'The Trend is your friend' lautet eine alte Börsenweisheit. Diese gilt auch im Motorsport. Und mit McLaren war der Trend 2023 ganz besonders gut befreundet. Der Saisonstart war erfolgs- aber nicht hoffnungslos.

Die Hoffnung ruhte auf den Sommer-Updates. Die schlugen dann auch ein, und zwar stärker als man sich das erwarten konnte. Woking reifte nach Jahren des lähmenden Mittelfeld-Daseins zu einer Macht im Spitzenfeld, obwohl der erste Grand-Prix-Sieg ausblieb.

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Die B-Spec-Version in Österreich und Silverstone brachte die Trendwende, die verschobenen Ungarn-Upgrades, die schließlich in Singapur ans Auto kamen, festigten den Erfolgslauf von Lando Norris und Oscar Piastri.

Wenn der Aufwärts-Trend so weiter geht, könnte im kommenden Jahr Red Bull angegriffen werden - und zwar regelmäßiger. Siege müssen her, nicht nur Podien, so lautet die Devise von Teamchef Andrea Stella und Co. Red-Bull-Teamchef Christian Horner stilisierte - wohl nicht ganz uneigennützig - den McLaren sogar zu einem Titelkandidaten für nächste Saison hoch.

McLaren-Fahrer Lando Norris
Christian Horner sieht McLaren 2024 als einen der härtesten Konkurrenten, Foto: LAT Images

McLaren 2023: Gut, aber nicht gut genug

Doch so einfach gestaltet sich die Lage dann doch nicht. McLaren hat zwar 2023 einen großen Sprung gemacht, aber dass sie die ganz an der Spitze geforderte Konstanz abrufen können, diesen Beweis sind sie noch schuldig.

Seit dem Österreich-GP war McLaren zwar das zweitbeste Team, aber mit 273 zu 483 Punkten Red Bull doch noch meilenweit unterlegen. Um den Bullen auch punktemäßig auf den Zahn fühlen zu können, muss der Nachfolger des MCL60 auf allen Strecken konkurrenzfähig sein.

McLarens Achillesferse: Highspeed

2023 war das Auto von Lando Norris und Oscar Piastri auf den Highspeed-Kursen nicht mehr als eine Randnotiz. Nach einem desaströsen Wochenende in Spa forderte Teamchef Andrea Stella einen stärkeren Fokus auf Low-Downforce und stellte Upgrades in Aussicht. Diese kamen, trotzdem war das Auto in Las Vegas noch immer unter ferner liefen unterwegs.

Das reicht, um sich gegen die ersten Verfolger durchzusetzen, aber um als Herausforderer gegen das Verstappen-Team anzutreten, sind Ausreißer nach unten nicht erlaubt. Dazu kam noch die Achillesferse in langsamen Ecken, die der MCL60 jedoch auf den meisten Kursen durch eine überragende Pace in den schnellen Kurven ausgleichen konnte.

McLaren-Teamduell zwischen Oscar Piastri und Lando Norris
In Monza und Las Vegas kämpften Norris und Piastri mit ihrem MCL60, Foto: LAT Images

Diese Schwachstellen konnte man offenbar über reine Aerodynamik-Anpassungen nicht wettmachen. Der Winter ist aber besser dazu geeignet auch an anderen Komponenten, wie der Aufhängung, Hand anzulegen.

McLaren-Perfektion Schlüssel zum Erfolg gegen Verstappen

Verstappen erscheint nur schlagbar, wenn die Kombination aus Auto und Fahrer perfekte Arbeit leistet. Die fahrerischen Qualitäten vor allem von Lando Norris sind sowohl auf eine Runde als auch im Longrun über alle Zweifel erhaben, aber 2023 war der Brite nicht auf Verstappen-Niveau. Er leistete sich im Herbst zu viele Patzer. Der Unfall in Las Vegas ging auf seine Kappe, genauso wie die Qualifying-Pleiten in Mexiko, Katar und Abu Dhabi.

Startunfall mit Lando Norris im McLaren
Lando Norris Rennen in Las Vegas endete früh, Foto: LAT Images

Oscar Piastri konnte seinen Ruf als Supertalent 2023 zwar untermauern, doch er hat noch vier Jahre Erfahrungs-Rückstand. Das zeigt sich regelmäßig im Longrun. Es liegt an Norris, seinem Simracing-Kumpel Verstappen in der WM auf die Pelle zu rücken und so viele Fehler wie in diesem Jahr sind dafür Tabu.

Technisch hat sich das englische Team auf Vordermann gebracht. Anstelle des Toyota-Windkanals, den man seit einem Jahrzehnt nutzte, ist der 2024er-Bolide der erste, der im hauseigenen Windkanal in Woking entwickelt wird. Kurzfristig könnte die Kalibrierung noch etwas Leistung kosten, doch spätestens mittelfristig verspricht diese Zeitenwende bessere Simulations- und somit Entwicklungsergebnisse.

Vorteil McLaren in der Entwicklung

Dazu kommt noch der vierte Platz in der Konstrukteurs-WM. In der zweiten Saisonhälfte war McLaren bereits das zweitbeste Team, doch die Aerodynamik-Handicaps werden anhand der Endplatzierung verteilt.

Sprich: McLaren kann mehr Simulationen erstellen und Windkanal-Runs durchführen als Ferrari, Mercedes oder Red Bull. Ein handfester Vorteil, der sich aber nicht automatisch in Rundenzeit verwandelt. Aston Martin profitierte im ersten Halbjahr 2023 von einem ähnlichen Entwicklungsplus. Anstelle eines langfristigen Vorteils ging die Tendenz nach einem starken Saisonstart wieder nach hinten. McLaren ist gewarnt: Der Trend ist ein launischer Freund. Wenn man seine Freundschaft nicht gebührend pflegt, kann er schnell zum Feind werden.

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