Die Fahrer-WM 2024 ist durch, aber ein prestigeträchtiger Titel wird heute bei der Formel 1 in Abu Dhabi noch vergeben. 21 Punkte beträgt McLarens Vorsprung auf Ferrari in der Konstrukteurs-WM. Mit Lando Norris und Oscar Piastri in der ersten Startreihe ist alles angerichtet für den ersten Titel seit 1998. Aber die Konkurrenz wurde im Qualifying in die Enge getrieben. Egal ob WM-Jäger Ferrari oder Wildcard Max Verstappen - für sie heißt es heute: Nichts zu verlieren.

Für Ferrari lief der Abu-Dhabi-GP bis jetzt nämlich überhaupt nicht nach Plan. McLaren abzufangen schien vor dem Wochenende schwierig, aber noch machbar. Dann begannen die Probleme. Am Freitag ging Charles Leclercs Hybrid-Energiespeicher kaputt. Zehn Plätze Strafe. Nach einem Track-Limit-Vergehen verlor er im Qualifying auch noch in Q2 seine entscheidende Runde. Endresultat: Vorletzter Platz in der Startaufstellung.

Kein Grund zur Entspannung für McLaren-Teamchef Andrea Stella: "Ich muss keine 400 Rennen zurückgehen. Ein Rennen reicht. In Katar sah es an einem Punkt so aus, als ob Lando gewinnen könnte. Und eine Runde später bist du Letzter, hast 35 Sekunden verloren." Leclerc ist sicher nicht McLarens größte Gefahr, aber vom Start weg kommt von hinten Druck.

Einmal noch Papaya Rules: Wie sieht McLaren-Teamorder heute aus?

Zuerst einmal gilt es heute natürlich die Teamorder auszusortieren. Da macht sich Stella keine Sorgen. Es ist nicht das erste Mal, dass Norris und Piastri nebeneinanderstehen. In Monza ermöglichte es Piastri berühmterweise mit einer harten Attacke gegen Norris auch einem Ferrari, in der ersten Runde mit durchzuschlüpfen und die McLaren-Doppelführung zu sprengen.

Viel will McLaren seither gelernt haben, wie man Teamorder zu handhaben hat. "Wenn es um enges Racing geht, kannst du nicht zu viel vorschreiben, weil es der Fahrer für sicherer halten kann, seinem Instinkt zu folgen", so Stella. "Dann ist es wichtig, den Instinkt mit einem klaren Ziel zu programmieren. Und dieses Ziel ist morgen, die Meisterschaft in trockene Tücher zu bringen."

"Ich habe mit Oscar und Lando gesprochen, und sie beide sind der Meinung, dass an diesem Punkt in ihren Karrieren und in ihrer Reise mit McLaren für sie die Konstrukteurs-WM das Wichtigste ist", versichert Stella. Deckt sich das mit den Fahrern nach dem Qualifying? Piastri: "Ich würde liebend gerne das Rennen gewinnen, aber noch mehr den Titel." Norris: "Wir müssen Ferrari schlagen. Darum geht es. Wir wollen es aber mit Style, und wir wollen gewinnen. Ich will gewinnen. Wir wissen, was wir tun müssen."

McLaren-Heckflügel in Abu Dhabi etwas groß: Problem am Start?

Sofern sich das Duo mit guten Starts in der ersten Kurve durchsetzt, ist aber noch lange keine Entspannung angesagt. Da wäre zuerst einmal die restliche erste Runde, mit der langen Geraden hin zu Kurve 6. Hier kam Topspeed plus Windschatten in den ersten Runden helfen, nicht nur dranzubleiben, sondern anzugreifen. Und McLaren hat nicht wirklich Topspeed.

Die Tempo-Vergleiche aus dem Qualifying zeigen einen McLaren, der das langsamste Auto vor Öffnen des DRS, und nach Öffnen des DRS ist. Bei geöffnetem DRS war der Red Bull gar über 5 km/h schneller. Der Heckflügel scheint ein kleines Bisschen zu groß. Es ist der in Brasilien eingeführte für den mittleren Abtriebsbereich. Das Team hat ihn bereits auf das Minimum heruntergetrimmt. Red Bull und Ferrari haben mit ihren Medium-Flügeln schlicht etwas mehr Spielraum nach unten.

Das macht McLaren verwundbar. Verliert man gegen einen aggressiven Verstappen oder Carlos Sainz in der ersten Runde Boden, wird es schwierig, das wieder gutzumachen. "Wir denken, dass für die gesamte Rundenzeit und die Balance zwischen Geraden und Kurven das der richtige Flügel ist", versichert Stella. Denn zu einem Sieg in Abu Dhabi gehört mehr als nur Topspeed.

Ist der McLaren heute im Rennen zu schnell?

Der Schlüssel zum Erfolg ist heute im Rennen die hitzebedingte Abnutzung der Hinterreifen. Die werden in Abu Dhabi stets enorm strapaziert. Dass der McLaren hier behutsam agiert, zeigen die Zeiten im letzten Sektor. Wo andere bereits im Qualifying mit überhitzenden Hinterreifen haderten, fanden Norris und Piastri noch immer guten Grip.

"In Sachen Rennen ist das der Sektor, wo du ein gutes Auto brauchst", weiß Stella. "Sobald du den Grip verlierst, entscheidet das die Rennpace. Da sind wir in einer guten Situation für morgen." Pirelli prognostiziert eine Medium-Hard-Einstopp mit starkem Management der Hinterreifen.

Doch es gibt eine Strategie-Wildcard. Das zeigte sich vor einem Jahr. Die Zweistopp-Strategie ist nur unwesentlich langsamer. Jemand, der im vorderen Mittelfeld im Verkehr feststeckt, könnte früh auf zwei Stopps umstellen, um in freier Fahrt einen Undercut zu exekutieren. Möglich schon allein wegen der Zusammensetzung der Startaufstellung. Pierre Gasly steht beispielsweise vor dem auf dem Papier schnelleren Mercedes von George Russell.

Auch Nico Hülkenberg gilt es zu beachten. Der Haas ist in Abu Dhabi äußerst schnell, aber nach einer Strafe nur auf dem siebten Startplatz. Und sein direkter Gegner ist Gasly. Haas muss sechs Punkte mehr als Alpine machen, um Platz sechs in der Team-WM zu holen. Wenn einer dieser beiden sich dadurch schon früh in die Enge und zu einem Stopp getrieben fühlt, könnte es eine Zweistopp-Welle bis an die Spitze lostreten. Das würde McLarens Vorteil neutralisieren.

Heute letztes Ferrari-Hurra für Carlos Sainz

Auch schien die Longrun-Pace am Freitag nicht von allzu großen Unterschieden geprägt. Die hinter der McLaren-Mauer startenden Sainz und Verstappen müssen also eine recht hohe Mauer überwinden, aber dann scheint ein Sieg nicht völlig unrealistisch. Sainz, in seinem letzten Ferrari-Rennen, wird da nicht zurückstecken. Erst recht, weil die Ferrari-WM an diesem Punkt nicht nur einen Sieg durch ihn braucht, sondern wohl auch Unglück für McLaren.

"Ich habe weniger zu verlieren", lässt Sainz Aggressivität durchblicken. "Und ich will auch gewinnen. Das könnte meine letzte Chance auf einen Sieg oder Podium sein." Apropos Aggressivität: Neben ihm steht Max Verstappen. Und hinter ihm ... George Russell.

Doch das Drama zwischen den beiden sollte nicht überbewertet werden. "Alles wurde gesagt", blockte Verstappen nach dem Qualifying ab. Mehr als einen Krieg der Worte gab es zwischen den beiden nicht. Schon in Katar waren sie nebeneinander losgefahren. In der ersten Kurve war nichts passiert.