1. Wo liegt das Problem?
Pirelli untersuchte am Freitagabend - wie an jedem Wochenende - die zurückgegebenen Reifen der Teams. Bei der Analyse werden die Pneus aufgeschnitten und unter dem Mikroskop untersucht. Dabei fiel den Italienern auf, dass sich die Lauffläche an den Seitenwänden minimal von der Karkasse löste. Mit bloßem Auge waren die Schäden nicht zu erkennen. Um 22:30 Uhr informierte Pirelli die FIA über die Situation, die Teams wurden erst am Samstag darüber in Kenntnis gesetzt.
Als Ursache für die Probleme machte Pirelli die Kerbs aus. Die 50 Millimeter hohen Pyramiden-Kerbs kommen aber auf vielen Strecken zum Einsatz. In Katar sind sie allerdings problematisch, weil die Piloten sehr lange und mit sehr hohen Geschwindigkeiten über die Randsteine fahren. Dadurch ergeben sich hochfrequente Schläge auf die Seitenwände der Reifen. Bei längeren Stints traten die Beschädigungen vermehrt auf.
2. Wie sieht die Lösung aus?
Die stärkste Belastung vermuten die Pirelli-Ingenieure in der schnellen Dreifach-Rechtskurve. Deshalb hat die FIA in den Kurven 12 und 13 die Track Limits um 80 Zentimeter nach innen gesetzt, damit die Piloten nicht mehr so stark über die Kerbs räubern. Vor allem der linke Vorderreifen war von den Schäden betroffen, aber auch an den anderen Reifen gab es Probleme.
Eine Erhöhung des Mindestluftdrucks stellte hingegen keine Lösung dar. Dadurch kann die strukturelle Integrität des Reifens erhöht werden. Weil aber die Konstruktion selbst nicht beschädigt wird, würde dieser Schritt nicht helfen. Im Gegenteil: Pirelli fürchtet sogar, dass sich dadurch die Problematik verschärfen könnte, weil dann die Seitenwände steifer sind.
3. Welche Auswirkungen gibt es auf den Zeitplan?
Weil Training und Qualifikation am Freitag noch mit den alten Track Limits stattfanden, bekamen die Piloten am Samstag vor dem Sprint Shootout die Möglichkeit, sich an die neuen Begebenheiten zu gewöhnen. Um 16:00 Uhr Ortszeit, zum eigentlichen Startzeitpunkt des Sprint-Shootouts, fand eine zusätzliche zehnminütige Eingewöhnungs-Session statt. Die Sprint-Quali wurde deshalb um 20 Minuten nach hinten verschoben. Alle anderen Sessions bleiben unverändert.
4. Was passiert, wenn die neuen Track Limits nichts ändern?
Ob die neuen Track Limits wirklich helfen, wird sich erst am Samstagabend herausstellen. Nach dem Sprint müssen alle Fahrer den Satz mit der höchsten Laufleistung zurückgeben. Pirelli untersucht die Reifen dann erneut. Für den Fall, dass erneut Beschädigungen auftreten, wird es im Grand Prix drei verpflichtende Boxenstopps geben. Gleichzeitig dürfen Reifensätze nicht mehr als 20 Runden genutzt werden - außer sie waren schon zuvor montiert. Weil In- und Outlaps nicht so stark aufs Material gehen, dürften dann 22 Runden mit einem Satz gefahren werden.
5. Warum würde es dann drei Pflichtstopps geben?
Nicht nur Mathematik-Professoren fällt bei dieser Regel auf, dass bei 57 Rennrunden und einer maximalen Stint-Länge von 20 Runden eigentlich auch zwei Boxenstopps ausreichen würden. Doch die FIA will verhindern, dass alle Piloten zeitgleich an die Box kommen. Deshalb will man das Boxenfenster mit drei Pflicht-Stopps etwas entzerren.
6. Ist der Sprint sicher?
"Ja", sagt Pirellis Formel-1-Boss Mario Isola ganz klar. Die 19 Runden am Samstagnachmittag bereiten dem Italiener keine Sorgen. "Wir haben ja schon längere Stints am Freitag gesehen", so Isola. Die Angst ist nur, dass die minimalen Beschädigungen mit zunehmendem Reifenalter größer werden und sich in der Folge die Laufflächen ablösen.
7. Gibt es die Probleme zum ersten Mal?
Nein, schon 2021, als die Formel 1 zum ersten Mal in Katar gastierte, gab es Reifenschäden. Damals traten sie aber tatsächlich im Rennen auf. Die Strecke wurde seither einmal auf links gedreht. Neben der komplett neuen Infrastruktur gibt es auch einen neuen Asphalt und andere Kerbs.
Die zweite Reihe an Kerbs, die damals für die Reifenschäden verantwortlich gemacht wurde, gibt es nicht mehr. Aber: Die erste Reihe war 2021 nur 25 Millimeter hoch, die zweite Reihe 50 Millimeter. Die aktuellen Kerbs sind also identisch zur damaligen zweiten Reihe. Dazu gibt es, im Gegensatz zum ersten Katar GP, neue Reifen. 2021 fuhr die F1 noch mit 13-Zoll-Pneus, seit 2022 sind 18-Zöller mit kleineren Seitenwänden im Einsatz. "Das hilft sicherlich nicht", glaubt Isola.
Reifenprobleme per se sind ebenfalls nichts Neues. In allen Formen des Motorsports treten von Zeit zu Zeit Sicherheitsprobleme mit den Pneus auf. Den letzten großen Skandal in der Formel 1 gab es 2005 in Indianapolis. Damals befanden sind Bridgestone und Michelin im Reifenkrieg. Weil die Michelin-Reifen die Steilkurve nicht vertragen hatten, konnten nur die sechs Bridgestone-bereiften Autos an den Start gehen. Durch einen Alleinausrüstervertrag können nun elegantere Lösungen bei solchen Problemen gefunden werden, weil es alle Teams in gleichem Maße betrifft.
8. Sind manche Teams stärker betroffen?
Nein, es lässt sich kein klares Muster bezüglich Reifenmischung, Abstimmung, Fahrweise oder Fahrzeug erkennen. Pirelli fand die mikroskopischen Beschädigungen über das ganze Feld hinweg. Das einzig erkennbare Muster war, dass die Beschädigungen mit der Laufleistung zusammenhingen.
9. Gehen den Teams nun die Reifen aus?
Mögliche drei Boxenstopps und dazu ein Extra-Training: Gibt es dafür überhaupt genügend Reifen? Zumal die Teams an einem Sprint-Wochenende auch noch einen Satz weniger zur Verfügung haben. Die einfache Antwort lautet: Ja. Denn es gibt eigentlich nur ein einziges Freies Training. Die Trainings sind normalerweise das Problem.
Um die Teams dazu zu zwingen, im Training auf die Strecke zu gehen, müssen die Teams nach den Trainingseinheiten eine bestimmte Anzahl an Reifensätzen an Pirelli zurückgeben. Dadurch wird verhindert, dass Teams nicht auf die Strecke gehen, um Reifen zu sparen. An Sprint-Wochenenden ist das anders. Sicherlich haben einige Teams anders mit den Pneus kalkuliert, aber das Kontingent kann nicht aufgefüllt werden. Dafür hat Pirelli in Katar schlicht nicht genügend Ersatzreifen dabei.
10. Wer ist schuld am Debakel?
"Ich will nicht von Schuld sprechen. Es geht darum, ein Problem zu lösen", zeigte sich Isola diplomatisch. Tatsächlich ist die Schuldfrage nicht ganz einfach. Schon nach der letzten Ausgabe hatte man vor den Kerbs gewarnt. Pirelli hat aber bei der Strecke kein Mitspracherecht. Die Formel 1 stellt den Kalender zusammen, die FIA homologiert die Strecke. Eigentlich wäre es Pirellis Aufgabe, Reifen zu liefern, die auf den ausgewählten Rennstrecken funktionieren.
11. Welche Rolle spielt das Sprint-Format?
So ganz sicher ist man sich bei Pirelli nicht, wo genau und warum die Reifen beschädigt werden. Im 1. Training, in der einzigen Session, in der die Reifen länger gefahren wurden, war die Strecke noch sehr rutschig. Dabei fuhren die Piloten besonders oft in allen erdenklichen Richtungen über die Kerbs.
Gleichzeitig hatte Pirelli weniger Reifen für die Analyse am Abend, weil am Sprint-Freitag nur ein Satz Reifen zurückgegeben werden muss. An einem regulären Rennwochenende müssen vier Sätze zurückgegeben werden. Deshalb musste Pirelli auf Nummer Sicher gehen und die entsprechenden Maßnahmen in die Wege leiten.
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