Nach einem turbulenten Regen-Qualifying, einer langen Nacht der Stewards und nach vier Grid-Strafen steht die Formel 1 heute in Kanada wieder dort, wo sie 2023 meistens steht. Max Verstappen verdankt aber vor allem dem Wetter seine deutliche Pole. Ein Patzer von Nico Hülkenberg kommt nun Fernando Alonso und Mercedes zugute.

Tatsächlich keimten am Freitag erste Hoffnungen auf eine Herausforderung auf. Die muss Fernando Alonso mit dem neuen Aston Martin jetzt erfüllen, nachdem besonders Ferrari eine große Chance in ein großes Desaster verwandelt. Wie gut die Chancen auf einen echten Fight stehen, analysiert der Favoritencheck.

Hülkenberg macht Weg frei für Verstappen vs. Alonso

Bittere Nachrichten gab es am späten Abend in Kanada für Nico Hülkenberg. Dessen zweiter Platz in der Startaufstellung ist weg. Er war unter roter Flagge zu schnell zurück an die Box gefahren. Für das Rennen heute sind das aber gute Nachrichten.

Der Haas war am Freitag das langsamste Auto im Renntrimm gewesen. Die Strafversetzung auf den fünften Rang bedeutet, dass sich hinter dem im Regen dominanten Verstappen jetzt Alonso sowie die Mercedes von Lewis Hamilton und George Russell einfinden. Der auf den ersten 163 Metern zur ersten Kurve störende Haas ist weg, und Verstappen hat keinen Puffer.

Reichen die Aston-Martin-Updates für Alonso-Show?

Möglichst wenig Störfaktoren sind in Kanada im Rennen wirklich wichtig, denn bei den Rennvorbereitungen am Freitag hatte sich das Bild zusammengeschoben. Alonso, Verstappen und die Ferrari fuhren Medium-Longruns auf Augenhöhe. "Ich denke, morgen haben wir die Chance, sie ein bisschen unter Druck zu setzen", kündigt Alonso nach dem Qualifying an.

Nach Hülkenberg-Strafe bleibt die erste Reihe Verstappen und Alonso überlassen, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool
Nach Hülkenberg-Strafe bleibt die erste Reihe Verstappen und Alonso überlassen, Foto: Getty Images / Red Bull Content Pool

Für Aston Martin spielt ein neuer Unterboden und eine neue Heckverkleidung am AMR23 eine wichtige Rolle. Die konnte man am Freitag wegen mehrfach unterbrochener Trainings nicht ausgiebig testen, und am Samstag regnete es. So hängen noch Fragezeichen über dem Auto, gesteht Alonso: "Ich denke, wir müssen noch immer das Setup für das neue Paket optimieren." Das Optimum wird wohl erst an den nächsten beiden Wochenenden erreicht sein.

Alonsos Longrun auf Medium war am Trainingsende gefahren worden und verkürzt ausgefallen, weil ihm die Zeit ausgegangen war. Doch selbst mit suboptimaler Vorbereitung verspürte Alonso einen Schritt nach vorne. Noch nicht ganz bis auf Red-Bull-Niveau, "aber statt 20 oder 30 Sekunden hinten zu sein sind wir hoffentlich etwas näher."

Wo Verstappens Probleme heute liegen - oder nicht

Alonso dämpft also die Erwartungshaltung. Mit ein Grund dafür ist, dass Red Bulls kleiner Durchhänger am Freitag wohl nicht auf ein fundamentales Problem deutete. Das Team glaubt, dass die Probleme eines unruhigen Autos auf den hier aggressiven Kerbs und Bodenwellen mit dem Setup zu lösen wären.

Auf die Fahrqualität kommt es hier in Montreal an. Mehr noch im Qualifying, da muss man die Kerbs in den Schikanen mitnehmen können. Der Red Bull verlangt jedoch nach einer harten Abstimmung. Deshalb sah Verstappen, mit steifem Aufhängungssetup anfangs unglücklich, besonders im Qualifying-Trimm am Freitag nicht gut aus. Der Regen verwässerte im tatsächlichen Qualifying aber dann das Bild, und am Rennsetup wurde noch gefeilt.

Bei Regen ließen sich die Änderungen natürlich nicht eindeutig validieren, aber Verstappen gab sich zuversichtlich: "Das generelle Fahrverhalten hat sich verbessert." Dass er im Regen schnell war, sollte für das Rennen keine Rolle spielen, da die Prognosen einen stark bewölkten, aber trockenen Sonntag bei 20 Grad Lufttemperatur mit weniger als 20 Prozent Regen-Wahrscheinlichkeit ankündigen.

Ferrari verschenkt Großchance in Kanada an Mercedes

Ein Auto, das besonders gut mit den Wellen und den harten Traktionsbereichen hier in Kanada zurechtkommt, ist der Ferrari. Obendrauf glaubt die Scuderia, an Wochenende zwei mit dem neuen Update einen Schritt nach vorne beim Setup-Verständnis gemacht zu haben. Auf eine Runde war der SF-23 am Freitag schneller als der RB19, im Renntrimm gleich schnell. In Montreal fehlen außerdem die langgezogenen Highspeed-Kurven, in denen der SF-23 die Reifen besonders hart rannimmt.

Ferrari war also bester Laune in den Samstag gestartet - und stolperte über sich selbst. Carlos Sainz schrottete das Auto in FP3 und tat sich dann im Qualifying schwer, wieder Vertrauen zu fassen. Zusätzlich blockte er Pierre Gasly und kassierte drei Strafplätze. Nur Startplatz elf für ihn.

Leclercs Geduld wurde mit Konfusion in Sachen Reifenstrategie bei abtrocknender Strecke strapaziert. Einmal mehr war man sich über die Lage nicht im Klaren, als sich ein kurzes Fenster für Slick-Reifen auftat. Leclerc folgte den Bitten des Teams, stoppte zu spät, blieb in Q2 hängen. Nur Startplatz zehn für ihn. Beide Ferrari stehen vor einer schwierigen Aufgabe, auch wenn das Auto in Montreal bisher guten Topspeed zeigt.

Mercedes zielt auf Doppel-Podium in Kanada ab

An Ferraris Stelle ist in der Startaufstellung Mercedes getreten. Lewis Hamilton und George Russell hatten bei kalten Bedingungen wie so oft damit zu kämpfen, die Reifen am W14 im Arbeitsfenster zu halten, aber Ferrari und Nico Hülkenberg überreichten ihnen die zweite Startreihe auf dem Silbertablett. Die schwierigste Aufgabe für Mercedes ist damit geschafft.

Im Rennen wähnen sich Hamilton und Russell wieder deutlich stärker. "Wir sind keine Kompromisse bezüglich Setup eingegangen, sind für Sonntag gut aufgestellt und haben gute Rennpace", kündigt Russell an. Vergleichbare Daten gibt es dazu nur keine - weil sie ihre Longruns am Freitag antizyklisch fuhren. Trotzdem beschwören Team und Fahrer weiterhin, wie viel besser sich der W14 mit den letzten Updates anfühlt.

Safety Cars und Regen-Folgen als Schlüssel im Rennen

Mercedes' letzter Vorteil: Zwei Autos. Sergio Perez und Lance Stroll sind einmal mehr zu weit von ihren Teamkollegen weg, um ihnen heute im Rennen helfen zu können. Vorerst sehen alle Verstappen als Favoriten, aber je nachdem, wie sich der Rennverlauf gestaltet, könnten Strategie-Variationen eine Schlüsselrolle spielen.

Das Safety-Car-Risiko ist hier auf dem Semi-Stadtkurs mit wenig Auslaufzonen hoch, es kam in drei der letzten fünf Rennen zum Einsatz. Wie die Strategie aussieht, da ist sich Pirelli am Samstag nicht sicher. Der Regen hat allen Gummi vom Asphalt gewaschen. Ein Grip-Reset also. Eine Einstopp mit Medium-Hard ist genauso vorstellbar wie eine Zweistopp mit Medium und Soft. Das erhöht die Unsicherheit. Max Verstappen bleibt Favorit, aber es könnte seine schwerste Aufgabe der bisherigen Saison werden. Das ganze Rennen der Formel 1 heute in Kanada gibt es hier im Liveticker.

Formel 1 Kanada 2023: Der Zeitplan

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