In Ausgabe 77 unseres Printmagazins schrieben wir von Red Bulls Schicksalsjahren. Damals, am 11. Februar 2021, hatte die Formel-1-Kommission den Motoren-Freeze bis 2025 beschlossen. Fünf Tage nach der Entscheidung wurde die Firma 'Red Bull Powertrains' ins britische Handelsregister eingetragen. Der eigene Motor war das letzte Puzzleteilchen, das Red Bull in der Formel 1 noch fehlte. Ab 2026 fährt der Brausehersteller mit eigener Power Unit.

Der inzwischen verstorbene Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz erfüllte sich damit einen Traum - allerdings nicht aus freien Stücken. Seit der Turbo-Hybridära 2014 haderte der Rennstall mit seinem Schicksal. Zunächst musste man mit wenig konkurrenzfähigen Renault-Motoren fahren. 2019 bekam man mit dem Honda -Triebwerk nicht nur einen guten Motor, sondern Werksstatus. Allerdings kündigten die Japaner am 2. Oktober 2020 ihren Rückzug aus der Formel 1 an.

Honda gibt Comeback als Formel-1-Motorenhersteller

Ab 2026 wird Honda Aston Martin mit Motoren ausstatten, Foto: LAT Images
Ab 2026 wird Honda Aston Martin mit Motoren ausstatten, Foto: LAT Images

Zweieinhalb Jahre später, am 24. Mai 2023, gab Honda das Comeback bekannt: Ab 2026 wird Aston Martin zum Honda-Werksteam. Es ist eine verrückte Geschichte, die nur die Formel 1, Honda und zwei milliardenschwäre Visionäre schreiben können. Honda, weil die japanische Traditionsmarke ein gutes Gespür für schlechtes Timing hat. Insgesamt viermal ist man aus der Formel 1 ausgestiegen.

Der Super-GAU war Ende 2008, als man das erfolgslose Werksteam an Ross Brawn übergab - und der 2009 Weltmeister wurde und das Team ein Jahr später für viel Geld an Mercedes weiterverkaufte. Auch der Ende 2020 angekündigte Ausstieg kam zur Unzeit: In der letzten Werks-Saison 2021 wurde Max Verstappen Weltmeister. Der Motoren-Freeze sorgte dafür, dass Red Bull die Honda-Triebwerke noch bis 2025 als Kunde beziehen kann.

Die anhaltenden Erfolge und der Boom der Königsklasse ließen Tokyo wieder Blut lecken. Dazu konnte man sich mit dem neuen Motorreglement, das 2026 in Kraft tritt, anfreunden. Weil der Elektro-Anteil von 120 auf 350 Kilowatt ansteigt und gleichzeitig E-Fuels eingesetzt werden, ist das Thema Formel 1 aus Umwelt-Sicht wieder zu verkaufen. Außerdem gibt es inzwischen auch eine Budgetobergrenze für Motorenhersteller. Somit ist die finanzielle Nachhaltigkeit sichergestellt.

Red Bull: Deshalb scheiterte eine Kooperation mit Honda

Red Bull und Honda konnten sich für 2026 nicht einigen, Foto: Red Bull Content Pool - Mark Thompson
Red Bull und Honda konnten sich für 2026 nicht einigen, Foto: Red Bull Content Pool - Mark Thompson

Während Hondas Schlingerkurs hatte aber ein visionärer Milliardär die Weichen schon für 2026 gestellt. Dietrich Mateschitz ließ am Campus in Milton Keynes Halle sieben für Red Bull Powertrains bauen. Für sündhaft teure Prüfstände und hunderte Motoreningenieure, die von der Konkurrenz abgeworben wurden, gab er ein Vermögen aus. "Um nicht wieder in Abhängigkeit zu geraten, wurde dieser mutige und auch teure Entschluss, gefasst", erklärt Red Bulls Dr. Helmut Marko.

Als Honda wieder Interesse zeigte, war der Zug bereits abgefahren. "Es hat dann auch Gespräche über eine mögliche Kooperation gegeben, aber da konnten wir uns - wer was macht - mit Honda nicht einigen", so Marko. Red Bull hatte bereits so viel investiert, dass man das Powertrains-Projekt nicht stoppen konnte. Gleichzeitig wollte sich Honda bei einer Kooperation technisch intensiv einbringen - anders als Ford, das ab 2026 eher Marketing-Partner von Red Bulls Motor ist.

Eigentlich wollten sowohl Red Bull, als auch Honda 2026 wieder gemeinsame Sache machen. Aber für beide ging es nicht mehr. Für Red Bull, weil man bereits zu viel investiert hatte, für Honda, weil man mehr sein wollte als Sponsor. Bei Red Bull sieht man die Geschichte mit einem lachenden und einem weinenden Auge.

"Es war sicherlich eine teure Entscheidung", gibt Teamchef Christian Horner zu. "Aber langfristig ist es so, dass wir als Red Bull aus einer Kunden-Situation herausgewachsen sind. So können wir die Synergien nutzen, die man durch die volle Integration der Power Unit in das Chassis hat. Die Vorteile sind signifikant. Wir hätten diesen Sprung ohne Hondas Ausstieg nicht machen können - deshalb sollten wir für diesen Push dankbar sein."

Aston Martin: Vom Kundenteam zum Werksteam

Aston Martin-Fahrer Fernando Alonso
Aston Martin bezieht den Motor, das Getriebe und die Hinterachse von Mercedes, Foto: LAT Images

Profiteur von Hondas schlechtem Timing und Red Bulls ambitioniertem Plan ist ein anderer visionärer Milliardär: Lawrence Stroll. Der Kanadier übernahm 2018 den finanziell angeschlagenen Rennstall Force India. Über die Zwischenstation Racing Point wurde der Rennstall 2021 zu Aston Martin. Zunächst Sebastian Vettel, dann Fernando Alonso: Die Fahrer zeigen, welch große Pläne Stroll mit dem Team hat.

Inzwischen steht schon eine komplett neue Fabrik in Silverstone, das Team zog erst kürzlich in den neuen Campus ein. Auch ein eigener Windkanal entsteht - bislang nutzt Aston Martin den Windkanal von Mercedes. Motor und Getriebe kommen ebenfalls von der Marke mit dem Stern. Doch damit ist 2026 Schluss. Aston Martin will sich emanzipieren. Und so entsteht neben Mercedes, Ferrari, Alpine, Red Bull und Audi ein sechstes Werksteam.

Honda-Motoren exklusiv für Aston Martin

Honda will keine Kundenteams mit Motoren beliefern, Foto: LAT Images
Honda will keine Kundenteams mit Motoren beliefern, Foto: LAT Images

Bis mindestens 2030 wird Aston Martin Hondas Werksteam sein. Zwischenzeitlich liebäugelte Stroll schon mit einem eigenen Motor á la Red Bull, doch Investment und Vorlaufzeit für ein solches Projekt sind gigantisch. Und dann kam Honda wie gerufen. Für Honda hingegen kam Aston Martin wie gerufen. Die Japaner wollten 2026 unbedingt wieder mit dabei sein. Nur brauchte man nach dem Red-Bull-Nein einen neuen Partner.

Mit Williams, McLaren, Aston Martin, AlphaTauri und Haas war der Markt überschaubar. Mit einem eigenen, neuen Team einzusteigen, ist aus zwei Gründen schwierig: Einerseits müsste ein komplett neues Team aufgebaut werden, andererseits braucht man einen Startplatz. Also blieben nur die Kundenteams übrig. AlphaTauri fiel als Red Bulls Schwesterteam weg.

Mit McLaren hatte man in jüngerer Vergangenheit bereits äußerst schlechte Erfahrungen gemacht. Williams als WM-Letzter und Haas als Mini-Team waren ebenfalls nicht gerade lukrative Partner für einen Weltkonzern wie Honda. Da kamen Aston Martins Aufwärtstrend und die ambitionierten Ziele von Lawrence Stroll genau richtig.

Aston Martin: Mercedes würde uns einschränken

Ein Team, das einst die Leasingkosten für die Motoren nicht bezahlen konnte, wird zum Werksteam. Es geht Aston Martin nicht darum, den Motorenhersteller zu wechseln, mit Mercedes ist man die letzten Jahre gut gefahren. "Sie wollen sich emanzipieren und ein echtes Werksteam werden", weiß auch Mercedes Motorsportchef Toto Wollf.

Aston Martin Teamchef Mike Krack bestätigt: "Wir bekommen von Mercedes ein sehr starkes Produkt, das uns im Moment nicht einschränkt. Aber bei der Komplexität der 2026er Regeln würde es uns mehr einschränken." Schon heute geht es bei den Power Units um mehr als nur Leistung. Nachdem es in den ersten Jahren der Turbo-Hybrid-Ära Diskussionen über gedrosselte Kunden-Aggregate gab, hat die FIA im Reglement sichergestellt, dass alle Motoren eines Herstellers identisch sein müssen und mit den gleichen Parametern betrieben werden müssen.

Mit dem Mercedes-Komplettpaket ist ab 2026 Schluss, Foto: Motorsport-Magazin.com
Mit dem Mercedes-Komplettpaket ist ab 2026 Schluss, Foto: Motorsport-Magazin.com

Leistungs-Nachteile gibt es für Kundenteams schon länger nicht mehr. Trotzdem ist es ein Vorteil, den Motor selbst zu bauen. Schließlich sind die Power Units extrem komplex und müssen samt ihren zig Kühlsystemen ins Fahrzeugkonzept optimal integriert werden. "Die Ziele, die sich Lawrence steckt, sind nie klein. Wenn du konkurrenzfähig sein und Meisterschaften gewinnen willst, dann musst du diesen Schritt machen", glaubt auch Wolff.

Werksteams haben Vorteile in der Formel 1

Die Integration per se wird zwar etwas einfacher, weil die MGU-H wegfällt. Dafür werden die Motor-Mappings zukünftig noch deutlich entscheidender. Der Verbrennungsmotor macht nur noch knapp 55 Prozent der Systemleistung aus. Mehr als 45 Prozent kommen vom Elektromotor. Heute wird die Kurbelwelle mit weniger als 20 Prozent der Systemleistung vom Elektromotor unterstützt. Um die zusätzliche Elektro-Power bereitstellen zu können, muss die MGU-K mehr rekuperieren.

9 Megajoule pro Runde darf sie einspeisen, die Batteriekapazität bleibt aber bei 4 Megajoule. Derzeit darf die MGU-K pro Runde maximal 2 Megajoule einspeisen. Entsprechend kompliziert wird 2026 das Management der Leistungsabgabe. Die Rundenzeit-optimierte Energieabgabe wird noch deutlich komplexer - und hat vor allem auch einen großen Einfluss auf die Chassis-Abteilung.

Fernando Alonso vor Aston Martin-Teamkollege Lance Stroll
Als Werksteam will Aston Martin die Vorteile ausschöpfen, Foto: LAT Images

"Man braucht viel mehr und viel früher Informationen über das Energiemanagement, weil man wissen muss, welche Aerodynamik-Konfiguration man braucht. Bei den neuen Regeln ist es ein großer Vorteil, ein Werksteam zu sein, um sich da die richtigen Ziele zu setzen", erklärt Mike Krack. Für die Rundenzeit ist es am sinnvollsten, die Energie am Anfang der Geraden in den Beschleunigungsphasen abzugeben.

Später segeln die Autos dann mit den gut 500 Verbrenner-PS. Wo, wie lange und wie stark der E-Boost eingesetzt wird, ist für das Aero-Setup maßgeblich. Für die Optimierung müssen Chassis- und Motorenabteilung im stetigen Austausch sein. Auch deshalb gibt es Überlegungen, Honda-Personal am Aston-Martin-Gelände in Silverstone zu haben. Eine Entscheidung darüber ist aber noch nicht gefallen.

Mehr Geld und Freiheit: Aston Martin muss eigenes Getriebe bauen

Ein weiterer Faktor ist das Getriebe. Aktuell bekommt Aston Martin Motor und Getriebe von Mercedes. Red Bull bekommt zwar die Motoren von Honda aus Sakura, baut aber ein eigenes Getriebe. Aston Martin wird sich auch hier von Mercedes entkoppeln und eine komplett eigene Getriebeabteilung schaffen. Diesen Sprung wagte Sauber teilweise 2022. Das eigene Getriebe hat zwei große Vorteile: Einerseits spart man Geld.

Wer ein Getriebe kauft, bekommt bei der Budgetobergrenze einen höheren Wert berechnet als jenen, der tatsächlich bezahlt wird. Sauber kann das Getriebegehäuse günstiger selbst entwickeln und bauen, als vom Regelhüter berechnet. Das ist durchaus gewollt, um Anreize für eine Eigenentwicklung zu schaffen. Außerdem bringt das eigene Getriebegehäuse noch entscheidende technische Vorteile.

Die komplette Hinterachse sitzt am und im Getriebegehäuse. Fahrwerkspunkte können auf das eigene Fahrzeugkonzept abgestimmt werden. Bei Aston Martin bestreitet man derzeit, einen Nachteil durch das Mercedes-Getriebe zu haben. Allerdings ist man dadurch auf Zugstreben an der Hinterachse festgelegt. Glaubt man einigen Ingenieuren, kann man damit die Vorteile des Red-Bull-Konzepts - das inzwischen alle Teams implementiert haben - nicht komplett ausschöpfen.

Nur die Getriebegehäuse von Mercedes und Ferrari sind noch mit Pullrods konzipiert. Beide haben erst kürzlich und mit großer Verspätung beim Aero-Konzept nachgezogen. Bei Aston Martin weiß man aber auch um die Herausforderung. Es gilt, nicht nur das Gehäuse, sondern auch die Innereien samt Hydraulik selbst zu bauen.

Aston Martin-Fahrer Lance Stroll
Bei Schwierigkeiten mit dem Getriebe-Bau soll das Regelement helfen, Foto: LAT Images

Jährlich 100 Millionen Dollar für Formel-1-Getriebe

Die Forderung nach einer Vereinfachung der Technik kommt deshalb nicht von ungefähr. "Das Getriebe ist heute in der Formel 1 kein Performance-Unterscheidungsmerkmal mehr. Aber die Kosten sind horrend. Jedes Team gibt jährlich zwischen acht und neun Millionen Dollar dafür aus. Das gesamte Paddock insgesamt fast 100 Millionen", rechnet Krack vor. Aston Martin hätte deshalb gerne vereinzelte Standard-Komponenten, weniger Gänge oder gar eine andere Technologie. Der Aufbau der Getriebe-Abteilung bei Aston Martin hat bereits begonnen.

Die Entwicklung des 2026er Honda-Motors ist schon längst in vollem Gange. Während das Chassis-Reglement der nächsten Generation noch nicht fix ist, stehen die Regeln für die Power Unit seit Mitte 2022. Obwohl der endgültige Honda-Entschluss, doch in der Formel 1 zu bleiben, erst Mitte 2023 gefasst wurde: Sakura hat seit der Ausstiegs-Entscheidung 2020 permanent Vollgas gegeben. Zunächst für Red Bull, dann für den 2026er Motor.

Aston Martin lernt aus McLaren-Fehlern

Noch bevor die Ehe mit Aston Martin besiegelt wurde, haben sich die Japaner bei der FIA als Motorenhersteller eingeschrieben. Damit soll ein erneuter Fehlstart wie 2015 verhindert werden. Honda stieg damals erst im zweiten Jahr des neuen Reglements ein und blamierte sich bis auf die Knochen. Auch dank McLaren.

Aston-Martin-Pilot Fernando Alonso hat mit McLaren und Honda bereits schlechte Erfahrungen gemacht, Foto: Sutton
Aston-Martin-Pilot Fernando Alonso hat mit McLaren und Honda bereits schlechte Erfahrungen gemacht, Foto: Sutton

Der damalige Chassis-Partner machte es Honda nicht einfach. Schon Red Bull hat aus den McLaren-Fehlern gelernt und sich auf eine echte Partnerschaft eingelassen. Eine wichtige Personalie dabei: Aerodynamiker Dan Fallows. Der langjährige Red-Bull-Mann ist seit 2022 Technik-Chef bei Aston Martin. Und auch Martin Whitmarsh, der Aston Martin Performance Technologies Geschäftsführer, hat seine Erfahrungen gemacht.

Er machte damals den Deal zwischen McLaren und Honda klar - war aber nicht mehr beim Team, als die Ehe dann auf die Strecke ging. Trotzdem hat er daraus gelernt: "Ich war dann nur Zuschauer. Aber man muss aufeinander hören, man muss die richtige Balance beim Design von Chassis und Power Unit finden, es ist immer ein Abwägen." Die Art und Weise, wie Red Bull über den scheidenden Motorenpartner spricht, zeigt, welch guten Fang Aston Martin gemacht hat.

Red Bulls Schicksalsjahre laufen bislang prächtig - aber mit Red Bull Powertrains gibt es für die Zukunft eine große Unbekannte. Unbewusst hat man sich mit Aston Martin Honda womöglich den größten Gegner selbst erschaffen. Dr. Marko lässt sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen: "Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben."

Dieser Artikel erschien in der 91. Printausgabe (6. Juli 2023) des Motorsport-Magazins. Bestelle das Motorsport-Magazin direkt auf unserer Webseite.