Auf der Linie ist nicht über der Linie: Die Formel 1 ist nach dem Monaco-GP um eine weitere Regelkontroverse reicher. Nachdem Max Verstappen und Sergio Perez zwar die Linie am Boxenausgang berührten, aber eben nicht komplett überfuhren. Und die Stewards nach dem Rennen gegen eine Strafe entschieden, weil die Event-Notizen des Rennleiters dem International Sporting Code der FIA widersprachen.

Die Situation kommt auf eine stetig anwachsende Liste an Beschwerden, und vor dem nächsten Rennen in Baku geben sich die Fahrer mit den Regel-Auslegungen von Rennleitung und Stewards nicht gerade glücklich. Ist die nach dem Debakel von Abu Dhabi 2021 erneuerte Rennleitung mit der Formel 1 überfordert? Sebastian Vettel ortet fehlende Erfahrung, Yuki Tsunoda äußert deutliche Kritik.

Tsunoda mit Vertrauensverlust: Jedes Rennen anders

"Ich vertraue der FIA ehrlich gesagt nicht, jedes Mal ist es super inkonstant", sagt Tsunoda. Zuerst auf die Frage, ob das Monaco-Urteil zur Boxenausfahrt nun in seinen Augen bedeute, dass man die Linie "überfahren" darf, solange man sie noch mit einem Teil des Reifens berührt. Das scheint nach Klarstellung in Baku nun die neue Regel zu sein.

Tsunoda zweifelt trotz vermeintlicher Klarstellung: "Bei anderen Rennen bekommt vielleicht einer eine Strafe, wenn er die Linie überfährt. Ich halte mich einfach an die Regeln, oder fahre so sicher wie möglich, damit ich keine Probleme bekomme. Ich glaube nicht, dass wir sagen können: Max und Checo haben in Monaco die Linie überfahren, jetzt können wir das auch machen. Jedes Mal ist es anders."

Tsunoda hat Erfahrung damit. Vor einem Jahr wurde er am zweiten Österreich-Rennwochenende mehrmals bestraft, weil er die weiße Linie an der Boxeneinfahrt berührt hatte. Nach dem Rennen wandte er zurecht ein, dass er dort zwei Wochen lang fast in jeder Session so gefahren war. Erst im zweiten Rennen fiel es der Rennleitung auf.

Vettel & Magnussen: FIA-Rennleitung fehlt 2022 Erfahrung

Das Hauptproblem orten die ersten Fahrer nun aber bei der neuen Führungsetage der Rennleitung. Der nach dem Finale von 2021 in Ungnade gefallene Michael Masi wurde durch das sich abwechselnde Duo von Niels Wittich (ehemals DTM) und Eduardo Freitas (Langstrecken-WM) ersetzt. Anders als Masi, der seit 2019 den Rennleiter-Posten innehatte und davor schon Teil des FIA-Teams gewesen war, sind Wittich und Freitas jedoch relativ neu in der Formel 1.

"Was uns jetzt fehlt, ist die Erfahrung, die Michael mitbrachte, weil er es so lange gemacht hat und hineingewachsen ist", vermutet Sebastian Vettel gegenüber 'PA' vor Baku. Dass sich nun zwei Rennleiter den Job teilen, hilft gegenwärtig ebenfalls nicht. Kevin Magnussen sieht Unterschiede darin, wie die beiden ihre Position handhaben: "Das ist momentan vielleicht etwas schwierig. Zu verstehen, was die Regeln sind."

Tsunoda klagt über Verwarnungen: Andere waren viel schlimmer

"Es wäre gut, wenn ihre Interpretation der Regeln komplett berechenbar wäre", sagt Magnussen. Yuki Tsunoda ortet seinerseits vor allem auch Probleme bei der Art und Weise, wie Rennleitung und Stewards 2022 Unfälle, Verkehr und Behinderungen auf schnellen Runden in Trainings und Qualifying verhandeln.

Tsunoda hat bereits drei Verwarnungen für Behinderungen, eine bekam er in Monaco. "Wegen Monaco weiß ich noch immer nicht warum", beschwert er sich. "Es ist nicht gut zu sagen, was die anderen Fahrer gemacht haben, aber andere Fahrer haben viel schlimmere Dinge getan und sie wurden nicht untersucht. Während sie in anderen Rennen plötzlich streng waren oder so."

Für die Tsunoda-Verwarnung hatten die Stewards in Monaco argumentiert, er sei trotz Warnung der Box auf der Ideallinie geblieben. Carlos Sainz, Guanyu Zhou und Sergio Perez kamen mit warnenden Worten und Geldstrafen für das Team davon, weil sie per Funk nicht ausreichend auf den Verkehr hingewiesen worden waren.

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Untersuchungen blieben in Monaco jedoch teils verworren - so wurde ein vermeintlich ähnlicher Behinderungs-Zwischenfall zwischen Sainz und Sebastian Vettel direkt im Training als straffrei abgewickelt, ohne Verhandlung mit den Beteiligten. Und am Sonntag gingen die Übertretungen der Linie an der Boxenausfahrt im öffentlichen System verschütt: Nur eine wurde von der Rennleitung überhaupt an die Stewards weitergeleitet, und Entscheidung wurde gar keine kommuniziert. Erst nachdem Ferrari offizielle Proteste einreichte, nahmen sich die Stewards der Fälle an.

Formel-1-Fahrer hoffen 2022 auf Fortschritt

Nach den bereits bekannten Streitfragen um Unterwäsche und Schmuck, nach Fragen um die Start-Verschiebung von Monaco und dergleichen hat die neue Rennleitung also einen holprigen Start hinter sich. Wenngleich nicht alles schlecht ist. So freut sich Tsunoda etwa endlich über Klarheit bei Track Limits: "Ich will nicht alles schlechtreden, es gibt auch gute Dinge."

"Es ist gerade keine einfache Position, weil auf der Rennleitung ein größerer Fokus liegt", stellt Sebastian Vettel fest. "Aber ich hoffe, dass sich die Dinge beruhigen und wir einen Weg finden, zusammenzuarbeiten, also die Fahrer und die FIA. Du kannst nie jeden glücklich machen, aber wir müssen es versuchen."