Ein Jahr nach dem Drama in Abu Dhabi sind bei Mercedes die Wunden noch lange nicht verheilt. Auch der Kampf ums Überleben und mit dem Porpoising lenkte nicht ab: Red Bull und Max Verstappens Titelgewinn vom letzten Jahr ist noch immer ein Dorn im verletzten Mercedes-Herzen. Für immer, laut Toto Wolff.

Wolff: Nichts war schlimmer als Abu Dhabi 2021

"Letztes Jahr war viel schlimmer, da gibt es keine Zweifel", vergleicht Toto Wolff die vergangen zwei Formel-1-Saisonen von Mercedes. Einmal knapp nicht Weltmeister, dafür Konstrukteursweltmeister. Einmal teilweise ins Mittelfeld abgestürzt und unerklärliche Probleme mit dem W13. Trotzdem sieht der Mercedes-Boss 2021 als die härtere Saison für die Silberpfeile: "Da waren wir so stark und dann dieses Ende. Innerhalb weniger Sekunden wussten wir: Jetzt ist es vorbei."

Dramatik pur: In der letzten Runde des letzten Rennens sicherte sich Max Verstappen seinen ersten Weltmeistertitel, Foto: LAT Images
Dramatik pur: In der letzten Runde des letzten Rennens sicherte sich Max Verstappen seinen ersten Weltmeistertitel, Foto: LAT Images

Vor allem die Handlungsunfähigkeit schmerzte. Toto Wolff sah sich zum passiven Zuschauer verdammt: "Es war vollkommen außerhalb unserer Kontrolle. Wir konnten nichts dagegen machen." Der Mercedes-Teamchef versuchte noch am Funk mit Michael Masi dagegen zu intervenieren, aber ohne Erfolg. "Ich hatte absolut die Kontrolle verloren. Das passierte mir zum letzten Mal als Jugendlicher."

Duell der Giganten: Mercedes vs. Getränkefirma

"Letztes Jahr wurde es uns weggenommen. Wir trugen keinerlei Schuld. Im Gegensatz zu dieser Saison, da waren wir einfach nicht gut genug", führt Toto Wolff weiter aus. "Red Bull ist kein Hersteller, sondern eine Getränke-Firma. Ich weiß nicht, was ihr Plan ist", zweifelte Lewis Hamilton 2011 noch am österreichischen Rennstall. "Ein Getränkehersteller gegen geschichtsträchtige Teams wie McLaren und Ferrari."

Genau dieser Getränkehersteller verhinderte eine Dekade später den achten Rekordweltmeistertitel für Lewis Hamilton. Die Niederlage für Mercedes schwieriger und persönlicher als all die Jahre zuvor für Red Bull. "Das hat Mercedes so aufgebaut. Toto kam in die Fabrik und sagte wortwörtlich: Das sind unsere Feinde", erzählt Dr. Helmut Marko. "Den Ball haben wir aufgenommen. Das ist ja auch für den Sport gut." Nachsatz des Doktors: "Solange es im gesitteten Rahmen abläuft."

Toto Wolff und Christian Horner: Zeit vergeht, Rivalität besteht, Foto: LAT Images
Toto Wolff und Christian Horner: Zeit vergeht, Rivalität besteht, Foto: LAT Images

Traumabewältigung nach Abu-Dhabi-Drama

Im gesitteten Rahmen ist das Stichwort: Besonders gegen Saisonende ist es 2021 bei Red Bull wie auch bei Mercedes etwas aus dem Ruder gelaufen. Wortgefechte zwischen Fahrern und Teamchefs, Kollisionen auf der Strecke, gegenseitiges Anschwärzen bei der Rennleitung. "Das Rennen wird doch manipuliert!", funkte ein verzweifelter Lewis Hamilton kurz vor dem Safety-Car-Restart, der ihm den achten WM-Titel kostete. Der Fahrer überwand das Abu-Dhabi-Trauma trotzdem besser als sein Team.

"Abu Dhabi 2021 wird uns noch lange beeinträchtigen. Vielleicht für immer", philosophiert Torger Christian Wolff. "Es sind diese kleinen, zufällig auftretenden Momente, wo du dich in Ruhe hinsetzt und über die letzten Minuten im Rennen nachdenkst. Dort wurden Entscheidungen getroffen, die im direkten Gegensatz zur Essenz des Sportes stehen."

Wolff: Die Stoppuhr lügt doch

Toto Wolff hadert nach wie vor mit diesen finalen Momenten. "Normalerweise gewinnt immer der Beste. Das war aber dort nicht so." Mercedes ging schlussendlich nicht vor Gericht, obwohl das Team meinte, gute Chancen im Prozess zu haben. "Die WM ist entschieden, wir müssen weitermachen. Fehler wurden gemacht und die FIA hat sich dazu bekannt."

"Das heißt aber keinesfalls, dass mich diese Momente nicht mehr beschäftigen. Fairness im Sport ist sehr wichtig", erklärt der Mercedes-Teamchef. "Die Stoppuhr lügt nie. Außer an diesem Tag, da tat sie es." 2,256 Sekunden vor Lewis Hamilton kam Max Verstappen ins Ziel. Nachdem sich Hamilton gleich in Runde eins die Führung sicherte und Verstappen zwischenzeitlich 16,389 Sekunden Rückstand hatte.

Hamilton und Wolff in Abu Dhabi, ein Jahr später

Bleibende Schäden? Zumindest an Rennwochenenden keine. Selbst bei der Rückkehr an den einstigen Schicksalsort auf dem Yas Marina Circuit kein Deja-Vu für Toto Wolff und seine Truppe: "Ich war sogar im gleichen Hotelraum, spulte genau dasselbe Programm ab. Kein Problem." Auch essenstechnisch bleibt Wolff immer gerne bei seinem Hühnchen-Salat.

Relativ gut verkraftet hat es auch Lewis Hamilton: "Ich schaue nicht in die Vergangenheit und überlege, was ich alles besser hätte machen können." Der Brite gibt aber zu, dass ihn die (zumindest aus Mercedes-Sicht) tragischen Erlebnisse des letzten Jahres verändert hätten. "Zu Beginn schon, ja. Aber meine Liebe für den Sport ist gleichgeblieben."

Folgt 2023 die Rache von Mercedes?

Was ebenfalls gleich geblieben ist, ist die Rivalität zwischen Mercedes und Red Bull (und deren Fahrern). Beim Thema Budget-Cap war fast niemand so angriffslustig wie Toto Wolff gegenüber Christian Horner. "Ich kann mir nur wünschen, dass Toto über die nächsten acht Jahre die gleichen Schmerzen wie wir erleiden muss", scherzte Christian Horner im Gegenzug, nachdem Max Verstappen in Monza das fünfte Rennen in Folge gewinnen konnte.

"Die Tage, an denen wir verlieren, sind die Tage, die unsere Konkurrenten noch bereuen werden", verkündet Toto Wolff gerne. Grund: Mercedes lerne am meisten aus Fehlern. Aber dann der unerwartete Absturz 2022. "Hoffentlich wird die Zukunft der Beweis dafür sein." Spätestens zu Saisonende, am 26. November 2023 werden wir wissen, ob Toto Wolff und Mercedes einhalten, was sie versprechen. Und wie sich die Rivalität zwischen dem deutschen und dem österreichischen Rennstall entwickelt.