Für Formel-1-Weltmeister Max Verstappen war das letzte Rennen 2023 in Abu Dhabi die Kür einer beispiellosen Saison. Beim Schaulaufen richteten er und seine Red-Bull-Mannschaft ihre Strategie sogar auf die für sie sonst zu vernachlässigenden Zahlenspiele aus. Auf dem Weg zum 19. Sieg des Jahres wollten sie die 1.000. Führungsrunde unbedingt noch mitnehmen. Nach dem perfekten Finale einer perfekten Weltmeisterschaft ist sich Verstappen der Tragweite seiner Leistung in jeder Hinsicht bewusst. Mit 26 Jahren ist er auf dem Zenit.

"Was auch immer du im Motorsport machst, du wirst das niemals toppen", so der dreifache Champion nach dem 54. Triumph seiner Formel-1-Karriere, mit dem er in der ewigen Bestenliste an Sebastian Vettel vorbeizog. Nur zwei Fahrer gewannen in der 73-jährigen Geschichte des Sports mehr Rennen. Lewis Hamilton und Michael Schumacher sind mit 103 beziehungsweise 91 Erfolgen noch weit voraus, doch die Rekorde erreichte Verstappen in seiner dritten WM-Saison zu Hauf.

Mit zehn Siegen in Serie brach er Vettels Rekord aus dem Jahr 2013. 19 Siege in einer Saison sind ein weiterer Bestwert, und das mit einer neuen Rekordquote von 86,36 Prozent, mit welcher er die ewige Bestleistung von Alberto Ascari aus dem Jahr 1952 in den Schatten stellte. Mit 575 Punkten erreichte er 92,7 Prozent der in diesem Jahr vergebenen Gesamtpunktzahl und in Abu Dhabi durchbrach er zielsicher die Schallmauer von 1.000 Führungsrunden in einer Saison.

"Ich wusste, dass das heute im Rennen drin ist und wir haben es vorher mit den Ingenieuren abgestimmt. Wir haben die Strategie so geplant, dass ich nicht zu früh an die Box komme und wir erst abwarten, bis die anderen stoppen, um das zu erreichen", erklärt Verstappen, der schlussendlich 52 der 58 Runden anführte und so 2023 auf 1.003 Lead Laps kam. "Das war vielleicht nicht die schnellste Taktik aber wir wollten vorne bleiben, um die Runden zu bekommen."

Siege für Verstappen nicht das Wichtigste

Dass er und seine Crew sich in einem Grand Prix derartigen Zahlenspielen hingeben können, spricht für die Unantastbarkeit von Red Bull und Max Verstappen in diesem Jahr. "Es wird sehr schwierig, noch einmal eine solche Saison zu haben. Wir wissen das", so der Champion, der Leistung aber nicht alleine an Zahlen festmachen will. "Du willst dich immer verbessern, aber das bedeutet nicht immer Rennsiege oder die Weltmeisterschaft zu gewinnen."

Die größte Zufriedenheit gaben ihm auch 2023 nicht allein die Erfolge. "Es ist einfach der Teamgeist, nicht so sehr die Siege, oder Poles, oder Führungsrunden", stellt er klar. "Es ist mehr der Spaß, den wir als Team hatten. Gewinnen ist toll, aber es ist auch sehr wichtig, eine gute Atmosphäre im Team und mit den Menschen, mit denen du arbeitest, viel Spaß zu haben. Jeden Tag zu sehen, wie alle zusammen ihr Bestes für dich geben, ist schön zu sehen."

Unersättlicher Verstappen nach WM-Titel unbesiegt

Dass er nach dem Titelgewinn im Sprint von Katar die sechs darauffolgenden Grands Prix gewann, verstand sich vor diesem Hintergrund von selbst: "Ich denke, dass ich einfach so erzogen wurde. Ich kann nicht ins Wochenende gehen, ohne alles zu geben, denn sonst bin ich nur von mir selbst genervt und dann sind alle Menschen um mich herum auch von mir genervt, wenn ich so drauf bin. Meine Einstellung hat sich nach dem Titelgewinn nicht geändert."

Mit dem RB19 stand ihm dieses Jahr ein Auto zur Verfügung, das mit 21 Siegen aus 22 Rennen die dominantesten Boliden der Geschichte übertrumpfte. Einzig McLaren gelang es 1988 mit Ayrton Senna und Alain Prost im MP4/4 alle Grands Prix [15/16] bis auf einen für sich zu entscheiden. Mercedes erreichte 2016 mit Lewis Hamilton und Nico Rosberg 19 Siege aus 21 Rennen.

"Die letzte Runde war etwas emotional. Es war das letzte Mal, dass ich in diesem Auto saß, das mir so viel gegeben hat", sagt Verstappen, der sich hinter dem Steuer des technischen Meisterwerks fast schon zum Siegen verpflichtet fühlte. "Wenn du so ein gutes Auto hast, willst du weiter gewinnen und Rekorde holen. Generell war das Auto besser als letztes Jahr. Wir waren sehr stabil, hatten keine Defekte. Das war dabei auch ein Schlüssel."

Marko sieht für Verstappen keine Grenzen

Verstappen und das Team in Abu Dhabi auf dem absoluten Höhepunkt zu sehen, ließ Dr. Helmut Marko emotional werden. "Es ist etwas, das wir uns nie erträumt haben. Diese Saison hat alles getoppt. Es ist jammerschade, dass es ein Jahr nach dem Tod von Dietrich Mateschitz ist und er das alles nicht mehr erleben konnte", ist der Grazer am Mikrofon von Sky in Gedanken beim Red-Bull-Gründe, der im Oktober 2022 verstarb.

Beim zweiten Champion aus Red Bulls Förderprogramm nach Sebastian Vettel sieht Marko so gut wie keine Schwächen. Einzig das überschüssige Temperament, mit dem sich Verstappen in jungen Jahren hin und wieder selbst ausbremste, kommt manchmal noch zum Vorschein. "Wenn das Auto nicht seinen Vorstellungen entspricht, wird er etwas ungeduldig. Ich habe das aktuell aber auch nicht für möglich gehalten, also sehe ich nach oben hin keine Grenzen", so Marko.

Red Bull rechnet 2024 mit mehr Gegenwehr

Zwar lässt sich 2023 kaum toppen, doch das Ziel für 2024 ist selbstverständlich, die Konkurrenz abermals im Griff zu haben. "Wir arbeiten hart, um nächstes Jahr ein sehr konkurrenzfähiges Auto zu haben. Sicherlich wollen alle anderen Teams versuchen, uns nächstes Jahr zu schlagen, aber wir sind bereit für den Kampf", kündigt Verstappen an.

Christian Horner ist nach drei WM-Titeln in Folge alarmiert, dass Mercedes und Ferrari nun noch mehr auf Revanche aus sein werden. "Wir finden immer Wege, für kleine Verbesserungen, aber das ist nie genug. Wir wissen, dass unsere Rivalen das [Red Bulls Erfolg] nur noch mehr antreibt, uns noch härter zu bekämpfen. In diesem Sport gibt es keinen Stillstand. Alles schreitet so schnell voran und man kann sehen, dass die anderen Teams uns näher gekommen sind, als wir nicht mehr entwickelt haben", so der Brite am Mikrofon von Sky Sports F1.