Vorne an der Spitze war der Japan GP wahrlich kein Kracher. Aber wie so oft in der Formel-1-Saison 2023 richtete es das Mittelfeld. Allen voran Mercedes. Die schwarzen Silberpfeile lieferten erst einen spektakulären teaminternen Zweikampf, anschließend eine spannende Strategie und schließlich auch noch ein taktisch interessantes Rennen. Dabei gab es einen klaren Gewinner und einen klaren Verlierer. Motorsport-Magazin.com analysiert das Rennen zwischen Lewis Hamilton und George Russell und zwischen Mercedes und Ferrari.

Das Qualifying war für Mercedes ein Debakel. Eine Sekunde Rückstand, nur die Plätze sieben und acht für Hamilton und Russell. Erstmals seit Imola 2022 stand kein Silberpfeil in den ersten drei Startreihen. Selbst auf Ferrari fehlten Mercedes fast vier Zehntelsekunden. Aber: Mit geringerem Reifenabbau und einem zusätzlichen Satz der harten Reifen wollte man die Scuderia niederringen.

Mercedes-Pilot Lewis Hamilton überholt Charles Leclerc im Ferrari
Mercedes vs. Ferrari hieß das Duell in Japan, Foto: LAT Images

Der Start verlief für Mercedes doppelt schlecht: Einerseits überholte Fernando Alonso Hamilton und Russell, andererseits kollidierte Hamilton leicht mit Sergio Perez. Während der Red-Bull-Pilot später zum Flügelwechsel an die Box fahren musste, erwischte es Hamilton etwas glimpflicher. Trotzdem hatte sein Boliden leicht Schaden genommen.

Hamilton klagte vor allem über einen blockierenden rechten Vorderreifen. Das ganze Wochenende über hatte er damit keine Probleme. Die Daten zeigen klar, dass der Formel-1-Rekodsieger in der zweiten Degner-Kurve permanent Zeit verlor. Dort ist das Anbremsen für den vorderen rechten Reifen besonders knifflig. Wie viel die Beschädigung genau kostete, konnte Mercedes nach dem Rennen nicht genau sagen.

Krieg der Sterne: Russell kämpft gegen Hamilton

Doch Mercedes machte sich zusätzlich noch selbst das Leben schwer. Als das Rennen nach der anfängliche Safety-Car-Phase nach Runde vier wieder freigegeben wurde, kämpfte Hamilton nicht gegen Alonso, sondern gegen den eigenen Teamkollegen. Russell ging mit der Brechstange in der Schikane an Hamilton vorbei, der Ex-Champion konterte auf Start und Ziel.

Wenige Runden später wurde es noch heißer, als Hamilton in der zweiten Degner zu weit neben die Strecke kam und Russell seine Chance witterte. Die beiden Mercedes-Piloten fuhren knallhart gegeneinander, Hamilton blieb aber erneut vorne. "Gegen wen kämpfen wir hier eigentlich? Gegen die anderen oder gegen uns selbst?", funkte Russell verärgert.

Mercedes hatte tatsächlich einen klaren Gegner. Auf Max Verstappen hatte man ohnehin nie geschielt, früh im Rennen musste man aber auch feststellen, dass McLaren außer Reichweite war. Also hieß der einzige Gegner Ferrari. "Es ging für uns letztlich darum, den Punktverlust auf Ferrari zu minimieren", bestätigt Mercedes-Chefingenieur Andrew Shovlin.

Mercedes entgeht Silber-GAU durch Strategie

Mercedes löste das teaminterne Problem elegant, indem man die Strategien aufteilte. Hamilton versuchte es mit der konventionellen Zweistopp-Strategie, Russell musste mit einem Stopp auskommen. Dabei hatte der noch am Freitag nach den Trainings erklärt, dass der Reifenabbau in diesem Jahr besonders hoch sei und es sogar näher der Dreistopp sei.

Im Rennen zeigte sich, dass der Reifenabbau nicht ganz so dramatisch war wie von vielen befürchtet. Aber Einstopp? Wollte Mercedes etwa so dafür sorgen, dass die beiden Teamkollegen voneinander getrennt werden, um in Abwesenheit von Teamchef Toto Wolff keinen Krieg der Sterne anzuzetteln? Hat man Russell geopfert, um freie Bahn für Hamilton zu haben? "Nein, nicht wirklich. Wir wollten als Team nur versuchen, Punkte auf Ferrari gutzumachen", stellt Shovlin klar.

Hamilton kam in Runde 16 und spielte den Mercedes-Joker aus, zwei Sätze der harten Reifen zur Verfügung zu haben. Die beiden Ferrari-Piloten, die in den nachfolgenden Runden Reifen wechselten, mussten Mediums aufziehen, um den einzigen Hard-Satz für das Rennende und ein mögliches Safety Car aufzuheben.

Doch es war nur ein vermeintlicher Vorteil. Im Mittelstint verlor Hamilton sogar auf Ferrari. Sein Rückstand auf Leclerc vergrößerte sich von 3,5 Sekunden in Runde 15 auf 5,7 Sekunden in Runde 33, sein Rückstand auf Sainz von 2,1 auf 3,7 Sekunden. Mercedes war in Suzuka offensichtlich auch im Renntrimm schwächer als Ferrari.

Ferrari verpatzt Sainz-Strategie

Wenn nicht mit Performance, dann mit Strategie: Die Mercedes-Strategen waren ihren Kollegen aus Maranello überlegen. In Runde 34 kam Hamilton zu seinem zweiten Stopp. Leclerc kam gleichzeitig mit dem Briten, doch mit Sainz verpasste Ferrari den rechtzeitigen Reifenwechsel. Eine Runde nach Hamilton wollte Ferrari nicht stoppen, man hatte berechnet, dass Sainz bereits hinter dem Briten rauskommen würde.

Zur Erinnerung: Der Spanier hatte zuvor 3,7 Sekunden Vorsprung. Der Undercut ist in Suzuka aufgrund des hohen Reifenabbaus besonders effektiv. Ferrari wies Sainz unmittelbar nach dem Hamilton-Stopp an, zu pushen und anschließend ebenfalls in die Box zu fahren, am Ende der Runde sah man die Position aber schon als verloren an und ließ Sainz draußen. Der Singapur-Sieger sollte länger draußen bleiben, um am Ende einen größeren Reifen-Vorteil gegen Hamilton zu haben. Sainz kam in Runde 38 zu seinem Stopp.

Währenddessen fuhr George Russell ein einsames Rennen, zumindest wenn es um die direkte Konkurrenz ging. Als Hamilton und die Ferrari zum ersten Mal stoppten, blieb Russell draußen. Erst in Runde 24 kam er zu seinem ersten und einzigen Reifenwechsel.

Ausgangslage Runde 39

PosFahrerRückstandReifenalter
1Verstappen2
2Norris15,933
3Russell20,6615
4Piastri22,1974
5Leclerc24,9165
6Hamilton28,4095
7Sainz35,5631

Als in Runde 39 alle Ferrari- und Mercedes-Piloten ihre Boxenstopps abgeschlossen hatten, lag Russell auf Rang drei vor Oscar Piastri, Charles Leclerc, Lewis Hamilton und Carlos Sainz. Russell hatte die Track Position und Vorsprung, dafür aber die ältesten Reifen.

Piastri ging in Runde 41 ohne große Probleme vorbei, Leclerc in Runde 44. Da stürmten bereits Hamilton und Sainz von hinten heran. In Runde 46 von 52 fuhren Hamilton und Sainz direkt hinter Russell. Hamilton verlor hinter seinem Teamkollegen Zeit und musste sich gleichzeitig gegen Sainz verteidigen. Eine schwierige Konstellation für den Mercedes-Kommandostand. Teamchef Toto Wolff unterstützte das Team an diesem Wochenende nach einer Kreuzband-OP aus dem Homeoffice in Monaco. Der Österreicher war per Intercom-System ständig mit der Rennstrecke verbunden.

Mercedes in der Taktik-Zwickmühle

Zunächst überlegte man bei Mercedes, Hamilton hinter Russell zu lassen, um so Sainz abzuwehren. Hamilton hätte vom DRS profitiert. Sainz kannte das Szenario, erinnerte es ihn doch an Singapur eine Woche zuvor, als er Norris absichtlich im DRS-Fenster hielt, um sich gegen Russell zu verteidigen.

Aber Suzuka ist nicht Singapur. In Japan herrscht kein Überholverbot. Mercedes hatte Angst, dass Sainz so Hamilton überholen würde. Russell mit seinen abgefahrenen Reifen und ohne DRS wäre für den Ferrari-Piloten keine allzu schwierige Aufgabe mehr gewesen.

Also ließ man Hamilton und Russell in Runde 48 Positionen tauschen. Russells Schicksal war damit besiegelt. Eine Runde später ging Sainz am Mercedes mit der Startnummer 63 vorbei. Dabei wollte Russell noch, dass Hamilton absichtlich langsamer macht und ihm so noch DRS und Windschatten spendieren kann. Hamilton versuchte es, doch es brachte alles nichts.

Dadurch brachte sich Hamilton nur noch mehr in Gefahr, ebenfalls noch von Sainz abgefangen zu werden. Doch der Spanier konnte nie einen entscheidenden Überholversuch starten und fuhr knapp eine Sekunde hinter Hamilton ins Ziel. "Das Rennen war heute ein paar Runden zu kurz für mich", stellte Sainz fest. Seinen Reifen-Vorteil konnte er so nicht ausspielen.

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Sainz ärgerte sich gleich doppelt. "Unsere Pace heute war besser als unsere Platzierung", gab er seinen Strategen mit auf den Weg. Dass man sich von Hamilton hatte undercutten lassen, kostete ihn die eigentlich nie wirklich gefährdete Position.

Russell akzeptiert Strategie-Risiko

Aber was war mit Russell? Hatte es den Mercedes-Youngster strategisch noch schlechter erwischt? "Die Einstopp-Strategie schien zu Beginn des Tages nicht optimal zu sein, aber wir haben sie besser umgesetzt als erwartet", meint Russell. Aber dabei kam er doch hinter seinem Teamkollegen und hinter den beiden Ferrari ins Ziel.

"Der Grund, warum wir uns für diese Strategie entschieden haben, war, dass wir wenig zu verlieren hatten - hinter Sainz bestand keine Gefahr", erklärt Andrew Shovlin. "Auch wenn die Chancen, dass wir Sainz hinter uns halten können sehr gering waren, haben wir es dennoch gemacht, weil wir nichts zu verlieren hatten." Denn Alonso war durch einen zu frühen ersten Stopp zurückgefallen und fuhr nicht mehr gegen Ferrari und Mercedes.

Die Strategie hätte aber durchaus aufgehen können. Einerseits fehlten Russell am Ende nur wenige Runden, um Sainz und Hamilton zu schlagen. Und: Russell hätte von einem möglichen Safety Car extrem profitieren können. Hätte er das gleiche gemacht wie alle anderen, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls Siebter geworden. Möglicherweise hätte der interstellare Krieg auch noch Hamilton die Position gegen Russell gekostet.