Lando Norris kann es nach fünf Rennen nicht mehr hören: "Nur weil wir im Training schnell sind, erfinden die Leute diesen Mist." In Saudi-Arabien wollten alle, inklusive die Konkurrenz, zum fünften Mal in Folge McLaren als Favoriten sehen, doch auch der fehlerfreie Oscar Piastri erlebte im Qualifying und im Rennen einen Reality-Check durch Max Verstappen. Erstmals hat sich in Jeddah das F1-Kräfteverhältnis für 2025 geändert, zeigt die Renn-Analyse.

An den ersten vier Wochenenden war es ultimativ immer McLaren mit dem besten Auto. Drei Poles und drei Rennen holte man. In Japan war Red Bull in Sachen absoluter Pace näher dran, aber dass weder Piastri noch Norris gewannen, lag an ihren fahrerischen Qualifying-Leistungen. Im Rennen konnten sie aber bis ins Ziel Verstappen jagen, ohne dass ihre Reifen einbrachen. Genau deshalb ist Saudi-Arabien jetzt auffällig.

Wie in Japan schien sich Verstappen im Qualifying nur dank einer Meisterleistung auf die Pole zu quetschen - diesmal gar nur um 10 Tausendstel vor Piastri. Den Start gewann der McLaren, nebeneinander bogen sie in die erste Kurve ein, Verstappen kürzte ab und blieb vorne. Weil Red Bull sich abgedrängt und daher im Recht wähnte, ordnete man keinen Platztausch an und hoffte, der Strafe zu entgehen.

McLarens Reifen-Stärke? Im Saudi-Arabien-GP nirgends zu sehen

Aber nicht nur deshalb. "Man hat ja gesehen, dass es schwer oder fast unmöglich zu überholen ist", legt Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko dar. Red Bull pokerte darauf, dass in Saudi-Arabien passieren würde, was in Japan nicht passierte - dass dem McLaren beim Hinterherfahren in verwirbelter Luft die Reifen eingehen würde.

Auf den ersten Blick schien das illusorisch. Der McLaren ist bekannt für sein hervorragendes Management der Reifen-Temperaturen. Darauf vertraute auch Piastri, der sich nicht einfach nur zurückfallen ließ, sobald die 5-Sekunden-Strafe für Verstappen stand. Sofort nach einem frühen Safety-Car-Restart drückte Piastri an, fuhr bis Runde 14 wieder und wieder im DRS-Fenster von Verstappen.

Dann erlebte McLaren eine böse Überraschung. Die Medium-Reifen überhitzten, plötzlich begann Piastri einzubrechen und gesteht nach dem Rennen: "So viel Probleme auf dem Medium habe ich nicht erwartet." Auch Teamchef Andrea Stella nicht: "Wir dachten, wir könnten diese Stärke des Autos hier erneut ausspielen."

Jetzt musste McLaren die Strategie über den Haufen werfen. Nein, man konnte Verstappen nicht einfach in eine Überhitzungs-Spirale treiben und locker dank der 5-Sekunden-Strafe vorbeigehen. In Runde 19 schon mussten die Strategen die Initiative ergreifen, weil Piastris Rückstand auf über drei Sekunden anzuwachsen drohte: "Das Risiko war da, dass er hinter Verstappen landen würde."

Max Verstappen & Charles Leclerc brillieren im Saudi-Arabien-Rennen

Verstappen blieb draußen, in der Hoffnung, dass Piastri nach seinem Stopp hinter Lewis Hamilton Zeit verlieren würde. Denn ein großer Teil der Strecke in Jeddah sind Highspeed-Kurven, in denen man kaum überholen kann. Selbst ein langsameres Auto auf alten Reifen. Außerdem hatte Hamilton früher im Rennen schon Lando Norris mit DRS-Spielchen zwei Runden lang genervt. Daraufhin, das verriet Stella nach dem Rennen, alarmierte Norris' Renningenieur Will Joseph sogar seinen Piastri-Kollegen Tom Stallard: Er solle seinen Fahrer tunlichst vor Hamilton warnen.

Piastri unterband jegliche Gefahr mit einem brutalen Manöver im Hinterteil der Strecke, wo er außen durch den Dreck an Hamilton vorbeifuhr. Damit hatte er freie Fahrt, und Verstappen blieb nichts anderes übrig, als an die Box zu kommen, die 5-Sekunden-Strafe abzusitzen und hinter Piastri wieder rauszukommen. Doch auch mit freier Fahrt fuhr der McLaren dem Red Bull jetzt nicht davon.

Vielmehr robbte sich Verstappen auf dem Hard-Reifen bis ins Ziel wieder ran an Piastri. Beide Teams urteilten nach dem Rennen, dass hier auch kein Pace-Management irgendeine Rolle gespielt hatte. "Der Hard war sehr robust, da wurde nicht viel gespart", meint Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Keine Frage, wo Verstappen mit gutem Start und ohne Strafe gelandet wäre: "Das wäre ein Sieg gewesen."

Alle Boxenstopps und Reifenwechsel bei der Formel 1 in Saudi-Arabien in einer Grafik
Alle Reifen-Strategien und Stopps bei der Formel 1 in Saudi-Arabien, Foto: Pirelli Sport

Verstappen war nicht der Einzige, der groß aufzeigte. Charles Leclerc hatte deprimiert nach einem Qualifying schon damit gerechnet, im Rennen hinter Mercedes zurückzufallen, und machte zu Beginn auch keine Anstalten, mit George Russell mitzuhalten. Dann brach Russell, der an der genickbrechenden Pace von Verstappen und Piastri scheiterte, ein und kam zum Stopp. Plötzlich war Leclerc in Führung, und seine Reifen fühlten sich gut an.

"Die Pace bei freier Fahrt war überraschend", wundert sich Leclerc. Hinter Russell hatte er massiv an Untersteuern gelitten, plötzlich war das weg. Leclerc fuhr auf alten Medium gleich schnell wie Norris hinter ihm auf Hard, und verlor bis zu seinem Stopp im Schnitt nur etwas über vier Zehntel pro Runde auf Piastri mit deutlich frischeren Reifen. Mit dem erarbeiteten Reifen-Vorteil konnte Leclerc nach seinem Stopp locker Russell überholen und Norris bis ins Ziel in Schach halten.

Was bedeuten die Leistungen von Red Bull und Ferrari in Saudi-Arabien?

Das alles bedeutet: Im Rennpace-Ranking von Saudi-Arabien gibt es keinen McLaren-Vorteil mehr. Nimmt man alle Runden unter grüner Flagge her, so war Verstappen schnellster Mann. 1,8 Sekunden nahm er Piastri über die Distanz ab. Leclerc verlor als Dritter nur 9 Sekunden - aber 8 davon im Verkehr hinter Russell. Danach war sein durchschnittlicher Verlust auf Verstappen mit 38 Tausendstel pro Runde verschwindend gering.

Fahreralle Rundenbis Runde 19ab Runde 23
VerstappenSchnellsterSchnellster+ 1,151
Piastri+ 1,811+ 4,614+ 1,241
Leclerc+ 8,979+ 7,959+ 2,872
Norris+ 9,405+ 10,556Schnellster

So ergibt sich ein einfaches Fazit: Drei Teams waren in Saudi-Arabien im Rennen in Wahrheit gleich schnell. Die verwirbelte Luft entschied das Rennen. Im Zusammenspiel mit zum Start 40 Grad Asphalttemperatur war es einfach, mit auch nur kleiner Überhitzung ins Hintertreffen zu geraten. "Das zeigt erneut, dass es nicht nur um Pace geht", sagt Andrea Stella. McLaren glaubt zwar, nach wie vor das schnellste Auto zu haben, aber: "Es ist alles so eng, dass kleine Variablen wie Asphalt oder die Handhabung der Reifen das Kräfteverhältnis ändern."

Red Bull fassungslos! Wurde Verstappen der F1-Sieg geklaut? (10:00 Min.)

Die Dominanz von McLaren in den Trainings sei stets falsch eingeordnet worden, beklagt sich Norris: "Wir glauben nicht, dass wir weit vorne sind, und das sieht man. Nur weil wir etwas mehr im Training zeigen. Dann kommt im Qualifying eben nicht mehr viel. So legen wir unsere Wochenenden an, um sie zu optimieren." Stella mahnt: "Uns ist damit klar, dass es eng wird und wir perfekt sein müssen."

Auf Red-Bull-Seite fühlt man sich jetzt bestätigt: Ja, der RB21 kann in ein Fenster gebracht werden, wo die Reifen auch im Rennen passabel halten. Das zeigte Verstappen, indem er sich auch hinter Piastri nicht abschütteln ließ. Und auch wenn Jeddah keinen massiven Reifenverschleiß bot, so bewiesen die Rennen von Piastri und Russell, dass Pace-Abbau - anders als in Japan - durchaus passieren konnte. Tat er am Red Bull aber nicht.

Jetzt muss Red Bull es nur schaffen, die Setup-Fortschritte für die nächsten Rennen zu konsolidieren. Damit sind sie aber schon einen Schritt weiter als Ferrari. Leclerc hat bislang noch keine Ahnung, was er im Qualifying falsch macht. Deshalb kann er die Rennpace fast nie zeigen. Jeddah ist aber nach Lewis Hamiltons Sprint-Sieg von China der zweite Hinweis darauf, dass diese Pace schon irgendwo im SF-25 steckt. Während Mercedes in Jeddah eher einen negativen Ausreißer hatte. Aktuell erscheint ein F1-Vierkampf wahrscheinlicher als McLaren-Dominanz.