Perfektion ist schwer. Deshalb geschah es erst einmal in der Geschichte der Formel 1, dass ein Fahrer neun Siege am Stück feierte. Max Verstappen kann heute ausgerechnet bei seinem Heim-GP in Zandvoort der zweite nach Sebastian Vettel werden. Die Konkurrenz fragt sich, wie lange das noch so weitergehen kann. Hat aber keine Antworten parat. Der Favoritencheck ist genauso ein Check des Favoriten auf den zweiten Platz.

Ganz vorne wäre es nämlich trügerisch, sich falsche Hoffnungen zu machen. Max Verstappen hat nicht einfach mit Glück acht Rennen in Serie gewonnen, sondern mit Perfektion. In Zandvoort hat er wieder alle Zutaten beisammen.

Verstappen in Zandvoort: Kein Grund, nicht zu gewinnen

In Zahlen: In Verstappens Händen war der Red Bull RB19 das schnellste Auto im Qualifying, um 0,537 Sekunden. In seinen Händen war der RB19 auch das schnellste Auto in den Longruns am Freitagnachmittag. Pro Runde nahm Verstappen dem ersten vergleichbaren Verfolger 0,363 Sekunden ab. Zusammen mit gutem Topspeed sollte er damit im Rennen auch überholen können, falls er den Start verliert und in die Verlegenheit kommt, das tun zu müssen.

Und dann wäre da noch der Regen. Es braucht schon Mut, um bei Regen gegen Max Verstappen zu setzen. Trotz Klagen zu Beginn des Qualifyings sortierte er sich bis Q2 und war dann wieder vorne. Glaubhaft ließ sich daher keiner am Samstagabend darauf ein, eine Herausforderung auszusprechen. "Ich fordere ihn wahrscheinlich für zwei Runden, dann fährt er weg", fügt sich der Zweitplatzierte Lando Norris seinem Schicksal.

Bringt Verstappen Perfektion 9 Rennen am Stück durch?

Aber neun Rennen am Stück? Sebastian Vettel steht da mit seiner Siegesserie von Belgien bis Brasilien 2013 allein da. Verstappen ist der einzige mit acht. Nur Alberto Ascari, Michael Schumacher und Nico Rosberg haben sieben am Stück. Es braucht weltmeisterliches Talent, gepaart mit einem dominanten Auto, einem tollen Team. Und ein bisschen Glück. Nicht zuletzt fehlen hier Namen wie Prost oder Hamilton.

Brasilien 2013 war Sebastian Vettels Rekordsieg, Foto: Sutton
Brasilien 2013 war Sebastian Vettels Rekordsieg, Foto: Sutton

"Ich habe nie erwartet, dass ich bis acht kommen würde", meint Verstappen selbst am Samstag. Nach dem fünften hatte ihm Vettel schon eine Nachricht geschrieben: "Sowas wie 'Du wirst das schaffen.'" Verstappen selbst will gar nicht dran denken: "Ich habe es nicht dauernd im Kopf, als etwas, das ich unbedingt haben will. Ich bin nicht in diesem Sport, um Rekorde zu brechen."

"Wie lange wird Max noch gewinnen? Irgendwann muss jemand anderes da sein, um den Moment auszunutzen", stellt McLarens Motorsport-Chef Zak Brown gegenüber 'F1TV' in den Raum. Zandvoort ist tatsächlich prädestiniert dafür, dass so ein "Moment" geschehen kann. Lando Norris ergänzt: "Leider passiert es ihm nicht, aber es kann passieren. Es passiert jedem, und auch ihm kann ein Fehler passieren."

Das ganze Wochenende zeigt sich: Der Dünenkurs beißt. Acht Fahrer hatten Zwischenfälle, die zu Abbrüchen führten. Sechs davon waren Unfälle mit Schäden. Einer mit Personenschaden - Daniel Ricciardo fällt mit gebrochener Hand für unbestimmte Zeit aus. Selbst Verstappen besuchte schon die Auslaufzonen.

Lange Kurven wie die überhöhte Hugenholtzbocht fordern Können. Auslaufzonen bestrafen Fehler mit Gras und Kies. Andernorts sind Wände nah. Es muss nicht einmal Verstappen selbst ein Fehler passieren. Jemand anders kann ein Safety Car auslösen, spät, zu einem schlechten Zeitpunkt. So hatte Verstappen im Vorjahr genau bei so einem Szenario Glück. Dass die Wetterprognose stark schwankt und Regen nicht ausgeschlossen ist, erhöht den Schwierigkeitsgrad weiter. Es sei noch angemerkt: Verstappen hat nicht nur die letzten acht Rennen gewonnen, sondern bisher auch jedes Qualifying und jedes Rennen in Zandvoort.

Wer sind die ersten Verstappen-Jäger in Zandvoort?

Ist heute also der Glückstag irgendeines Verfolgers? Es braucht Glück, so viel steht fest. Aber Zandvoort wird unabhängig von Verstappen viel Action bieten. Der zweite Platz ist wieder das echte Rennen. Lando Norris und George Russell sind dank der Startplätze zwei und drei die Favoriten. In ihren Longruns am Freitag waren sie annähernd gleich schnell.

Norris zweifelt auch mit dem Update-McLaren allerdings am Reifenverschleiß: "Hier gibt es viel Verschleiß, und das ist nicht unsere Stärke. Wenn es beginnt eine Rolle zu spielen, haben wir in bestimmten Kurven ordentlich zu kämpfen." Mercedes hingegen gibt sich zuversichtlich, die übliche Renn-Stärke hier ausspielen zu können.

Auf vier und fünf stehen heute Wildcards. Zuerst Alex Albon: Williams kam ohne Erwartungen in Zandvoort an und war bisher in allen Sessions schnell. Das Rennen wird ihr größtes Problem. Am Freitag konnte Albon mit den großen Namen nicht mithalten, verlor im direkten Vergleich auf Medium zu Lewis Hamilton fast vier Zehntel und zeigte einen leichten Einbruch. "Bei trockenem Rennen werden wir uns schwertun, hinter uns sind schnellere Autos", bestätigt Teamchef James Vowles. Nur ein DRS-Zug dank Topspeed-Stärke bleibt als Hoffnung.

Fernando Alonso ist die zweite Wildcard - weil keiner so genau weiß, was der Aston Martin mit seinem neuen Unterboden kann. Am Freitag versteckte sich das Team hinter Vergleichstests. "Das Auto fühlte sich besser an, die Daten haben das bestätigt", versichert Alonso.

Zweifelhaft sind die Chancen von Carlos Sainz auf P6, und Ferrari insgesamt, noch im Podiums-Fight mitzumischen. Das Auto ist unberechenbar. Je schwieriger die Bedingungen, desto schlimmer. Aufgrund der langen Kurven straft Zandvoort Autos besonders ab, bei denen der aerodynamische Anpressdruck nicht konstant vorhanden ist. Das führt zwangsweise auch im Rennen zum Rutschen, und damit zu Reifenverschleiß.

Sergio Perez auf Startplatz sieben ist der letzte große Podiums-Aspirant. Ein weiteres schwaches Qualifying gilt es im Rennen auszubügeln. Wie schon bei zahlreichen anderen Wochenenden hat Perez die Pace dafür, sitzt noch immer im schnellsten Auto, aber ist auch trotzdem wieder relativ weit hinten. Lewis Hamilton, auf P13 der letzte große Name, hat schon kapituliert: "Ein Podium ist zu weit weg."

Ignoriert man Verstappen, entfaltet sich ein hochspannendes Bild, in dem eigentlich alles offen ist. Ein oder zwei Stopps sind laut Pirelli möglich, eine klare Strategie-Empfehlung gibt es am Samstag keine. Zumindest dieses Rennen verspricht beste Unterhaltung. Hier im Formel-1-Liveticker aus Zandvoort gibt es heute alle News, Infos und Stimmen.