Warum kamen Norris, Russell und Co. an die Box?
Eine rennentscheidende Frage in Brasilien: Warum gaben George Russell und Lando Norris in Führung liegend in Runde 28 ihre Positionen auf, nur um Intermediates gegen Intermediates zu tauschen? Während der Regen gleichzeitig einen Punkt erreichte, an dem eine Unterbrechung wie eine Frage der Zeit schien? Zuerst einmal sind die Reifen ein Faktor. Da der Regen ab dem Start erst einmal langsam abnahm, wurden die Start-Inters hart rangenommen und verloren einiges an Profil. Sie verdrängten nicht mehr so gut Wasser, als der nächste Schauer kam.
So lauteten die Urteile bei Mercedes und McLaren. "Beide Fahrer stellten fest, dass sie neue Reifen brauchten", so McLaren-Teamchef Andrea Stella. Dann kam auch noch ein Virtuelles Safety Car und machte den Stopp billiger: "Es waren die perfekten Bedingungen, um zu stoppen. Du willst das Auto für den nächsten Regen auf den besten Reifen haben, und nicht ausfallen, weil du auf abgefahrenen Reifen Aquaplaning hast."
Es gibt dennoch abweichende Meinungen. Russell kritisiert seine Strategen. Er hatte es ihnen am Funk versucht auszureden, weil er bereits ahnte, dass eine Unterbrechung kommen würde: "Hätten wir nicht gestoppt, dann wären wir beim Restart vorne gelegen. In den ersten 30 Runden hatte ich die Pace kontrolliert." Was in die Entscheidung der Strategen aber mit hineinspielte, war der Wetterbericht. Der Schauer sollte nur vier Minuten dauern. Ein Safety Car schien wahrscheinlicher als ein Abbruch. Der kam auch erst nach einem Unfall.
Ohne den Abbruch wären neue Reifen bei einem Safety-Car-Restart ein Vorteil. Warum stoppte Max Verstappen dann nicht? Ein Poker? Nicht unbedingt. Red Bull sah anders als McLaren keine nennenswerte Abnutzung, so Teamchef Christian Horner: "Ein neuer Satz hätte kaum einen Unterschied gemacht." Das hatte man bestätigt, als man nach einem Stopp von Sergio Perez dessen Reifen untersuchte. Verstappen tat per Funk den Rest, nachdem er die Vier-Minuten-Prognose erhielt: "Dann bleibe ich draußen."
Unterstellte Norris Verstappen "kein Talent, nur Glück"? Zurecht?
Ein frustrierter Lando Norris schoss sich nach dem Rennen auf die oft kritisierten Rot-Regeln der Formel 1 ein. Die erlaubt Gratis-Reifenwechsel. Der draußenbleibende Verstappen erhielt Platz zwei geschenkt. Davor war er lange in einem Zug an Autos auf Platz sechs festgesteckt. "So ist das Leben manchmal", klagte Norris. "Sie haben gepokert, und es hat sich für sie ausgezahlt. Es ist kein Talent. Nur Glück."
Die ausgeschnittene Aussage ging danach durch die Sozialen Medien. Vielleicht etwas unfair - sie bezog sich spezifisch auf die Tatsache, dass die beiden Alpine und Verstappen unter der roten Flagge nur vor Norris lagen, weil sie nicht gestoppt hatten. Nun durften sie gratis Reifen wechseln und vorne bleiben. Verstappens Leistung an sich schien Norris in Interviews nie anzuzweifeln. Später hob er hervor, dass der Red Bull ihn wohl gar überrundet hätte, wenn er von Pole gestartet wäre.
Wohl aber falsch ist Norris' Einordnung der Red-Bull-Strategie als Poker, wenn man der oben erwähnten Aussagen von Christian Horner Glauben schenkt. Basierend auf denen war es eine völlig rationale Entscheidung. Ob die auch ohne den Abbruch aufgegangen wäre lässt sich unmöglich sagen.
Warum wurde Nico Hülkenberg erst ausgeschlossen, dann disqualifiziert?
Es war ein miserabler Arbeitstag für Nico Hülkenberg. Mit einem Fahrfehler schaffte er es, seinen Haas in der ersten Kurve so auf einem Abflussgitter zu platzieren, dass die Hinterräder in der Luft waren. Befreit wurde er erst von Streckenposten. Hilfe von außen ist per F1-Reglement explizit verboten. In so einem klaren Fall wird man per schwarzer Flagge sofort aufgefordert, an der Box abzustellen. Die Disqualifikation wird erst nach dem Rennen finalisiert. In ihr steht praktisch nur drin: Ja, Hülkenberg konnte nur wegen Hilfe der Streckenposten weiterfahren, was nicht erlaubt ist.
Warum startete Carlos Sainz aus der Box?
Bei einem Qualifying-Crash hatte Carlos Sainz am Sonntagmorgen seinen Ferrari umfangreich zerstört. Die Mechaniker mussten daraufhin nicht nur eine riesige Reparatur-Aufgabe verrichten. Ferrari entschied auch, die komplette Power Unit zu tauschen. Es war eine Überschreitung des Limits, Nummer fünf bei vier erlaubten, und obendrauf nach dem Qualifying unter Parc ferme. In dem Fall ist ein Start aus der Box Pflicht.
Warum startete Alex Albon gar nicht?
Für die Ferrari-Mechaniker war es eine Herkules-Aufgabe gewesen, das Sainz-Auto inklusive Motorwechsel wieder flott zu bekommen. Williams musste gleich zwei Autos reparieren. Alex Albon hatte sein Auto spät in Q3 ungleich heftiger zerstört als Franco Colapinto noch in Q1. Unter Zeitdruck war es schlicht nicht zu reparieren. Ein Desaster für Williams, die keine Punkte machten und jetzt einzementiert (mit Ersatzteilmangel) dem neunten WM-Platz ins Auge starren.
Warum wurde Sainz für seinen Unfall verwarnt?
Honoriert wurde Ferraris Reparatur-Job von Sainz nicht. Nach 38 Runden parkte er den SF-24 wieder in der Wand. Diesmal nicht ganz so heftig. Trotzdem schien Sainz aufzugeben, nahm das Lenkrad ab, die Streckenposten kamen und fädelten das Abschleppseil unter der Airbox ein. Sainz sah das nicht - er steckte das Lenkrad wieder auf und versuchte nach Rücksprache mit dem Team, doch zurück in die Box zu fahren. Zum Glück merkten die Streckenposten das und brachen die Bergung ab.
Vor die Stewards zitiert gab Sainz zu, dass das Abnehmen des Lenkrads eigentlich ein klares Signal einer Aufgabe war. Mit einer Verwarnung für gefährliches Fahren kam er davon. Sein Versuch war ohnehin fruchtlos gewesen. Nach ein paar Metern gab er endgültig auf.
Warum war das Rennen am Ende nur 69 statt 71 Runden lang?
Eingetragene Distanz des Brasilien-GP waren 71. Mit 69 wurde gewertet. Schuld waren die Fahrer auf den ersten beiden Startplätzen. Nachdem Lance Stroll auf der Formationsrunde verunfallte, brach die Rennleitung den Start ab, während alle bereits wieder in der Startaufstellung standen. Unklar über das weitere Vorgehen waren Lando Norris und George Russell die ersten beiden Fahrer, die einfach losfuhren. Das sollte man aber nur tun, wenn zusätzlich "Extra Formation Lap" angezeigt wird.
"Bei der zusätzlichen Formationsrunde wird über Abbruch gesprochen, beim Abbruch über Zurückfahren in die Startaufstellung, ein paar Details machten die Situation verwirrend", verteidigt Andrea Stella seinen Fahrer mit Unklarheiten im Reglement. Die Stewards sahen davon ab, Norris und Russell sportlich zu bestrafen. Beide bekamen jeweils eine Verwarnung und 5.000 Euro Geldstrafe. Der Rest des Feldes fuhr ihnen ultimativ zwar hinterher, wurde aber für den Herdenlauf nicht zur Verantwortung gezogen. Weil aber jetzt alle eine Runde gefahren hatten, und vor dem zweiten Startversuch NOCH eine Runde gefahren wurde, mussten zwei Runden von der Renn-Distanz abgezogen werden. Denn jede zusätzliche Formationsrunde wird von der Gesamt-Distanz subtrahiert.
Trickste Mercedes in der Startaufstellung mit Reifendrücken?
Nach dem Verwirrspiel um den Abbruch wurden 10 Minuten bis zum zweiten Startversuch angekündigt - die kleinstmögliche Zeit. In diesen 10 Minuten durften die Mechaniker wieder auf die Startaufstellung. Dabei passte Mercedes bei beiden Autos die Reifendrücke an. Grundsätzlich nicht illegal. Eine Technische Direktive verbietet es aber, wenn der Reifen am Auto montiert ist.
Die Stewards straften auch hier nur finanziell ab. Mildernde Umstände: Die FIA-Techniker sagten aus, dass die Druckwerte alle im Rahmen waren. Weil die Wege zum Grid lang sind, war es in der kurzen Zeit schwierig bis unmöglich, die von der Direktive geforderten Prozeduren einzuhalten.
Warum war Lewis Hamilton so viel schlechter als George Russell?
Kein Reifendruck der Welt hätte wohl Lewis Hamilton geholfen. 27 Sekunden hinter George Russell rettete er einen Punkt. Davor war er schon in Q1 ausgefallen. Der Fahrkomfort war miserabel, das ganze Wochenende fand er keine Setup-Lösung. "Eines der Autos läuft offensichtlich viel besser", weiß Hamilton es selbst nicht, als er nach dem Rennen zur Presse spricht. "Sagt ihr es mir! Das ist die Millionenfrage. Wenn einer von euch es weiß, kriegt er eine Million."
Warum waren die Alpine im Regen so schnell?
Die umgekehrte Situation gibt es bei Alpine: Sensationell waren Esteban Ocon und Pierre Gasly in der zweiten Rennhälfte schnell genug, um die Plätze 2 und 3 aus eigener Kraft ins Ziel zu bringen. Nur Russell konnte Gasly am Ende unter Druck setzen. Teamchef Oliver Oakes lobt schlicht perfekte Fahrer und den perfekten Call, nicht zu stoppen. Der spülte das Team auf eine vorteilhafte Position: "Wir müssen auch bescheiden bleiben. Teilweise waren wir gut. Vielleicht kam der Vorteil dadurch, dass wir vorne ohne Gischt fuhren - aber letztendlich war es ein tolles Rennen."
Was zwang Fernando Alonso fast bis zur Aufgabe?
Fernando Alonso rettete sich auf dem vorletzten Platz ins Ziel und kam im Parc ferme fast nicht aus dem Auto. Mit Darminfektion war er angereist, und auf der neu asphaltierten Strecke saß der Aston Martin in der zweiten Rennhälfte zu oft zu hart auf. Gegen Ende wurden die Rückenschmerzen für Alonso fast unerträglich. Er drückte es bis ins Ziel durch - für die Mechaniker, die das Auto nach einem Qualifying-Crash repariert hatten: "Ich musste das Rennen für sie beenden."
Kann Max Verstappen in Las Vegas jetzt Weltmeister werden?
Ja. Und es ist gar nicht einmal so schwer. Brasilien war eine gigantische WM-Wende zugunsten von Verstappen. 62 Punkte hat er Vorsprung. In den zwei Rennen nach Las Vegas werden noch 60 vergeben. Damit ist es ganz simpel: Norris muss in Las Vegas mindestens drei Punkte mehr holen, um eine mathematische Chance offenzuhalten. Und wenn Verstappen vor Norris ankommt, ist er Meister, egal was sonst passiert.
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