Lando Norris erlebte beim Belgien-GP zwei komplett konträre Rennphasen. Zunächst wurde der mit viel Abtrieb fahrende McLaren von Platz sieben startend eine Position nach der anderen auf der Geraden durchgereicht, auch ein früher Boxenstopp half dagegen nichts. Dann kam er erneut rein, als gegen Rennmitte leichter Regen einsetzte. Norris gelang so ein gewaltiger Undercut, der ihn am Ende wieder bis auf Rang sieben nach vorne brachte. Der Brite selbst konnte diese Wende kaum glauben: "Ehrlicherweise weiß ich nicht, wie ich noch auf Platz 7 gelandet bin. Ich war Letzter und wurde noch siebenter. Da bin ich schon ein bisschen überrascht."

Wieso viel Norris so weit zurück und wie kam er dann wieder so weit nach vorne? Der Reihe nach. Das Grundproblem seines Rennens war bereits zuvor erahnt worden. Die McLaren fuhren mit viel Abtrieb und hatten daher schlechten Topspeed. Teamchef Andrea Stella musste zugeben, dass es noch schlimmer kam als angenommen: "Wir erwarteten, verwundbar zu sein. Als wird dann inmitten der anderen Autos waren, wurde daraus recht schnell eine Negativspirale. Wir müssen also zugeben: Während diese Konfiguration uns zuvor einen Vorteil gab, war sie heute ein klares Problem."

Wechsel auf harte Reifen wird zum McLaren-Eigentor

Nach zuletzt zwei zweiten Plätzen in Folge war Norris ein gefundenes Fressen für die anderen Boliden. Sie gingen auf den Geraden vorbei, während der McLaren seine Stärke im kurvigen Mittelsektor nicht ausspielen konnte, da er hinter den Autos mit weniger Abtrieb hing. Das Team reagierte und holte ihn bereits in Runde fünf an die Box. Stella musste zugeben, dass hier der nächste Fehler passierte: "Das Ziel war, Lando aus dem Pulk von Autos um ihn herum zu holen und ihm freie Fahrt zu verschaffen. Wir wollten lange draußen bleiben, um dann auf dem weichen Reifen das Rennen zu beenden. Ich muss zugeben, dass wir den Grip des harten Reifens falsch eingeschätzt haben. Sie hatten fast gar keinen Grip und Lando fand sich erneut inmitten der anderen Autos wieder."

Die Negativspirale ging erstmal weiter, doch Norris machte dem Kommandostand im Nachhinein keinen Vorwurf: "Wir mussten etwas probieren. Wir gingen auf die harten Reifen und das machte es noch schlimmer. Niemand hat am Wochenende den harten Reifen ausprobiert. Wir dachten, dass er uns normalerweise liegt. Also war es die richtige Entscheidung, ihn auszuprobieren." Tatsächlich fuhr Norris beispielsweise in Silverstone auf den harten Reifen sehr stark. Aufgrund des Regens an Freitag und Samstag gab es aber keinerlei Erfahrungswerte beim harten Reifen in Spa. McLaren ging ins Risiko und bezahlte dafür.

"Es war fürchterlich. Ich hatte nicht genug Runden, um die Reifen ins Fenster zu bekommen und pushen zu können. Ich wurde in meiner ersten Runde aus der Box überholt und dann war ich hinter einem Auto und konnte nicht im Mittelsektor pushen. Wir wurden dann noch zwei, dreimal überholt", beschrieb Norris seine Hilflosigkeit. Nachdem Oscar Piastri nach Startkollision mit Carlos Sainz bereits ausgeschieden war, drohte McLaren ein Debakel nach zuletzt erfolgreichen Wochen.

Der McLaren-Coup: Mit frischen Reifen durch den Regen

Doch nach mehreren Fehlern gelang dem Traditionsteam doch noch ein Coup. Stella dankte seiner Mannschaft: "Zum Glück hat uns das Rennen die Möglichkeit eröffnet, es wieder umzudrehen, indem wir sehr früh auf die weichen Reifen gegangen sind. Wir haben diesen Wechsel mit dem Regen getimt. Da muss ich den Leuten in der Fabrik und an der Strecke danken, die uns unterstützt haben, indem sie den Regen beobachtet haben. Sie gaben uns Informationen, sodass wir daran glaubten, mit Trockenreifen durch den Regen zu kommen."

"Das Timing mit den weichen Reifen, erlaubte Lando massiv Zeit gutzumachen im Vergleich zu den anderen, die auf gebrauchten Reifen waren. Sie mussten im Regen viel vorsichtiger fahren als Lando", erklärte der Teamchef den massiven Undercut, der seinen Piloten wieder bis auf Rang sieben nach vorne brachte. Norris bestätigte den Vorteil der frischen Reifen: "Ich war auf den weichen Reifen, als der Regen kam. Das war perfekt. Darum sind wir an die Box gekommen. Aber es [der Regen, Anm. d. Red.] war eigentlich nichts. Du hast viel Wasser auf dem Visier, aber es fühlte sich nicht rutschiger an." Zumindest für ihn. Die anderen Piloten büßten, wie von Stella analysiert, massiv an Zeit ein. Sogar der führende Max Verstappen verlor etwa fünf Sekunden auf seine besten Runden.

Belgien GP: George Russell vor Lando Norris
Der Undercut brachte Norris sogar kurz in den Zweikampf mit George Russel, Foto: LAT Images

Plötzlich wieder auf Platz sieben angekommen gab es aber ein weiteres Hindernis. Norris musste mit den weichsten Reifen über mehr als die halbe Renndistanz kommen. Doch genau dann wurde laut Stella der große Nachteil zum Vorteil: "Nur weil wir genug Abtrieb im Mittelsektor hatten, konnten wir überhaupt den Stint auf den weichen Reifen so lange ziehen. Wir konnten konkurrenzfähig bleiben, obwohl der Gummi aufgebraucht war. Es hat uns also noch geholfen, aber insgesamt müssen wir einige Lehren aus dem Wochenende ziehen." Norris hatte frische Luft und konnte die Stärken des McLaren endlich nutzen. Am Ende kam ihm zwar noch Esteban Ocon sehr nahe, aber er rettete die sechs Punkte ins Ziel.