Der Gigant Red Bull wird im zweiten Training zum Niederlande-GP zu Fall gebracht. Ein seltenes Trainings-Ergebnis in der Formel 1 2023: Max Verstappen muss sich einem aufmüpfigen Lando Norris beugen. Wenn auch nur knapp. Zandvoort aber, ausgerechnet das Verstappen-Heimrennen, birgt Gefahren für Red Bull.

Im Renn-Trimm ist Verstappen am Freitag einmal mehr das Maß der Dinge, wie die Trainings-Analyse von Motorsport-Magazin.com verdeutlicht. Vor allem für McLaren und Mercedes steht jetzt eine schwierige Entscheidung an: Wollen sie eine mögliche Verwundbarkeit des Giganten im Qualifying nutzen, und alles auf eine Karte - die Pole-Karte - setzen?

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McLaren macht's vor: So gefährlich ist Norris für Verstappen

Eine Verwundbarkeit von Verstappen auf einer Runde legt Norris' Bestzeit in FP2 auf jeden Fall nahe. Besonders im ersten Sektor ist der McLaren in Zandvoort wieder stark, liefert raus aus der ersten Kurve und aus der Steilkurve unter Traktion ab und hält diesen Vorsprung bis zu Beginn des Mittelsektors. Erst in den langgezogenen langsamen Kurven acht, neun und zehn - der alten McLaren-Schwäche - schlägt Verstappen zurück.

Norris mahnt am Abend jedoch zur Vorsicht. Zurecht, denn er fuhr seine Runde im ersten Versuch. Verstappen streute da einen Quersteher raus aus der Steilkurve rein, wo er doch unter Traktion sowieso sich schon etwas schwertat. Auf dem alten Reifensatz legte er nach zwei Cooldown-Runden nach. "Norris hat auch volle Power aufgedreht, das hatten wir nicht", so Dr. Helmut Marko. "Wir sind nicht beunruhigt." Alex Albon, der mit P3 überraschte, relativiert auch seinen dritten Platz mit wenig Benzinzuladung.

Qualifying-Shootout in Zandvoort dank Mini-Runde?

Groß sind die Lücken aber an der Spitze nicht. Das liegt auch daran, dass Zandvoort sehr kurz ist. Die kürzeste permanente Rennstrecke mit 4,259 Kilometern genauer gesagt, mit Qualifying-Zeiten im 1:10er-Bereich. Kleinere Lücken sind eine natürliche Konsequenz. Die logische Folge: Auch kleine Fehler kosten mehr, weil sich das Feld in 1:10 Minuten nicht weit genug auseinanderzieht. Daher ist das Feld so gut durchgemischt, acht von zehn Teams sind in den Top-10 vertreten.

Die Top-10 lagen am Freitag innerhalb von 0,533 Sekunden. Zusätzlich kommt eine starke Streckenentwicklung ins Spiel. Sand wird regelmäßig von den nahen Stränden auf den Asphalt geblasen. Dadurch verliert die Strecke hier über Nacht sogar den Grip, wenn es nicht regnet. Damit droht wieder ein sehr geringes Grip-Niveau für das Qualifying, erst recht, da es am Vormittag wieder regnen soll.

Viele im Fahrerlager stehen vor einem Dilemma: Mit einem Qualifying-Setup könnte sehr viel zu holen sein. Ist es das Risiko wert? Auf dem kurvigen Dünenkurs ist Überholen nicht leicht, aber auch nicht unmöglich, wie das Vorjahr zeigte. Mit der harten Pirelli-Palette von C1, C2 und C3 und bei kühlen Temperaturen ist auch die Reifenabnutzung gering. Besonders auf den härteren Reifen, womit eine defensive Einstopp-Strategie möglich wird.

Max Verstappen im Red Bull
Max Verstappens Vorsprung ist in Zandvoort verschwunden, Foto: LAT Images

Ist also vorne starten und sich breit machen die gewinnbringende Strategie? Lewis Hamilton wäre ein Fan: "Ich werde versuchen, so weit wie möglich nach vorne zu kommen im Qualifying." Am Freitag ging es auf dem Soft-Reifen für Mercedes noch in die falsche Richtung, das Team ortet Raum zu Verbesserung und glaubt zu wissen wo. Reifenvorbereitung passte nicht.

Red Bull im Renn-Trimm in Zandvoort zu schnell?

In den Longruns ist das Bild ebenfalls gut durchgemischt. Mit Verstappen an der Spitze der Soft-Tabelle wird zumindest die Lage im Siegeskampf klarer. Nicht einmal Lance Stroll und Logan Sargeant, die am Ende des Trainings mit leeren Tanks Schluss-Sprints fuhren, kamen mit. Die unter vergleichbaren Bedingungen gefahrenen Runs von Norris und George Russell waren dann doch vier Zehntel langsamer.

Damit bewegen sich Norris und Russell klar in der Gefahrenzone. Insofern, dass Verstappen schnell genug ist, um sie auch im Falle einer Qualifying-Niederlage auf der Strecke wieder überholen zu können. Jemand anderen als Verstappen als Favoriten zu benennen wäre leichtsinnig.

McLaren und Mercedes machen momentan den Kampf hinter Verstappen unter sich aus. Hamilton unterstrich auf dem Medium, dass er zumindest mit Perez mithalten kann. Den Hard-Reifen patzte keiner der Spitzenfahrer an, nur Norris fuhr damit einen Schluss-Sprint.

Fernando Alonso versteckt, Ferrari verzweifelt?

Wo sind die anderen Kandidaten auf WM-Platz zwei? Fernando Alonso taucht nur in der Hard-Tabelle auf, aber hinter Esteban Ocon und Logan Sargeant sehr unauffällig. Doch es gibt Erklärungen: Das Team hat einen komplett neuen Unterboden (alle Zandvoort-Updates gibt es hier), Lance Stroll musste aber mit Defekt in FP1 pausieren. Daher wurden auch in FP2 Vergleichstests mit altem Equipment gefahren.

Das kann erklären, warum Alonso in FP1 erster Verstappen-Jäger mit nur 0,278 Sekunden Rückstand war, ehe er in FP2 mit 0,533 Sekunden Rückstand nur auf dem zehnten Rang landete und auch im Renntrimm so beschaulich unterwegs war. Das wahre Aston-Martin-Potential bleibt verborgen.

Fernando Alonso im Aston Martin
Fernando Alonso konnte erst in FP2 nicht mehr mithalten, Foto: LAT Images

Ferrari hat andere Probleme. Das Auto war schlecht zu fahren, ganz simpel. Neben Haas ist man das einzige Team, das keinen Fahrer in FP2 unter die Top-10 brachte, und Haas sah sowohl auf eine Runde als auch im Renntrimm richtig miserabel aus.

Auf Ferrari-Seite versucht Charles Leclerc aber zu beruhigen: "Ich habe eine sehr klare Vorstellung davon, was ich vom Auto will. Also müssen wir die richtige Abstimmung finden, um unsere Probleme zu umgehen. Ich bin zuversichtlich. Normalerweise sind wir darin ziemlich gut." Bei einigen Teams steht heute also noch eine Simulator-Nachtschicht an. Hier im Formel-1-Liveticker aus Zandvoort gibt es heute alle News, Infos und Stimmen.