Die WM ist zwar nicht enger geworden, aber die Stimmung ist vor dem zwölften Rennen der Formel 1 2024 so aufgeheizt wie seit wohl zwei Jahre nicht mehr. Nachdem Max Verstappen und sein in der Tabelle erster Verfolger Lando Norris im Kampf um den Sieg kollidierten, liegt vor Silverstone Ärger in der Luft.

Brennpunkt 1: Freundschaft beendet mit Max?

Am Donnerstag werden Max Verstappen und Lando Norris in Silverstone wieder vor die Formel-1-Medien treten. Beim letzten Mal am Sonntagabend in Österreich war noch nicht einmal eine Stunde vergangen, nachdem die beiden im Kampf um den Sieg in Kurve 3 kollidiert waren. Verstappen, für dessen WM-Ambitionen so eine Kollision bei 81 Punkten Vorsprung in der Tabelle 2024 kaum mehr als eine kleine Temposchwelle ist, hatte kühl und kalkuliert jede Verantwortung von sich gewiesen.

Die Experten-Meinungen der letzten Tage tendierten auch gegenüber Motorsport-Magazin.com dazu, gegen die Strafe für Verstappen zu argumentieren. "Von beiden unnötig und überhitzt", stellte Alexander Wurz fest, und Christian Danner unterstrich: "Da gibt es auch noch einen Herrn Norris, der da mitgespielt hat."

Danner: Norris genauso schuld am Crash wie Verstappen! (30:00 Min.)

Die abseits der Strecke freundschaftlich verbundenen Verstappen und Norris gingen sich direkt nach dem Rennen aus dem Weg. Sinnvoll, wie Verstappen meinte. Besser abkühlen, dann darüber reden. Anders als bei manchen anderen Rennen waren sie in Österreich nicht im gleichen Privatjet unterwegs. Die vielleicht wichtigste Frage also: Gab es das klärende Gespräch?

Norris machte am Sonntag unmissverständlich klar, dass er den ersten Schritt von Verstappen erwarte: "Wenn er sagt, er habe nichts falsch gemacht, dann verliere ich viel Respekt ihm gegenüber." Am Mittwoch vor seinem Heim-GP gab er ein kurzes Gastspiel im britischen Radio: "Ich habe mir alles angesehen, bin alles durchgegangen, und sagen wir mal, ich würde nicht wirklich was ändern."

Wobei Norris verbal schon etwas Gas wegnahm: "Das ist der Wettbewerb, den wir lieben. Wir wollen da rausgehen, hart Rennen fahren. Dann wollen wir es einfach haben, weil wir nur gewinnen wollen, aber wenn wir in einem Rennen kämpfen müssen, zaubert uns das ein Lächeln ins Gesicht." Wie sie sich abseits der Strecke arrangieren, kann ihre nächste Begegnung auf ihr in Silverstone formen. Wo bereits zwei Fahrer - Charles Leclerc 2019 und Lewis Hamilton 2021 - nach wiederholten Konfrontationen sich zu Versuchen bemüßigt fühlten, es im nächsten Duell einfach drauf ankommen zu lassen.

Brennpunkt 2: Red Bull ohne Perfektion in Silverstone schon geschlagen?

Zweifelhaft erscheint vor Silverstone, ob außer Verstappen und Norris noch jemand eine Rolle spielen wird. Seit China gab es nur ein Rennen, in dem diese beiden nicht den Sieg unter sich ausmachten. In Österreich hatte der letztendliche Sieger George Russell vor dem großen Crash eigentlich schon unüberwindbare 15 Sekunden Rückstand.

Das Österreich-Finish untermauert jedoch eine Beobachtung der letzten Wochen: Red Bull und Verstappen müssen nahezu perfekt sein, um noch zu gewinnen. In Imola, Montreal und Barcelona waren sie das. In Spielberg schien der RB20 etwas besser als der MCL38, was in einem kleinen Qualifying-Polster resultierte. Doch nach einer nur minimalen Fehleinschätzung des Wetters beim Setup und drei verschenkten Sekunden beim Boxenstopp war das Rennen mehr als nur ein bisschen in Gefahr.

Das unterstreicht, wie eng es zwischen den beiden ist. Wem liegt Silverstone? Tatsächlich eine sehr interessante Frage. Hier feierte McLaren im Vorjahr den Durchbruch. Das Auto war berühmt für seine Stärke in den (hier zahlreichen) Highspeed-Kurven. Mittlerweile sucht das Team jedoch Wege, um in langsamen Ecken zuzulegen, und hat dafür Highspeed geopfert. Ein in Österreich eingeführter neuer Frontflügel sollte dem Ausbalancieren beider Bereiche helfen. So wird wohl wieder die Setupfindung entscheiden.

Brennpunkt 3: Ferrari hüpft in unerwartete F1-Minikrise

Beim Thema Highspeed-Kurven drängt sich sofort ein Team auf, das hier plötzlich keine Rolle mehr spielt, nämlich Ferrari. Das letzte in Barcelona gebrachte Update liefert zwar den versprochenen Abtrieb, doch zu welchem Preis? Offensichtlich neuem Bouncing in schnellen Passagen. Das kann man per Setup zwar loswerden - doch das unterminiert die Balance in anderen Kurventypen.

Charles Leclerc kann mit den Problemen im Highspeed-Bereich besser leben, aber nachhaltig ist es nicht, Instabilität dort einfach in Kauf zu nehmen. Das zeigt der dafür augenscheinlich anfälligere Carlos Sainz. Die Probleme haben Ferrari aus der Reihe der Siegkandidaten gedrängt. In Silverstone droht ernste Gefahr: Die Strecke ist berühmt für Highspeed Passagen, hat aber mit dem Inner Loop, Brooklands und Vale auch kritische langsame Stellen. Keine guten Vorzeichen.

Brennpunkt 4: Mercedes schwebt auf Siegwolke sieben

Ferraris Leid ist Mercedes' Freud. Gut, vielleicht nicht beim baldigen Scuderia-Fahrer Lewis Hamilton, aber nach dem Sieg von Österreich reist die Mannschaft hochmotiviert zum Heimrennen. Barcelona etwa war ein Rennen, wo man in der Ground-Effect-Ära generell gut war. Dass man aber auch in Österreich schnell genug war, um direkt hinter den Dominatoren Verstappen und Norris in Abstauberposition zu sitzen, scheint jetzt den Durchbruch endgültig zu bestätigen.

Mercedes als Sieganwärter hinzustellen, dafür ist es noch zu früh. Aber wie lange noch? Jetzt, wo das Team die richtige Richtung eingeschlagen hat, bekommt das Update-Programm die uneingeschränkte Freigabe. "Updates bei fast jedem Rennen", lautete Toto Wolffs Ansage in Österreich. Er wagt, auf den nächsten messbaren Schritt nach der Sommerpause zu hoffen: "Es waren 15 Sekunden in 70 Runden. Was ist das? Weniger als zwei Zehntel [pro Runde]. Das ist in Ordnung. Das ist P3, und wenn wir das hoffentlich halbieren, kämpfen wir vorne."

Brennpunkt 5: Racing Bulls plötzlich in der Gefahrenzone

Ebenfalls mit Vollgas im Update-Rennen vorgeprescht waren die Racing Bulls. Das bezahlten sie in Barcelona teuer. Zwei Rennen dauerte es, bis man die vorgezogenen Teile auch tatsächlich verstand. Nach Experimenten will man in Silverstone wieder beide Autos mit dem gleichen Paket ausstatten und zurück in die Spur als Mittelfeld-Spitze finden. Doch hier ist es verdammt eng, und so ein Fehltritt könnte teuer werden.

Haas cashte in Österreich mit 12 Punkten groß ab. Mit nur mehr 11 Punkten Rückstand auf die Racing Bulls hat man Blut geleckt. In Silverstone kommt das zweite große Update-Paket des Teams. Es ist das erste, welches die Highspeed-Schwäche des Autos aktiv mindern soll. Einen besseren Zeitpunkt dafür gibt es eigentlich nicht. Mit Alpine, die ebenfalls aufrücken, kann der Kampf um WM-P6 schnell wieder eng werden.

Brennpunkt 6: Sainz strapaziert die Fahrermarkt-Geduld zu sehr

Auf dem Formel-1-Fahrermarkt wird man indessen langsam nervös. Sauber, Alpine und Williams hätten gerne Carlos Sainz, aber sind sie wirklich bereit, sich vollends seinem Hinhalten auszuliefern? Er erscheint immer möglicher, dass irgendwem da hinten bald die Geduld ausgeht, und auch ohne einer Sainz-Entscheidung die ersten Dominos zu fallen beginnen könnten.

Carlos Sainz jr. am Styrian Green Carpet
Nicht die Art von Unterschrift, auf die die Mehrheit der Formel 1 aktuell hofft, Foto: Philip Platzer / Red Bull Ring

Wie sie fallen, das bleibt trotzdem unklar. Aber mit Pierre Gasly ist ein Alpine jetzt belegt. Haas, momentan noch ganz ohne Fahrer und nicht im Sainz-Rennen, könnte bald den zweiten Schubser geben. Der britische Boulevard platzierte Ferrari-Junior Ollie Bearman schon vor Wochen dort. Danach würden die Veteranen Bottas, Ocon und Magnussen wohl sehr schnell zugreifen, wenn sich ein fixer Deal anbahnen lässt. Andernfalls wird (mindestens) einer von ihnen nämlich übrigbleiben.

Brennpunkt 7: Rookie-Party im 1. Silverstone-Training

Semi-passend zu den Fahrermarkt-Theorien: Mehrere Teams setzen in Silverstone Rookies für das erste Training ins Auto, um ihre Pflicht im Sinne des Reglements abzuleisten. Bearman darf erneut bei Haas ran, diesmal wieder im Auto von Kevin Magnussen. Für ihn ist es sogar schon das dritte FP1. Nummer zwei ist es für Jack Doohan, er sitzt statt Pierre Gasly im Alpine.

Doohan fuhr außerdem am Mittwoch gemeinsam mit Mick Schumacher ein 2022er-Auto bei einem internen Test. Die beiden buhlen um das noch offene Cockpit. Und schließlich setzt Williams Franco Colapinto in das Auto von Logan Sargeant. Der aktuell Gesamt-Fünfte der Formel 2 ist zugleich Pilot im Williams-Juniorkader.