Grundsätzlich ist die Antwort recht einfach, wie Max Verstappen in Japan McLaren in einem unterlegenen Auto besiegt hat. Er war perfekt, als es im Qualifying und im Rennen drauf ankam. Das ändert nichts daran, dass der McLaren MCL39 übereinstimmend von den Protagonisten auch in Suzuka zum schnellsten Auto erklärt wurde. Die Renn-Analyse überprüft, wie Angst ein Team mit dem schnellsten Auto in einem Zwei-gegen-Einen-Szenario am Siegen hindern konnte.
Einfach kann man es sich mit den Umständen machen. Der im ersten Sektor neu asphaltierte Suzuka International Racing Course hatte sich unerwartet für 2025 in eine Strecke ohne nennenswerten Reifenabbau verwandelt. McLarens größter Vorteil in diesem Jahr kommt aber eben mit zunehmendem Verschleiß im Rennen. In den ersten zwei Grands Prix fiel Verstappens Red Bull mit vollen Tanks meist schnell ab.
Weil die härteste Pirelli-Palette in Suzuka mit dabei war und ein Einstopp-Rennen mit ewig langen Stints ermöglichte, hatte Verstappen mit einer wahnsinnigen Qualifying-Runde bereits am Samstag halb gewonnen. Lando Norris und Oscar Piastri waren beide nicht perfekt. Dafür durften sie sich für den Rest des Rennens den Red-Bull-Heckflügel anschauen. Ohne Verschleiß kam der hier für ein Überholmanöver nötige Pace-Vorteil von mindestens sieben Zehnteln nie zustande.
McLaren fährt im Rennen Langweiler-Strategie: So konservativ wie möglich
So viel zum grundsätzlichen Problem. Das führt sehr schnell zu McLarens strategischen Entscheidungen. Obwohl die Reifen gut hielten, war es ein klares Undercut-Rennen. Wer sich beim einzigen Boxenstopp neue Hard-Reifen holte, konnte sofort über eine halbe Sekunde schneller fahren. Ein früher Stopp ermöglichte also in der Theorie Druck aufzubauen und vielleicht sogar eine Position zu gewinnen.
Bizarr muten da McLarens Stopp-Entscheidungen an. Man bluffte recht früh mit einem "Box opposite"-Funkspruch an Norris, als der auf knapp eineinhalb Sekunden an Verstappen dran war, nahm den aber vor Ende der Runde wieder zurück. Red Bull reagierte nicht. Stattdessen wechselte kurz darauf in Runde 20 Piastri. Nicht zum ersten Mal wich McLaren vom gängigen F1-Protokoll ab. Normalerweise stoppt in einem Undercut-Rennen immer der führende Fahrer des Teams zuerst.

Stattdessen lief Norris Gefahr, den Platz unverschuldet an Piastri zu verlieren. Ein verpöntes Szenario. So hatte McLaren Red Bull im Klartext telegrafiert, dass Norris, einziger Fahrer in Undercut-Reichweite zu Verstappen, in Runde 21 stoppen würde. Das bestätigte auch Teamchef Christian Horner: "Es war offensichtlich." Red Bull musste also bloß auch Verstappen in Runde 21 stoppen, um Norris die einzige Chance zu nehmen.
Interessanterweise waren die Red-Bull-Stopps in Japan unverhältnismäßig schlecht, weil Stammpersonal fehlte. Norris stand 0,95 Sekunden kürzer und kam neben Verstappen aus der Box. Rückblickend ist das Fazit: Ein Undercut hätte aufgehen können. Wenn Norris schon eine knappe Sekunde beim Reifenwechsel an sich gewinnen konnte, plus mehr als eine halbe Sekunde auf der Outlap mit neuen Hard-Reifen - und vor den Stopps ab Runde 19 nur 1,5 Sekunden hinter Verstappen gelegen war...
Warum stoppte McLaren Piastri & Norris so seltsam?
Die Mathematik an sich ist also einfach: Es scheint jeder Logik zu entbehren, warum McLaren nicht zumindest einen Undercut mit Norris versuchte. Teamchef Andrea Stella tritt nach dem Rennen zur Verteidigung seiner Strategen an. So einfach sei es dann doch nicht. Zuerst einmal machten die Strategen sich überraschend große Sorgen um Verkehr, und um den dritten Platz von Oscar Piastri.
Denn in Runde 19 hatte George Russell gestoppt. "Das mussten wir abdecken", beschwört Stella. Angst vor dem Mercedes-Undercut trieb McLaren in die Box, obwohl Russell in Runde 18 bereits viereinhalb Sekunden hinter Piastri nur auf dem fünften Platz lag und eigentlich bloß ein Rennen gegen den viertplatzierten Charles Leclerc fuhr. Um Piastri auch noch zu überholen, hätte der nicht nur eine, sondern mindestens drei Runden länger draußenbleiben müssen.
Platz | Fahrer | Rückstand Runde 18 |
---|---|---|
1 | Verstappen | - |
2 | Norris | + 1,830 |
3 | Piastri | + 3,903 |
4 | Leclerc | + 6,574 |
5 | Russell | + 8,665 |
6 | Antonelli | + 11,265 |
7 | Hamilton | + 13,277 |
8 | Hadjar | +16,104 |
9 | Albon | + 18,198 |
10 | Bearman | + 21,529 |
11 | Alonso | + 24,264 |
12 | Gasly | + 26,547 |
13 | Tsunoda | + 27,234 |
Nicht zum ersten Mal reagierte McLaren lieber mit einem Sicherheits-Stopp, um auch so unwahrscheinliche Szenarien wie einen schlechten Reifenwechsel miteinzubeziehen. So hatte man im Vorjahr in Ungarn das Stallorder-Drama zwischen Piastri und Norris heraufbeschworen. Damals hatte man den Sieg wenigstens als Team bereits sicher gehabt. In Japan 2025 schien man vom Moment des Russell-Stopps nicht mehr an den strategischen Kampf gegen Verstappen zu denken.
Was war McLarens Plan mit dem Verkehr?
Im Russell-Szenario schien McLaren auch den Verkehr nicht mehr so recht zu berücksichtigen. Denn in Japan waren die Lücken im Mittelfeld sehr klein. Als in Runde 19 Russell die Stopps der Spitzengruppe lostrat, hatte er nicht weniger als sechs langsamere Mittelfeld-Autos in seinem Boxenstopp-Fenster, und kam vor allem direkt hinter Pierre Gasly und Yuki Tsunoda raus. Das schmälert die Undercut-Chancen, weil Überholen in Suzuka so schwer ist.
Anzahl der Autos im Boxenstoppfenster der Top-5:
Runde | Verstappen | Norris | Piastri | Leclerc | Russell |
---|---|---|---|---|---|
17 | 3 (HAD, ALB, BEA) | 4 (+ ALO) | 6 (+ GAS, TSU) | 6 | 8 (+ LAW, SAI) |
18 | 3 (HAD, ALB, BEA) | 4 (+ ALO) | 6 (+ GAS, TSU) | 6 | 7 (+ LAW) |
19 | 3 (HAD, ALB, BEA) | 3 | 4 (+ ALO) | 6 (+ GAS, TSU) | 6 |
20 | 2 (HAD, ALB) | 3 (+ BEA) | 3 | 6 (+ ALO, GAS, TSU) | hinter TSU |
21 | 2 (HAD, ALB) | 2 | hinter BEA | 3 (+ ALO) | hinter GAS |
22 | hinter ALB | hinter VER | hinter NOR | hinter ALO | hinter LEC |
Der Verkehr spielt auch eine wesentliche Rolle, warum McLaren den Norris-Undercut nicht früher wagte. Er wäre im Verkehr herausgekommen. Russells Undercut-Versuch gegen Charles Leclerc scheiterte genau deswegen. Im Mittelfeld-Verkehr war er fünf Runden lang nicht einmal schneller als vor dem Stopp, weil er überholen musste. Bei Mercedes hatte man vor dem Rennen, wohl wissend um die schlechten Chancen, sich explizit festgelegt: Ja, wir riskieren Undercuts auch bei Verkehr. Die Rechnung ging nicht auf.
Das Russell-Szenario wirft auch ein neues Licht auf die Piastri-Situation. Selbst die dadurch viel stärker unter Druck gesetzten Strategen bei Ferrari erkannten, dass die Gefahr von Russell bei weitem nicht so groß war, und warteten zwei Runden, ehe sie Leclerc stoppten. Hätte McLaren also den Piastri-Stopp ebenso um zwei Runden hinausgezögert - was zeitlich locker möglich war -, so hätte man Norris in Runde 21 als ersten Mann der Spitze in eine sich gerade öffnende Mini-Lücke zwischen Oliver Bearman und Alex Albon stoppen können.
Für Verstappen wäre diese Lücke ohne dem Wissen, dass Norris stoppen würde, nicht wirklich attraktiv, weil er eineinhalb Sekunden weiter vorne war und damit bei einem Stopp bereits zu dicht hinter Albon zurück auf die Strecke gekommen wäre. Ein Boxenstopp kostet in Japan rund 22 Sekunden. Norris hätte aber potenziell in der kleinen Lücke gerade genug Platz für einen Undercut-Versuch gehabt. Zumindest den Versuch wäre es wert gewesen.
McLaren will auch nicht länger fahren - und will keine Stallorder
Nicht nur im Undercut-Geschäft blieb McLaren risikoscheu. Die potenzielle Strategie-Zange durch das Zwei-gegen-Eins-Szenario mittels geteilter Strategien aufgehen zu lassen wagte man ebenso nicht. Auf dem Papier zeigte schließlich etwa Kimi Antonelli im Mercedes, dass der Start-Medium keinen Performance-Einbruch mit sich brachte. Antonelli zögerte seinen Stopp bis Runde 31 hinaus und konnte durchwegs konstante Zeiten fahren.
So ein Overcut war in einem direkten Duell in Suzuka aber eher wertlos, weil man trotzdem gegen Fahrer mit neuen Hard-Reifen Zeit verlor. Letztendlich wäre der länger fahrende McLaren dadurch also irgendwann hinter Leclerc und Russell zurückgefallen - aber weil der Reifen auch im zweiten Stint nicht nachließ, war der sonst oft durch einen späteren Stopp erkaufte Reifenvorteil in Japan nicht gegeben.
Hintenraus öffnete sich für McLaren noch ein Fenster, nachdem Norris im zweiten Stint nie in Verstappens DRS-Fenster kam. Piastri schien in den letzten 15 Runden wie der Schnellere. Wiederholt fuhr er ins DRS-Fenster von Norris und fragte schließlich höflich am Funk indirekt um eine Stallorder an, um sein Glück an Verstappen zu versuchen. Das Team gewährte sie ihm nicht. "Ich denke nicht, dass Oscar eindeutig schneller war", wehrt Andrea Stella ab.
"Lando wollte wohl näher in den Windschatten von Max, aber sobald er unter eine Sekunde kam, ging signifikant Grip verloren", glaubt Stella. Indem man die Fahrer sich selbst überließ, umging man auch elegant das Drama-Potenzial, welches durch so eine Stallorder aufkommen kann. Wäre Piastri erfolgreich, so hätte er aus dem dritten einen ersten Platz gemacht, während Norris' selbst herausgefahrener zweiter zu einem dritten geworden wäre.
Da beide sich im Kampf um den Fahrertitel wähnen, ist so eine Entscheidung im Sinne der Team-Harmonie und internen Fairness-Wahrnehmung schwierig. Die Konkurrenz bei Red Bull weiß das nur zu gut. "Sie setzen darauf, dass sie die Fahrer das unter sich ausfahren lassen, und das ist der unvermeidliche Kompromiss davon", meint Christian Horner.
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