Es ist Sonntagmorgen vor dem Katar-GP, also Zeit für den Favoritencheck. Eigentlich der Platz, um noch einmal Rennpace, Reifenabbau und Strategien zu rekapitulieren. Heute nicht. Denn es weiß eigentlich niemand im Formel-1-Fahrerlager, wie die Strategie heute aussehen wird. Die Angst vor einem Reifen-Desaster geht um. Alle Stimmen zum Formel-1-Rennen heute in Katar gibt es im Live-Ticker.

Kurz noch einmal die Hintergründe erläutert: Als Pirelli am Freitagabend wie üblich bereits verwendete Reifen aufschnitt und überprüfte, fand man mikroskopische Schäden. Aber durch die Bank, bei allen Teams. Die Lauffläche an den Seitenwänden begann sich von der Karkasse zu lösen. Alle Details dazu gibt es hier:

An einem Sprint-Wochenende noch ungünstiger als sonst. Nur ein Training, nur sehr wenige Runden, nur sehr wenige Daten vom Freitag. Die Strecke wurde am Samstag leicht verschoben, um als Übeltäter ausgemachte Pyramiden-Kerbs zu entschärfen. Lob gab es von den Fahrern, etwa von George Russell: "Was die FIA mit den kleinen Streckenanpassungen getan hat, war gut. Da war ich skeptisch, aber das hat funktioniert."

Pirellis zweite Reifen-Analyse: Katar-Klarheit erst zu Mittag

Damit ging es am Samstagabend ohne Gefahr in den 19 Runden langen Sprint. Aber die Lage ist noch nicht entschärft. Wie angesprochen ist die Datenmenge aus dem einzigen Training gering. Pirelli braucht also als zusätzliche Analyse den Sprint. Die dort verwendeten Reifen wurden gestern erneut einer genauen Prüfung unterzogen. Das Schreckgespenst Pflichtstopps schwebt über dem Rennen.

Die folgende Option wurde in den Raum gestellt: Erhärtet sich die Gefahr durch die Samstags-Analyse, würden drei Pflichtstopps und eine maximale Stintlänge von 20 fliegenden Runden vorgeschrieben werden. Bei einem 59-Runden-Rennen gäbe es dann immerhin noch strategische Optionen - aber wie die aussehen, kann am Samstag niemand wirklich sagen.

2021 gab es im Katar-Rennen schon Reifenschäden, Foto: LAT Images
2021 gab es im Katar-Rennen schon Reifenschäden, Foto: LAT Images

"Wir brauchen gar nicht über Strategien spekulieren, da wir auf das Ergebnis unserer Analyse warten müssen", stellte Pirelli-Sportchef Mario Isola am Samstagabend klar. Ob es so weit kommt, kann nämlich erst nach Rücksprache mit FIA und Teams zu Mittag final bekanntgegeben werden.

"Pirelli und die FIA müssen vernünftig sein", mahnt Sprint-Sieger Oscar Piastri. Auch bei den hier großen Auslaufzonen wäre ein Reifenschaden in einer der Highspeed-Passagen "nicht besonders verlockend". Russell fügt allerdings an: "Ich denke nicht, dass sie eingreifen und drei Stopps verpflichten sollten. Gebt uns die Daten, den Verschleiß auf den Soft, und wir sollten alle smart genug sein, dann Entscheidungen zu treffen."

Katar als Reifenmörder: Wie lange geht es überhaupt?

Unabhängig von durch Kerbs ausgelöste Beschädigungen ist aber auch der ungefährliche herkömmliche Verschleiß massiv. Durch schwere hitzebedingte Abnutzung und Graining war der Soft bei vielen Teams schon nach fünf Runden für die Tonne. Und das im Sprint, wo man mit einem viel leichteren Auto fährt.

"Auf einer Strecke, auf welcher der Wind den Sand über die Strecke geblasen hat, war das ein erwartbares Phänomen", erklärt Isola. Katar ist deshalb, und aufgrund eines neuen Asphalts, extrem griparm.

Der Soft bringt daher nur in der ersten Runde einen Vorteil. "Ungefähr sieben Meter in die erste Kurve", rechnet George Russell vor. Der Mercedes-Pilot, der heute neben Max Verstappen aus der ersten Reihe startet, setzte diesen Soft-Start im Sprint perfekt um und übernahm die Führung, war aber trotz dreier Safety Cars in Runde 19 wieder zurück auf seinem vierten Startplatz.

Reifensparen in Katar: Einmal mehr Vorteil Verstappen

Egal ob Pflichtstopps oder nicht - Reifensparen ist heute in Katar also die Devise. Red Bull nahm als einziges Team alle vier Sätze Medium mit in den Samstag, beide Fahrer verheizten einen neuen im Sprint. Ihnen sollten damit drei Medium (davon ein frischer) und ein Hard bleiben. Beide McLaren und Lewis Hamilton fuhren im Sprint auf gebrauchten Medium, damit haben sie ebenfalls noch einen frischen für den GP.

Beide Ferrari, George Russell und Fernando Alonso quälten sich mit Soft durch die 19 Runden. Während Russell ernsthaft an eine Chance damit glauben wollte, sieht es bei den anderen beiden anders aus. "Wir mussten alle Szenarien abdecken und ein Rennen abschreiben", erklärt Alonso. Sowohl Aston Martin als auch Ferrari wählten den Sprint. So sollten ihnen zwei frische Medium-Sätze bleiben.

Verstappens Konkurrenz wird aber auch alle Waffen brauchen, die sie in einem vom Reifenverschleiß dominierten Rennen aufbieten kann. Dass der Red Bull den Sprint nur auf Platz zwei beendete, war einem schlechten Start und zu vielen Safety Cars geschuldet. Zu wenige Runden unter Grün blieben Verstappen zur Aufholjagd.

Relativ zu McLaren sieht Verstappen keine Probleme mit der Red-Bull-Leistung: "Ich denke, es war okay. Ich hätte einfach ein paar mehr Runden gebraucht, um zu sehen, wo es mit der Abnutzung hingeht." Auch die Konkurrenten schätzen Verstappen über die volle Renndistanz als klaren Favoriten ein.

Erste Verfolger sind im Rennen sowieso nicht die McLaren - die beide im Qualifying patzten - sondern Mercedes. Russell und Lewis Hamilton schlugen sich im Sprint beachtlich beim Reifenverschleiß, die Chance auf ein Doppel-Podium ist da. Alonso, Leclerc, Piastri dahinter sind weitere Kandidaten, Ferrari das größte Fragezeichen beim Reifenverschleiß. Mangels Daten lässt sich aber keine echte Prognose treffen.

Lando Norris auf Platz 10 hat einen weiten Weg vor sich. Noch weiter ist nur der von Carlos Sainz und Sergio Perez, die mit den Plätzen 12 und 13 wohl auf Chaos hoffen müssen. Was mit den Reifen nicht auszuschließen ist.