Ein eigener Gin, eine Kaffeemarke, ein Weingut. Mitbesitzer eines Eishockey-Teams, ambitionierter Radfahrer und Mode-Liebhaber. Obendrauf einen Mercedes-AMG ONE in der Garage. Mit jeder Menge F1-Hybrid-Power unter der Haube. Nein, die Rede ist nicht von Lewis Hamilton. Dieser Name dürfte sogar eher weniger gerne gehört werden. Vielmehr geht es um einen Mann, der beim Saisonfinale in Abu Dhabi seinen 222. Grands Prix bestritten hat. Und diesen von den TV-Kameras relativ unbeobachtet mit einer Runde Rückstand auf dem 19. und vorletzten Platz beendete.

Bottas im Kampf mit den Details

Die Rede ist von Valtteri Bottas. "Wenn ich so etwas mache, dann fühle ich mich so, als gäbe es mir Energie, anstatt sie zu verschwenden", erzählt der 34-jährige Finne im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin, während das Flutlicht das Fahrerlager von Katar erhellt. Wie in der Formel 1 geht es auch bei vielen seiner Hobbys und Unternehmensbeteiligungen darum, jede Nuance, jedes noch so kleine Detail perfekt umzusetzen.

"In diesem Sport musst du dich wirklich in die Details knien. Alles muss so präzise sein", mahnt Bottas. "Es ist das gleiche, mit allem, was ich mache. Wenn ich bei etwas involviert bin, dann will ich das auch ordentlich machen. Wo immer ich auch mitmache, ich möchte eine Leidenschaft dafür haben, ansonsten macht es keinen Sinn."

Rückblende. Teamleader werden, anders sein, nichts mehr vorgeschrieben bekommen. Frei sein von den Zwängen eines Top-Teams. Von Mercedes. Vom Teamkollegen. Von der eigenen Kleidung. "Wie stark ich [bei Mercedes, d. Red.] unter Druck gestanden habe, habe ich erst gemerkt, als ich gegangen bin", verriet uns Valtteri Bottas schon bei einem Interview im Juli 2022. Fünf Jahre fuhr Bottas für Mercedes. Vier Mal kam er in die Top-3 der Fahrer-WM. Zehn Siege fuhr der Finne in teils haushochüberlegenen Pfeilen ein. Mal in Schwarz, mal in Silber.

Bottas will mehr als nur Fahrer sein

Immer gegen den erfolgreichsten Fahrer der F1-Geschichte auf der anderen Seite der Garage. Lewis Hamilton. Im Qualifying konnte er ihn das eine oder andere Mal bezwingen. Auf Dauer sah er gegen ihn jedoch kein Land. Weder in Version 2.0, noch in V3.0 noch als Service Pack 3.5. Nach seinem Wechsel nach Hinwil fühle er sich entspannter, gab er uns damals zu Protokoll.

Alfa Romeo-Fahrer Valtteri Bottas
Bottas fühlt sich im Alfa Romeo entspannter, Foto: LAT Images

Bei Alfa-Sauber laste weniger Druck auf seinen Schultern. "Als ich zum Team gekommen bin, hatte ich das Gefühl, dass ich nur gewinnen kann und nichts zu verlieren habe. Das war ziemlich erfrischend." Sein erklärtes Ziel im neuen Team lautete: es anzuführen, ein wichtiger Teamplayer zu werden, die Teammitglieder zu motivieren und das Beste aus ihnen herauszuholen. "Meine Rolle ist größer als nur die eines reinen Fahrers."

Zurück im Jahr 2023. Zumindest neben der Strecke scheint sich dies im zweiten Sauber-Jahr bewahrheitet zu haben. Wenn auch nicht unbedingt wie man es im ersten Augenblick vielleicht erwarten würde. Bottas fiel in der zurückliegenden Saison weitaus mehr durch ausgefallene Kleidung und Frisuren (fast schon im Stile seines Ex-Teamkollegen) auf, als mit überragenden Leistungen auf der Rennstrecke. Nicht wenige Beobachter fragten sich: Was ist bloß mit Bottas los?

In Szene gesetzt vom ehemaligen Mercedes-Starfotografen. Einst verpflichtet, um seinen glamourösen Teamkollegen ins rechte (Rampen-)Licht zu setzen. Mittlerweile lässt sich Bottas von ihm in freier Natur ablichten. Wie Gott ihn schuf. Wer möchte, kann sich den 'BottAss'-Kalender 2024 ins Wohnzimmer hängen. Mit 12 Bildern vom blanken Hinterteil des Finnen.

Die ersten 10.000 Exemplare gingen weg wie Honda-Motoren zu McLaren-Zeiten. Ausverkauft. Geboren als Scherz, spielte der Kalender bislang mehr als 150.000 US-Dollar zugunsten der Movember Foundation ein, die sich unter anderem für die Vorsorge von Prostata-Krebs engagiert. Sein imposantester Erfolg in der vergangenen Saison. Mit Abstand. Magere zehn Punkte gelangen dem Finnen in 6 Sprints und 22 Grands Prix. WM-Rang 15. Seine beste Rennplatzierung: zweimal Platz 8.

Bottas und Alfa Romeo mit enttäuschendem 2023

Ausgerechnet schon beim Saisonauftakt in Bahrain. Und später noch einmal in Katar. Nach unserem Interview. Daneben gab es nur in Montreal und Monza jeweils einen WM-Zähler. Das war's. "Ich würde sagen, in diesem engen Feld liegt recht viel davon an der Leistungsfähigkeit des Autos", sagt Bottas. "Ich weiß, wenn das Auto bereit ist, dann werde ich die Punkte holen, aber wir waren in dieser Saison nicht in dieser Situation. Punkte waren für uns bei fast allen Rennen außer Reichweite." Mit seiner Performance am Lenkrad ist Bottas jedoch zufrieden. "Ja, ich fühle mich so, als hätte ich gute Leistungen erbracht." Hier und da hätte er etwas anders machen können, aber er sei zufrieden mit sich selbst. Dennoch das Eingeständnis: "Wir haben dieses Jahr definitiv unsere Ziele verfehlt."

Wie schon im Vorjahr. Zumindest wenn man die hohen Maßstäbe ansetzt, die Bottas selbst anlegte. Alfa Romeo war das Überraschungsteam des ersten Saisondrittels 2022. Bis zum neunten Saisonlauf in Kanada sammelten die Schweizer mit italienischem Namensgeber 51 WM-Punkte. Nur 6 weniger als Alpine, 14 weniger als McLaren. "Ich glaube, dass wir am Sonntag wahrscheinlich das viertschnellste Team sind", sagte uns Bottas damals. "Entsprechend sehe ich den vierten Platz in der Konstrukteurs-WM als ein gutes Ziel für uns an."

Es sollte sich als ein Luftschloss erweisen. Eine Fata Morgana. Bis zum Saisonfinale punktete Alfa-Sauber nur noch dreimal. Mehr als vier Zähler kamen nicht hinzu. Zu Saisonbeginn profitierte das Team von der Arbeit über den Winter. Während fast alle Konkurrenten weit über dem Mindestgewicht lagen, war der C42 ein Fliegengewicht. Wenn auch ein unzuverlässiges.

Im Laufe der Saison verlor das Team immer weiter an Boden, die anderen verbesserten sich, die Schweizer blieben stehen. Ein Trend, der sich 2023 fortsetzte. Vorletzter WM-Rang. Nur 16 WM-Punkte, nur vier mehr als Schlusslicht Haas. Bottas rutschte vom gelegentlichen GP-Sieger bis fast zur roten Laterne ab. "Wenn du nicht in den Top-10 bist, hast du Probleme zu zeigen, was du kannst und wie deine Leistung aussieht", verteidigt sich Bottas.

Der einzige Maßstab: der Teamkollege. Zhou Guanyu absolvierte 2023 seine zweite F1-Saison. In den Qualifyings und Shootouts setzte sich Bottas doppelt so oft gegen den Chinesen durch. Im Durchschnitt war er gut zwei Zehntel schneller. Die durchschnittlichen Startplätze 14 und 16 spiegeln die schwache Pace des C43 wieder. Im Rennen ging es ausgeglichener zu - wenn auch auf extrem niedrigem Niveau. Bottas kam im Schnitt auf P13,9 ins Ziel, Zhou auf P14. Vier Punkte trennten das Duo am Saisonende.

Bottas: Kann immer noch der beste sein!

Bottas selbst geht aber noch immer mit dem Selbstvertrauen in die Rennen, "dass ich an einem guten Tag jeden schlagen kann". Auch Lewis Hamilton. Oder Max Verstappen. Diese Einstellung brauche jeder Rennfahrer.

In Mercedes-Zeiten konnte Bottas an einem Super-Tag auch Lewis Hamilton schlagen, Foto: Mercedes-Benz
In Mercedes-Zeiten konnte Bottas an einem Super-Tag auch Lewis Hamilton schlagen, Foto: Mercedes-Benz

"Du kannst nicht in ein Rennwochenende gehen und dir selbst einreden, dass du ihn nicht schlagen kannst. Dann hättest du bereits verloren." Wer dieses Vertrauen nicht habe, gerate in eine gefährliche Abwärtsspirale. Ein bisschen wie die Entwicklung seines Teams in der neuen Regel-Ära. Enttäuscht ist Bottas von den ersten zwei Saisons seines Dreijahresvertrags in Hinwil jedoch nicht. "Es wäre etwas hart, von einer Enttäuschung zu sprechen", sagt er.

"Von diesem Jahr hatte ich mehr erwartet, kein Zweifel." Das Team habe einen Fortschritt und keinen Rückschritt erwartet. "Aus dieser Sichtweise, ja. Diese Saison war enttäuschend, aber es ist wie es ist. Wir stecken da gemeinsam drin. Jetzt zählt die Zukunft und ich bin mit vollem Einsatz dabei, meinen Teil dazu beizutragen, dass wir aus dieser Lage herauskommen."

Dafür baut er auf den Dreijahresplan, mit dem ihm Ex-Teamchef Fred Vasseur einst den Wechsel in die Schweiz schmackhaft machte. Für Bottas war es der erste langfristige Vertrag in der Formel 1. Bei Mercedes erhielt er stets nur Einjahresverträge. Die Folge: Er musste Leistung erbringen, um im Team zu bleiben. Dieser Druck, aber auch dieser Antrieb fehlt jetzt vielleicht, um aus der Komfortzone im Kampf um die letzten Punkteränge herauszukommen.

"Nein, denn ich vermisse die guten Ergebnisse sehr", widerspricht Bottas. "Ich vermisse die Punkte und auf dem Podest zu stehen. Das ist meine Motivation." 2024 muss er das beweisen. Im letzten Vertragsjahr geht es für Bottas wieder ums nackte F1-Überleben. Dicke Eier. Statt blanker Hintern. Und dazu vielleicht ein Glas Gin. Aber nur zur Vertragsunterschrift.