Max Verstappen ist nicht nur der schnellste Autofahrer der Welt, sondern auch ein Mann der klaren Worte. Im Interview mit dem Motorsport-Magazin beweist er das einmal mehr.
MSM: Wann immer dich jemand nach weiteren Rekorden fragt, erklärst du, dass alles vom Auto abhängt, das du in Zukunft bekommst. Aber inwiefern kannst du durch Setup, Entwicklungsrichtung, Teambuilding etc. beeinflussen, was du in Zukunft bekommst?
MAX VERSTAPPEN: Wenn ich ein Auto habe, versuche ich es natürlich immer schneller zu machen. Aber das kannst du nur bis zu einem gewissen Grad machen. Ich glaube daran, dass du in einem engen Zweikampf, in dem es um ein oder zwei Zehntel geht, als Fahrer den Unterschied machen kannst. Aber wenn es mehr als da ist, wird es sehr schwer.
Verstappen: Red Bull muss immer 100 Prozent abliefern
Aber schauen wir auf das große Bild, schauen wir auf den langfristigen Einfluss: Wie sehr kannst du das Team um dich herum bauen?
Es ist natürlich wichtig, dass man das Team zusammenhält, wenn man viel Erfolg hat. Ich brauche aber niemanden zu motivieren. Sie sind alle schon motiviert. Ich erwarte von ihnen natürlich, dass sie 100 Prozent geben, genauso wie ich auch von mir die 100 Prozent verlange. So funktioniert es. Wir haben zu allen eine sehr gesunde Beziehung. Jeder weiß, wie ich an einem Wochenende ticke und ich glaube, jeder liebt es, miteinander zu arbeiten.
Deine Beziehung zu deinem Renningenieur Gianpiero Lambiase ist eine ganz besondere, wie wir immer wieder am Funk mithören dürfen. Inwiefern hat sich eure Beziehung dorthin entwickelt?
Als ich beim Team begonnen habe, da war ich 18. Jetzt bin ich 26. Da wächst man als Person sehr stark. Aber auch die Beziehung zueinander wächst. Man verbringt viel Zeit miteinander, man erlebt viel. Da steckt viel mehr dahinter. Die Beziehung zwischen Ingenieur und Fahrer ist unglaublich wichtig.
So wichtig, dass du einmal gesagt hast, dass du aufhörst, wenn Gianpiero aufhört...
Ja, denn es ist schwierig, mit jemand anderem zu arbeiten, wenn man so viele Jahre gemeinsam verbracht hat. GP muss noch ein paar Jahre machen, dann kann er etwas anderes machen [lacht]. Aber man weiß nie, was Leute in ihrem Leben machen wollen. Vielleicht sagt er in einem Moment auch: Das war's, ich will kein Renningenieur mehr sein oder was auch immer. Wir sehen einfach, wie es läuft.
Verstappen: Niemand ist wie Adrian Newey
Adrian Newey hat seinen Vertrag mit Red Bull verlängert. Er hat einst als Renningenieur begonnen. Wie ist deine Beziehung zu ihm? Wie wichtig ist er?
Adrian hat so viel Erfahrung und Wissen. Sowohl über die Vergangenheit, als auch über die Gegenwart. Man kann mit ihm mehr im Racing-Style sprechen. Gleichzeitig müssen wir aber auch die gesamte Gruppe an Menschen würdigen, die dahintersteht. Denn es ist nicht nur Adrian, es ist die gesamte Gruppe an Ingenieuren um ihn herum, die ebenfalls einen unglaublichen Job macht.
Ich sehe Adrian eher so: Du hast neue Talente, die aufkommen und dann hast du da einfach noch Adrian. Er ist wie ein Mentor. Viele von ihnen haben Fragen, die sie ihm stellen und dann mit ihm diskutieren können. Adrian ist jetzt 65. Da muss man auch die jungen Talente würdigen, die nachkommen. Ich finde es faszinierend, wie sie jetzt komplett zusammenarbeiten.
Ist Adrian Newey unersetzlich?
Naja, niemand wird wie Adrian sein. Das ist auch das schöne daran, dass jeder anders ist und dass jeder Erfolg auf andere Weise erreicht. Deshalb: Nein, man kann Adrian nicht ersetzen, weil es nur einen Adrian gibt. Aber es ist wundervoll zu sehen, dass neues Talent kommt, mit dem er schon seit einer langen Zeit arbeitet. Und es ist wundervoll zu sehen, wie dieses Talent seine eigenen Wege geht und wir dadurch erreichen, was wir eben erreichen.
Verstappen: Formel 1 ist nicht alles im Leben
Du bist jetzt dreifacher Weltmeister und brichts alle Rekorde. Jeder sagt heute natürlich, dass es klar war, dass es so kommen würde, dass dein Weg auch aufgrund deines familiären Hintergrunds so vorgezeichnet war. Aber gab es jemals in deiner Karriere einen Punkt, an dem du Zweifel hattest? Zweifel an dir selbst, Zweifel daran, dass du es schaffen kannst?
Ich habe einfach immer nur gemacht und dachte mir, wir werden sehen, was am Ende dabei herauskommt. Ich war nie zu besorgt darüber, weil ich dafür gearbeitet habe. Ich war aber nie gestresst oder nervös und habe mich gefragt, ob ich es schaffen würde. Ich habe einfach immer mein Bestes gegeben und gehofft, dass es mich dorthin bringt, wo ich sein wollte - und das ist hier.
Hattest du denn einen Plan B, wenn es nicht funktioniert hätte?
Ich hätte etwas anderes im Rennsport gemacht. Formel 1 ist nicht alles im Leben. Es gibt viel, was man im Rennsport machen kann, das deine Träume auch erfüllt.
2017 Schicksalsjahr für Max Verstappen
Wenn wir über Zweifel sprechen: Du hast lange als Wunderkind der Formel 1 gegolten, aber du hattest sehr lange nicht die Chance, um Titel zu kämpfen. Hattest du da irgendwann Zweifel, dass es nie klappen würde?
Ein paar Mal. 2017 sah es an einem Punkt ziemlich schlecht aus. Wir sind so oft ausgefallen. Ich hatte aber Vertrauen in den Prozess. Es ging nur darum, einen Weg zu finden, wie wir an die Spitze kommen. Glücklicherweise kam dann Honda. Es war eine unglaubliche Entscheidung von Helmut, auf Honda zu setzen. Ich glaube, damals waren nicht alle davon überzeugt. Aber glücklicherweise zahlt es sich nun aus. Das war auch gleichzeitig eine neue Motivation. Ich war aufgeregt, zu sehen, was in Zukunft möglich ist.
Einfach nicht rangegangen - Verstappen über Anrufe von Dr. Helmut Marko
Du hast Dr. Helmut Marko angesprochen. Wie würdest du eure Beziehung beschreiben?
Die Beziehung ist sehr ehrlich, sehr geradlinig, sehr offen. Natürlich können wir uns heute einander alles sagen. Aber es war bei mir nie so wie bei anderen Junioren, die vor Helmut regelrecht Angst hatten. Ich erinnere mich daran, dass er auch immer morgens um 07:30 oder 08:00 Uhr angerufen hat. Ich bin einfach nicht rangegangen.
Ich habe mir gedacht, ich gehe zu dieser Zeit nicht ans Telefon, da schlafe ich noch. Ich habe ihn dann einfach um 10:00 Uhr oder wann auch immer zurückgerufen. An einem Punkt hat er dann glaube ich verstanden, dass ich auch bei ihm nicht um 07:30 oder 08:00 Uhr abhebe. Ich glaube, er mag das auch in gewisser Weise, weil man seine Grenzen abgesteckt hat und er genauso ist.
Wir haben ein wirklich gutes Verständnis darüber, wie wir arbeiten. Es ist überhaupt nicht kompliziert. So bin ich ohnehin meine gesamte Karriere angegangen: Wenn es scheiße ist, ist es scheiße und wenn es gut ist, ist es gut. Es gibt nichts dazwischen. Entweder ist es scheiße oder es ist gut.
Warum willst du Dr. Marko um dich herumhaben?
Weil er wichtig für das Team ist.
Sprach- und Handybarrieren machten Verstappen das Leben schwer
Sprecht ihr eigentlich auf Deutsch oder Englisch miteinander?
Auf Deutsch. Er hat sehr früh klargestellt, dass wir auf Deutsch sprechen. Damals war es für mich noch sehr schwer, auf Deutsch zu kommunizieren. Einmal musste ich ein Interview für Servus TV geben und er hat gesagt: Nein, Max macht das auf Deutsch. Der Interviewer hat sich gedacht: Was zur Hölle? Und ich dachte mir: Scheiße. Aber es ist gut, denn es ist persönlicher, wenn man mit den Big Bosses in ihrer bevorzugten Sprache spricht.
Und dann spricht er noch nicht einmal Deutsch, sondern Österreichisch...
Als er noch sein Nokia hatte, war es manchmal richtig schwierig zu verstehen, was er eigentlich gesagt hat. Aber seit er sein iPhone hat, ist die Qualität ein bisschen besser.
Verstappen: Wir sind nicht dumm!
Du hast Honda als wichtigen Faktor angesprochen. 2026 fährt Red Bull erstmals mit einem eigenen Motor. Nach ersten Versuchen im Simulator hast du das 2026er Reglement scharf kritisiert. Die Antworten ließen nicht lange auf sich warten: Red Bull würde in der Entwicklung hinterherhinken und ihr hättet veraltete Daten getestet. Hat sich deine Meinung geändert?
Ich wüsste nicht, welche Zahlen anders wären. Ich glaube nicht, dass wir dumm sind. Wir werden schon noch herausfinden, wie gut es sein wird. Im Moment ist es noch immer nicht besonders aufregend.
Wenn es 2026 so schlecht sein sollte, wie du derzeit denkst: Wäre das ein Faktor, deinen Vertrag nach 2028 nicht zu verlängern?
Ja, möglicherweise.
Es wäre einfach, das Verhältnis zwischen Verbrenner und E-Power anzupassen...
Aber niemand wird zustimmen. Dieser Sport ist so politisch. Wenn wir für eine Sache pushen, dann denken die anderen, dass wir vielleicht etwas gefunden haben, das ein Vorteil sein könnte. Also sagen sie nein. So funktioniert die Formel 1. Wenn man etwas findet, ist es immer so, dass es nicht unterstützt wird. So war es immer, das ist Teil dieses Sports. Manchmal muss man damit leben, denn man kann ohnehin nichts daran ändern.
Keine Langeweile, kein Frust: Verstappen 2023 auf Wolke 7
Du hats in dieser Saison zehn Rennen am Stück gewonnen. Du hast selbst gesagt, dass du die Rennen anders angegangen bist. Du hast das Risiko vor allem in der Startphase minimiert, weil du nur verlieren konntest. Hat es da nicht mehr Spaß gemacht, weiter hinten zu sein und ganz frei fahren zu können?
Ich fand das damals sehr frustrierend, als ich nicht gewinnen konnte. Denn du hast das Gefühl, dass du es kannst - du kannst es aber nicht zeigen. Deshalb bin ich sehr glücklich in der Position, in der ich jetzt bin. Davon habe ich geträumt. Ich habe gehofft, dass es so kommt. Jetzt, da die Situation gekommen ist, versuche ich sie natürlich zu nutzen.
Jeder sagt, die Stärke des RB19 sei der Renntrimm. In deinen früheren Red-Bull-Zeiten war das ähnlich. Du hast 'nur' 32 Pole Positions in deiner Karriere geholt, aber schon 54 Siege. Lag es immer am Auto oder bist du einfach ein guter Qualifyer, aber ein herausragender Rennfahrer?
Das stimmt schon, aber ich glaube auch nicht, dass unser Auto damals so viel schneller im Rennen war. Manchmal sah es auch so aus, als wären wir im Qualifying nah dran. Aber ich finde, das ist immer schwierig zu sagen, weil du nie weißt, wie gut die Runden der anderen waren.
Und dann ist es auch noch so gewesen, dass ein spezieller Motorenhersteller von 2014 bis 2017 oder 2018 einen Party Mode hatte. Wenn sie wollten, hatten sie mehr in ihren Händen. Deshalb gab es zu dieser Zeit ein etwas verzerrtes Bild. Sie haben es sehr smart gemacht, denn warum sollte man auch alles zeigen, wenn man ohnehin schon gewinnt? Natürlich gibt es eine Pole-zu-Sieg-Quote... Aber ich sehe es immer so: Punkte gibt es am Sonntag. Die Samstage sind nicht so wichtig.
Kein Sonntagsfahrer: Max Verstappen
Bist du als Rennfahrer am Sonntag besser?
Ich liebe den Sonntag mehr. Ich genieße den Sonntag mehr - aber wenn ich am Samstag ein gutes Auto habe, versuche ich natürlich auch, es auf Pole zu stellen. Manchmal ist es auch nur die Charakteristik des Autos oder so etwas. Mit weniger Benzin liegen die Autos außerdem näher zusammen. Dadurch werden kleine Schwächen der Autos manchmal maskiert. Es stecken viele Dinge dahinter.
Es wird viel über dein Rennen in Baku gesprochen. Bei dir hat es im Rennen Klick gemacht und seither bist du nahezu unschlagbar. Wie sehr ist das Fahren für dich natürlich, wie sehr geht es nur um Daten?
Damals ging es mehr darum, dass ich einfach Dinge ausprobiert habe, wodurch ich mich wohler gefühlt und das Auto verstanden habe. Baku ist aber mit seinen 90-Grad-Kurven sehr spezifisch. Wenn du dich dort nicht wohl fühlst und dir das Vertrauen fehlt, dann verlierst du Zeit. In diesem Rennen habe ich einen besseren Weg gefunden, das Auto für den Rest der Saison zu operieren. Am Ende des Tages sprechen wir über das Gefühl und das Abgleichen mit den Daten. Es ist ein Mix aus beidem.
Verstappen: SIM-Racing hilft mir in der Formel 1
Mit Sebastian Vettel haben wir hier einst über Sinn und Unsinn des Simracing als Formel-1-Vorbereitung gesprochen. Er hat die virtuelle Welt nicht für sich entdeckt - du sehr wohl. Auch wenn es dich nicht schneller macht: Macht es dich zu einem besseren Rennfahrer? Dein Gehirn ist an verschiedene Abläufe gewohnt, du gewöhnst dich auch dort daran, mit Druck umzugehen und so weiter.
Es schadet nicht. Man macht dort die gleichen Dinge: Ich denke über Strategie nach, ich denke über Boxenstopps nach, du verteidigst dich, du überholst, du kümmerst dich um deinen Reifenverschleiß, den Benzinverbrauch - es gibt viele Ähnlichkeiten.
Natürlich fährst du andere Autos, aber dein Gehirn funktioniert noch in der gleichen Weise. Man hat immer das Gefühl, heiß zu sein. In gewisser Weise testest du dich immer und es ist auch sehr aufregend, gegen unterschiedliche Talente in der virtuellen Welt zu fahren, die sehr gut in dem sind, was sie da machen. Du versuchst dann auch so gut zu sein und versuchst, wirklich alles rauszuholen.
Dieses Interview erschien in Ausgabe 94 unseres Print-Magazins. Am Ende der Saison veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Bestelle das Motorsport-Magazin direkt auf unserer Webseite. Ebenfalls in Ausgabe 94 erschien dieser Artikel:
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