McLaren-Honda: Das Missverständnis

Nichts weniger als die Dominanz der Formel 1 strebte McLaren gemeinsam mit Honda an. So hieß es sogar in der offiziellen Pressemitteilung, als die erneuerte Traum-Ehe der beiden so traditionsreichen Marken 2013 bekanntgegeben wurde. Nur allzu gerne erinnerte man sich in Woking an die einst so wundervolle Zeit mit Ayrton Senna und Alain Prost, als der größte Gegner im eigenen Team war. Zwischen 1988 und 1992 holte McLaren-Honda sagenhafte 44 Grand-Prix-Siege. Doch von Siegen war in den letzten drei Jahren nicht einmal mehr die Rede: nicht ein einziges Podium holte die britisch-japanische Allianz. Dabei sollte es bei McLaren nach den letzten unglücklichen Mercedes-Jahren ein kompletter Neustart werden. Ron Dennis sprang sogar über seinen eigenen Schatten und holte dafür Fernando Alonso zurück ins Team, mit dem er sich 2007 so bitter überworfen hatte. Alonso erpresste das Team damals und sorgte für eine Rekordstrafe von 100 Millionen Dollar. Wer Ron Dennis kennt, der weiß, wie schwer es dem stolzen Briten gefallen sein muss, Alonso wieder ins Boot zu holen.

Drei Jahre und 60 Grands Prix später ist Ron Dennis bei McLaren genauso Geschichte wie Honda. Aus der angekündigten Dominanz wurden leise Töne zum Abschied. "Aus verschiedenen Gründen ist unsere Partnerschaft nicht so aufgegangen, wie sich jeder von uns das gewünscht hätte", ließ sich der neue McLaren-Boss Zak Brown in der Pressemitteilung zur Trennung zitieren. Zwischen den beiden Pressemitteilungen, zwischen Dominanz und totaler Resignation lagen drei Jahre des Schreckens. Schon in Abu Dhabi 2014 nahm das Unheil unaufhaltsam seinen Lauf. Beim Young-Driver-Test wollte McLaren nicht nur Stoffel Vandoorne, sondern auch zum ersten Mal den Honda-Motor testen. Ein eigenes Team bereitet deshalb den eigentlich Mercedes-befeuerten 2014er McLaren auf das Abenteuer Honda vor. Sonderlich erfolgreich war der Testträger nicht: Vandoorne kam an zwei Testtagen auf insgesamt fünf Runden.

Doch noch schrillten die Alarmglocken nicht, schließlich befand sich nur ein erster Test-Motor im Heck, Honda war in der Entwicklung schon wesentlich weiter - hieß es zumindest. Denn bei den Wintertests 2015 wiederholte sich das Schicksal fast: an den ersten beiden Tagen fuhren Jenson Button und Fernando Alonso jeweils sechs Runden. Um überhaupt Testkilometer sammeln zu können, mussten die Ingenieure die Leistung des Motors enorm drosseln. Als Fernando Alonso nach einem Testunfall ins Krankenhaus musste, gingen diverse Gerüchte durchs Fahrerlager: die Power Unit habe giftige Dämpfe abgesondert, weshalb Alonso bewusstlos wurde. Oder Alonso habe einen Elektroschock erhalten und musste deshalb ins Krankenhaus. Am Ende wurde eine Windböe für den Unfall verantwortlich gemacht, doch die Gerüchte waren ein Spiegelbild der Lage. McLaren konnte 2015 in der Konstrukteurs-WM nur Manor hinter sich lassen. Man könnte statistisch Misserfolg an Misserfolg reihen, doch die Ergebnisse sind nur die eine Seite.

Vom ersten Wintertest an tat sich zwischen McLaren und Honda ein Graben so groß wie die Distanz zwischen Woking und Sakura auf. Dabei war die kulturelle und sprachliche Barriere nur ein Teil des großen Missverständnisses. Zunächst rühmte sich McLaren noch mit einem superschlanken Auto. 'Size Zero' nannte Teamchef Eric Boullier dieses Design gerne. Als herauskam, dass Honda extrem unter der schlanken Bauweise litt, wollte man bei McLaren plötzlich nichts mehr von Size Zero wissen. Als Red Bull mit Renault in der Motorenkrise war und Honda die Bullen beliefern wollte, legte Ron Dennis ein Veto ein. Auch McLaren hätte davon profitiert, weil Honda die doppelten Testkilometer gesammelt hätte. McLaren machte es Honda nicht immer einfach, doch umgekehrt auch nicht: nach einem kleinen Aufwärtstrend 2016 fiel Honda in der aktuellen Saison mit einem neuen Motorenkonzept sogar noch zurück. Während Honda sportlich nicht lieferte, lieferte McLaren als Partner nicht: immer und immer wieder stellten die Teamführung und vor allem auch Fernando Alonso Honda öffentlich bloß - für Japaner die absolute Höchststrafe. Und auch Honda trug abseits der Technik zum Unfrieden bei: in den starren japanischen Strukturen war externe Hilfe nicht vorgesehen. Dabei ist es Gang und Gäbe, eng mit Zulieferern und Ingenieursdienstleistern zusammenzuarbeiten.

Nach hunderten Plätzen Strafversetzung wegen unerlaubter Motorwechsel, unzähligen technisch bedingter Ausfälle und einer dafür sehr überschaubaren Anzahl an Punkten entschied sich McLaren dazu, einen Schlussstrich unter das neueste Honda-Kapitel zu ziehen - mit allen Konsequenzen.

McLaren-Renault: Die Zukunft

Ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende - so lässt sich für McLaren die Trennung von Honda zusammenfassen. Doch ganz stimmt das nicht, denn McLaren zahlt auch in den nächsten Jahren noch den Preis für die Trennung. Während Honda McLaren mit kostenlosen Motoren, Zuschüssen für die Fahrzeugentwicklung und Entlastung bei den Fahrergehältern versorgte, gibt es von Renault keinerlei finanzielle Unterstützung. Im Gegenteil, für McLaren dreht sich der Cashflow um 180 Grad: Mehr als zehn Millionen Euro muss der Rennstall nun jedes Jahr nach Viry überweisen, wo Renault die Formel-1-Aggregate entwickelt und fertigt. Wirklich leisten kann sich McLaren diesen Schritt eigentlich nicht. "Aber wir haben engagierte Teilhaber", erklärt McLaren-Boss Zak Brown Motorsport-Magazin.com. "Was wir uns nicht leisten können, ist es ein weiteres Jahr nicht auf dem Podium zu stehen. Wir mussten eine sportliche, keinen finanzielle Entscheidung treffen." Doch der Schritt ist riskant, kurzfristig mag sich der Rennstall den Wechsel dank einer Finanzspritze leisten können. Doch was, wenn der Erfolg nicht kommt und somit auch keine potenten Sponsoren, die McLaren zuletzt vermissen ließ? "Die Frage habe ich meinen Bossen noch nicht gestellt", gesteht Brown. "Kein Team wird ohne Erfolg ewig weitermachen können. Letztlich willst du etwas zurückbekommen, ob es sportlich, finanziell oder beides ist."

Das Risiko ist umso größer, weil Renault in den letzten vier Jahren der Power-Unit-Ära nicht unbedingt dafür bekannt war, konkurrenzfähige Motoren zu bauen. Eine Nachfrage beim Leidensgenossen Red Bull reicht, um das zu bestätigen. Dabei ist es auch kein Geheimnis, dass McLaren gerne einen anderen Antrieb gehabt hätte. Mit dem ehemaligen Motorenpartner Mercedes liefen sogar schon Gespräche, allerdings wollte sich Mercedes die Konkurrenz nicht ins eigene Haus holen. Auch Ferrari wäre aus sportlicher Sicht interessanter für McLaren gewesen, kam aber nicht in Frage, weil McLaren inzwischen ein großer Sportwagenhersteller ist, der mit Ferrari konkurriert. Von drei verfügbaren Motorenherstellern wären McLaren zwei lieber gewesen. Eine Erfolgsgarantie ist der Renault-Antrieb nicht - er ist nur die bessere Alternative zum Honda-Aggregat.

McLaren: Top-3-Risiken der Honda-Trennung & des Renault-Wechsels: (04:05 Min.)

Trotzdem sind die Ziele groß: "McLaren Renault ist eine Partnerschaft, die um Siege kämpfen wird", hieß es bei der Bekanntgabe in der Presseaussendung. Ziele, die man eigentlich nur als Werksteam erreichen kann, hieß es aus Woking einst. Das war auch der Grund, warum sich McLaren 2014 unbedingt von Mercedes abwenden wollte. Ron Dennis zweifelte mehrfach an, das gleiche Material wie das Werksteam zu erhalten. Bei Renault ist McLaren auch nicht mehr als ein Kundenteam. Das bedeutet nicht unbedingt, dass McLaren schlechteres Material erhält, doch die Vorzüge eines Werksteams hat man nicht mehr: vor allem bei den komplexen Power Units ist die Integration in das Chassis elementar für die Performance. Bei Werksteams ist es ein Geben und Nehmen zwischen Motoren- und Chassis-Abteilung, für Kunden bedeutet das: nehmt, was ihr bekommt.

Zwar gab es schon nach den verheerenden Wintertestfahrten 2017 Gerüchte, dass McLaren Motorenpartner wechseln würde, fix war es allerdings erst Mitte September in Singapur. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Entwicklung der 2018er Boliden längst begonnen. "Ja, wir sind deshalb hinterher", gesteht Teamchef Eric Boullier. "Uns fehlen zwei Wochen, die wir mit der gesteigerten Motivation im Team wieder hereinholen konnten." Laut dem Franzosen ändert die Integration des Renault-Triebwerks nichts elementar, sodass McLaren ganze Konzepte ändern müsste. Dennoch, jeder einzelne Entwicklungstag ist entscheidend, nicht umsonst geben die Teams ihre neuen Boliden erst auf den letzten Drücker in die Produktion, um ja keinen Entwicklungsschritt herzuschenken. In der Vorsaison geht es um Tage, nicht um Wochen. McLarens Rettung könnte das stabile Reglement sein: die Briten haben mit dem MCL32 schon in dieser Saison ein konkurrenzfähiges Auto gebaut. Der Nachfolger wird eine Evolution, keine Revolution. Deshalb wird der aktuelle Rennwagen auch noch bis zum Schluss weiterentwickelt. Doch ob das wirklich reicht, um Siege einzufahren? Aus eigener Kraft konnte Red Bull das mit dem Renault-Antrieb in dieser Saison nicht oft.

McLaren Honda: Die Chronologie des Horrors

16.05.2013: Honda gibt sein F1-Comeback für 2015 mit McLaren bekannt. Das neue Motoren-Reglement lockt die Japaner

25.11.2014: McLaren baut 2014er Boliden um und testet in Abu Dhabi erstmals mit Honda-Motor: nur fünf Runden an zwei Tagen

10.12.2014: Honda besteht auf einen Superstar im McLaren. Fernando Alonso kehrt als Teamkollege von Jenson Button nach Woking zurück

01.02.2015: McLaren gibt bei den Wintertests in Jerez das offizielle Honda-Debüt. Nur 79 Runden an vier Tagen wegen Zuverlässigkeitsproblemen

22.02.2015: Fernando Alonso muss nach schwerem Testunfall in Barcelona ins Krankenhaus. War der Motor schuld am Abflug?

15.03.2015: Renndebüt für McLaren-Honda in Australien ohne den verletzten Alonso. Ersatzfahrer Magnussen scheidet mit Motorschaden aus, Button wird Letzter.

29.11.2015: McLaren-Honda wird Vorletzter in der WM. In 19 Rennen gibt es 15 Ausfälle. Wegen Motorwechsel wurde McLaren insgesamt 395 Plätze zurückversetzt.

27.11.2016: Mit 76 Punkten und Rang 6 wird es die erfolgreichste McLaren-Honda-Saison der Neuzeit. Die Zuverlässigkeit stimmt am Ende, die Leistung wird besser.

27.02.2017: McLaren kommt am ersten Tag der Wintertests in Barcelona mit dem neu konzipierten Honda-Motor nur 29 Runden weit.

26.03.2017: Die Saison beginnt in Australien wie 2015: ein McLaren-Honda scheidet mit Motorschaden aus, der andere wird Letzter.

14.05.2017: Beim fünften Rennen sieht Alonso zum ersten Mal die Zielflagge - mit zwei Runden Rückstand. Die Rufe nach einem neuen Motorenpartner werden lauter.

15.09.2017: McLaren und Honda geben die Trennung bekannt. Bis dahin gab es in knapp drei Jahren McLaren-Honda 785 Plätze Motorenstrafen - und P5 als bestes Ergebnis.

Fernando Alonso und McLaren 2018: Ist das Ziel Siege utopisch?: (02:26 Min.)

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