Heute vor einem Jahr sorgte die Rennleitung der Formel 1 innerhalb von Minuten für eine der größten Kontroversen des Sports. In den letzten Minuten der WM wurde unter dem damaligen FIA-Rennleiter Michael Masi das Verfahren zum Restart des Rennens maximal und nicht mehr im Sinne des Reglements abgekürzt, um eine letzte Runde unter Grün zu erlauben, auf der Max Verstappen Lewis Hamilton den Titel entriss.
Der Mercedes-Protest wurde zurückgezogen, auch wenn das Team sich mit dem Akzeptieren schwertat. Zwölf Monate später spürt auch die Formel 1 Abu Dhabi 2021 noch immer. Viel wurde verändert, um die Integrität zu garantieren. Die Rennleitung bleibt trotzdem unter dem Mikroskop, und statt Vergessen gibt es neue Streitpunkte. Eine Bestandsaufnahme der Folgen und Nachwehen von Abu Dhabi.
Die Folgen für Formel-1-Rennleiter Michael Masi
Michael Masi ist weg. Knapp drei Monate nach Abu Dhabi veröffentlichte die FIA einen Schlussbericht, in dem "menschliche Fehler" eingeräumt wurden. Beim Zurückrunden kurz vor dem Ende des Rennens nur die Autos zwischen Hamilton und Verstappen zu wählen war falsch. Die Rennleitung handelte unter dem Druck, das Rennen nicht hinter dem Safety Car zu beenden.
Weitermachen mit Masi war nach dem Chaos keine realistische Option. Schon vor Abu Dhabi war die Rennleitung kritisiert worden. Mercedes-Teamchef Toto Wolff wehrte sich gegen Gerüchte, er habe Masis Absetzung betrieben, rechnete aber sehr wohl mit dem Australier ab: "Er war einfach immun für jedwedes Feedback und selbst heute hat er nicht richtig reflektiert, dass er etwas falsch gemacht hat."
Masi verschwand in den ersten Monaten von 2022 erst von seinem Posten, dann von der Bildfläche, dann aus der FIA. Im September kehrte er in seiner Heimat Australien in einer leitenden Position in die Supercars-Tourenwagenserie zurück. Zuhause schätzt man ihn als Sportfunktionär, vor seiner F1-Karriere war er hier stellvertretender Rennleiter gewesen.
Formel 1 kämpft mit Masi-Ersatz und Rennleitungs-Struktur
Für FIA und Formel 1 wurde es nicht einfacher. Zwei Neue ersetzten Masi. Der Deutsche Niels Wittich, 2021 noch DTM-Leiter, war bereits auf dem Sprung in die F1. Plötzlich war er ganz oben. Er sollte sich mit dem langjährigen und geschätzte WEC-Rennleiter Eduardo Freitas abwechseln.
Kurz davor hatte bei den FIA-Wahlen Mohammed Ben Sulayem die Präsidentschaft von Jean Todt übernommen. Ben Sulayem, aus einer anderen politischen Fraktion, zielte auf einen Abschied von der Ära Todt ab. Doch Änderungen in der Formel 1 sind nicht einfach.
Für Wittich und Freitas war das Einarbeiten schwierig. Besonders Freitas, der gleichzeitig seinen Vollzeit-WEC-Posten behielt, wurde kritisiert. Erst für Verschiebungen im verregneten Monaco, dann kam Japan. In einem Wolkenbruch startete er diesmal das Rennen, ein Startunfall folgte, und schließlich nur ein Safety Car, während Bergeequipment an einer neuralgischen Stelle stand.
Die Fahrer-Kritik war hart. Kurz darauf verkündete die FIA, die letzten Rennen der Saison würde nur mehr Wittich leiten. Mit Freitas und Masi waren zwei andernorts reputable Motorsport-Offizielle aus der Formel 1 gerutscht.
Formel 1 der vielen Regel-Interpretationen
Zahlreiche kleine Streitereien im Saisonverlauf unterstrichen ein Problem mit Regel-Interpretationen. Das hatte in Abu Dhabi maßgeblich zur Kontroverse beigetragen. Das Reglement erlaubte beim Zurückrunden der Autos mit der Wortwahl Spielraum. An diesem Teil wurde im Winter nachgeschärft, ehe 2022 zeigte, dass es noch andere Stellen gibt.
In Spa herrschte nach vielen Motorstrafen stundenlange Unklarheit über die Startaufstellung, das genaue Prozedere steht nicht im Reglement. In Japan herrschte wegen einer verkürzten Renndistanz Unklarheit über die vergebenen Punkte, weil die Formulierung der relevanten Passage auf ältere Regeln zurückging. In den USA gab es Chaos über die Zulässigkeit eines Protests. Eine nachträgliche Strafe musste zurückgenommen werden, weil der Protest zu spät eingereicht wurde und nie zugelassen hätte werden sollen. Innerhalb von fünf Tagen änderte sich das Rennergebnis zwei Mal.
Das Problem ist nicht unbedingt der Rennleiter. Vieles geht auf die Ära Charlie Whiting zurück. Der hatte jahrelang die Rennleitung geführt, bis er 2019 vor dem Australien-GP überraschend verstarb. Die Rolle war mit ihm gewachsen, sein Wissen war durch niemanden zu ersetzen. Die FIA versucht weiter zu verbessern, holte im Mai den erfahrenen ehemaligen F2-Teamchef Francois Sicard als Sportdirektor.
Neue Härte der Formel 1 provoziert die Fahrer
Die Ansage, das Reglement infolge von Abu Dhabi jetzt penibel genau auszulegen, klang ebenfalls besser als sie war. Etwa bei den Track Limits, ein steter Brennpunkt der Vorjahre. 2022 galt immer die weiße Linie, aber das zu überwachen ist schwierig. In Österreich wurde eine Übertretung verpasst, ein Fahrer erst nachträglich aus Q3 entfernt. Die Piloten ärgerten sich außerdem, dass selbst dann Zeiten gestrichen wurden, wenn direkt hinter dem Doppel-Kerb ein Kiesbett folgte und man bei einer Übertretung von mehr als ein paar Zentimeter ohnehin im Kies landete.
Österreich war überhaupt ein Krisenrennen. Ein frustrierter Sebastian Vettel verließ vorzeitig das Fahrerbriefing und erhielt 25.000 Euro Strafe auf Bewährung. Die Fahrerbriefings waren in der ersten Saisonhälfte oft zäh. Lange herrschte Streit, weil Schmuck und Unterwäsche nun streng nach Vorschrift ausgelegt wurden, nachdem das Tragen in den Vorjahren sehr lasch gehandhabt wurde.
Neben der Rennleitung gerieten auch die Stewards, welche für das Aussprechen von Strafen zuständig sind, in der Kritik. Die Fahrer nervte, dass bei einer harten Regelauslegung trotz neu formulierter "Racing-Richtlinien" die Konstanz fehlte. Dass sich die vier Stewards von Rennen zu Rennen abwechselten, sorgte für immer mehr Frust. Die FIA arbeitet an Besserung, an einer Virtuellen Rennleitung sowie an einem Ausbildungsprogramm für Offizielle.
Formel-1-Rennleitung 2022 weniger öffentlich präsent
Viel Kritik also für FIA-Rennleitung und Stewards, aber viel davon wurde nur in FIA-Statements beantwortet. Die Rennleiter selbst sind seit Abu Dhabi 2021 kaum mehr medial präsent. Whiting und Masi hatten auch noch sonntägliche Presserunden abgehalten.
Die Formel 1 hat erkannt: Weniger Rennleiter-News sind besser. Auch die erst 2021 öffentlich gemachten Funksprüche zwischen Rennleitung und Teams verschwanden nach Abu Dhabi daher wieder aus dem TV. Teamchefs wie Christian Horner oder Toto Wolff hatten das Feature schnell für Live-Lobbying verwendet, wo es hier eigentlich nur um den Informationsaustausch zwischen Team und Rennleitung gehen sollte.
Formel 1 und FIA haben in den letzten zwölf Monaten viel unternommen, um eine Wiederholung der fünf Minuten von Abu Dhabi 2021 zu verhindern. Aber die Saison 2022 zeigt: Es geht um mehr als um bloß einen einzigen Fehltritt.
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