegen wir die Jungs vorne nicht kann er uns [???].
Besser so.
Runde 20
5HAM: Jetzt hole ich etwas auf.
Adami: Okay, verstanden.
13Adami: Wir wollen diese Runde tauschen, jetzt tauschen.
HAM: Ich sage dir, wenn wir tauschen.
Ich sag' es dir.
LEC: Machen wir oder machen wir nicht?
Bozzi: Ja, wir machen jetzt.
Das wurde ihm gesagt.
16LEC: Das ist mies. Die Pace ist da.
Runde 21
HAM lässt LEC durch.
5Bozzi: Sehr gut. Sorry. Weiter pushen.

Bis zum Platztausch in Runde 21 passierte einiges. Hamilton brachte die Idee selbst ein, zog sie trotz einer sehr schnellen Reaktion der Boxenmauer aber halb zurück, nachdem er beim ersten Mal die Anweisung nicht erfüllte. Warum? Weil er erneut DRS hatte. Diesmal überholte er Lance Stroll. Wichtig ist auch Adamis Mitteilung der Zeit von George Russell. Diese Zeit war nämlich in diesem Moment eine Sekunde langsamer als Hamiltons letzte Zeit.

Die Ferrari-Box aber sah, dass der Rundenzeitenvergleich durch Verkehr und DRS hinkte, dass Hamilton in freier Fahrt langsamer als Leclerc war, und beharrte nun auf den Platztausch. Für Leclerc, der nur einen Bruchteil dieser Informationen hatte, staute sich zwar etwas Frust an, aber nur Sekunden nachdem er diesen Frust am Funk abließ, nahm Hamilton vor ihm raus. Danach schien für alle Beteiligten die Angelegenheit erledigt.

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"Auf der Boxenmauer wussten wir den Call von Lewis zu schätzen", sieht Vasseur in der ganzen Situation kein Drama. "Es hat eine Runde gebraucht, bis wir ihn fragten. Dann war seine Pace wieder da, er meinte er würde so bleiben, dann war die Pace nicht wieder da, und wir tauschten. Ganz ehrlich: Für uns als Team ist die Zusammenarbeit der zwei Jungs mega! Ich will mich keine Sekunde darüber beschweren."

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"Aber um eine Show abzuziehen und Chaos rund um die Situation zu verursachen, spielen sie nur den zweiten Teil der Frage ein", ärgert sich Vasseur und kündigt an: "Das werde ich mit denen absprechen." Schon in Australien hatte die Regie ein Faible für Hamilton-Funk und biss sich an seinen irritierten Antworten gegenüber Adami bei diversen Vorschlägen fest.

Hamilton hatte das am Donnerstag in China bereits scharf kritisiert. Dass man ihm und Adami eine Problembeziehung angedichtet hatte, nur weil Hamilton bei selektiven Funksprüchen sich über Adamis Vorschläge des schärferen K1-Hybridmodus beschwerte.

Vasseur ergänzt: "Ich will es euch nicht anlasten, aber ihr habt da eine riesige Story draus gemacht. Von diesem 'riesigen Chaos' zwischen Lewis und seinem Ingenieur. Als Lewis ins Briefing kam, sagte er zu seinem Ingenieur: 'Guter Job.' Aber weil sie K1 diskutieren, und wegen 'Sprich nicht mit mir, wenn ich kämpfe', fragen mich alle: 'Oh, ist das ein Chaos?' Nein, so läuft das im Leben."