An großen Launch-Tag der Formel 1 enthüllt McLaren als zweites Team innerhalb weniger Stunden ein neues Auto für die Saison 2023. Mit dem Namen MCL60, der aus dem eigentlichen Schema fällt, ehrt das Team das 60-jährige Jubiläum der Markengründung, doch für 2023 gilt: Es ist eine signifikante Evolution für die Mannschaft aus dem britischen Woking.

Im letzten Jahr hatte McLaren mit dem MCL36 ein schwieriges Jahr durchgemacht, trotz solidem fünften Rang in der Konstrukteurs-WM und einem Podium für Lando Norris. Es hatte Zeit gebraucht, das Auto verlässlich in Schwung zu bekommen. Probleme machten auch schwache Leistungen von Daniel Ricciardo. Am Ende der Saison verließ Teamchef Andreas Seidl, der die Umstrukturierungen geleitet hatte, das Team vorzeitig.

2023 wird nun zwar nicht zum Revolutionsjahr, aber die Hürden sind nicht zu unterschätzen. Lando Norris startet in die fünfte Saison, bekommt mit Oscar Piastri aber einen Rookie als neuen Teamkollegen. Der ehemalige Racing-Direktor Andrea Stella übernimmt als Teamchef. Auch technisch gibt es eine Evolution. Man sagt der Mittelfeld-Konkurrenz damit den Kampf an. Nicht aber der F1-Spitze.

Neues Auto: McLaren nimmt Design-Anleihen beim Red-Bull-Konzept

Technisch baut der neue McLaren MCL60 sichtlich auf dem Vorjahr auf. Fix ist: Er nähert sich weiter dem Konzeptweg von Red Bull. Da hatte das Team schon im Verlauf des Vorjahres mit Upgrades hingearbeitet. Die Seitenkästen für 2023 gehen noch aggressiver in diese Richtung.

Es bleibt bei einem hohen Lufteinlass, dahinter folgt eine Abwärts-Rampe. Unter dem Lufteinlass zieht sich ein Undercut nach hinten. McLaren hat die Formen nicht komplett umgestaltet, aber durchgehend verfeinert. Mehrere Abstufungen entlang der Seitenkastenform wurden verschärft. Frontflügel und (der sichtbare) Unterboden ähneln dem Vorjahr deutlich stärker, aber hier ist es einfacher, auf den Launch-Renderings Änderungen unauffällig zu verheimlichen.

Der MCL60 unterstreicht einen generellen konzeptuellen Aerodynamik-Trend, der schon bei den Launches der Konkurrenten wie Alfa Romeo zu sehen war. Bei McLaren, wo viel Arbeit in diese Richtung schon im Vorjahr am alten Auto erledigt worden war, wird es aggressiver. Der Undercut des Seitenkastens wird viel tiefer, die Leitbleche an den Einlässen der Venturi-Kanäle werden neu geformt.

Von der Launch-Version des Vorjahres hat sich McLaren damit schon entfernt, auch wenn das Auto an sich keine Revolution ist. Mit den neuen Regeln, die finanzielle Mittel und Aero-Testzeiten stark beschränken, ist das aber auch nicht zu erwarten.

McLaren stabilisiert Formel-1-Programm nach Untiefen

In Sachen Entwicklung hat McLaren bereits ein dichtes Programm bis Baku eingeplant. Im Vorjahr war das Team in Bahrain von schwerwiegenden Problemen an der Bremskühlung überrascht worden und hatte viele Ressourcen, die teilweise auch eigentlich schon für das 2023er-Autos eingeplant worden waren, auf die kurzfristige Lösung verwenden müssen.

Im Verlauf der Saison fand man in die Spur. Einen signifikanten Verlust von Entwicklungszeit für 2023 sieht das Team daher nicht. Allerdings räumt der neue Teamchef Andrea Stella ein, dass die Launch-Version des MCL60 definitiv noch nicht dem entspricht, was sich die Designer vorstellen.

"Es gibt einige Bereiche des 2023er-Autos, wo wir wissen, dass viel Potenzial da ist", erklärt Stella. "Ein paar davon können wir schon mit dem Launch-Auto ausreizen. Bei anderen geht es erst später. Aber die Tatsache, dass das Launch-Auto noch nicht das ganze Potenzial ausschöpft, ist keine direkte Konsequenz des letzten Jahres." Erst die Upgrades sollen das Limit des Designs auch wirklich ausreizen. Einen offiziellen Filmtag kommuniziert McLaren vorerst keinen, der MCL60 soll bei den Testfahrten in Bahrain erstmals fahren.

Die McLaren-Eigenwilligkeit soll enden

Mit zu den größten technischen Baustellen zählte die Eigenwilligkeit der Handling-Eigenschaften der McLaren der letzten Jahre. Lando Norris und Daniel Ricciardo klagten über ein nicht immer leicht zu fahrendes Auto. "Sowohl Daniel als auch ich hatten die gleichen Beschwerden", erinnert Norris.

Für Ricciardo waren die Eigenheiten fahrerisch desaströs und führten schließlich zur vorzeitigen Trennung vom Team. Norris, der dadurch zur Ein-Mann-Show wurde, war trotz besserer Leistungen auch nicht glücklich. "Dieses Jahr gibt es ein bisschen einen Push, nicht bloß ein schnelles Auto zu machen, sondern eines, mit dem wir gut zurechtkommen", erklärt er. "Auch wenn ich mehrere Jahre bei McLaren bin, so war es nicht unbedingt für mich gemacht."

McLaren-Ziel bleibt 2023 gleich: Vierter WM-Platz

Norris und seine Ingenieure arbeiteten seit dem letzten Jahr hart daran, den McLaren fahrbarer zu machen. Viel Fokus lag auf dem technischen Feedback, zur Auto-Balance, und auf das weitere Vertiefen der Zusammenarbeit mit den Ingenieuren. "Viel wurde gelernt, auf meiner Seite und vom ganzen Team", sagt Norris. Er gelobte, sich in allen Bereichen weiter zu verbessern.

2023 wird er bei McLaren schließlich unumstrittener Teamleader sein. Die Teamführung unterstellt ihm inzwischen alle nötigen Fähigkeiten, um die Veteranen-Rolle in seinem fünften Jahr ganz auszufüllen. Das muss er auch. Sein neuer Partner Oscar Piastri hat bis jetzt nur einen Abu-Dhabi-Test, ein paar Runden in alten Autos und Simulator-Erfahrungen gesammelt.

"Was die Ziele angeht, wollen wir uns Tag für Tag verbessern", gibt Andrea Stella als Devise aus. McLaren ist ehrlich: Man will primär den vierten Platz in der Konstrukteurs-WM von Alpine zurück. "Kurzfristig gesehen ist das realistisch", glaubt Stella. Regelmäßige Kämpfe mit den drei Top-Teams, Podien oder gar Siege sieht man keine.

Mehr kommt erst langfristig. Im Verlauf der Saison soll der neue Simulator des Teams am Standort Woking fertiggestellt werden, auch der neue Windkanal nähert sich seiner Vollendung. Auf 2023 wird das keine nennenswerten Auswirkungen haben. Die neue Infrastruktur wird erst 2024 und 2025 Ertrag einbringen. Dann will McLaren auch nach vorne Druck machen.

Technische Daten McLaren MCL60 - Chassis

  • Monocoque: Karbon, Aluminium-Honigwaben
  • Sicherheit: Titan-Halo, Überrollbügel vorne & hinten, Crash-Strukturen vorne, seitlich und hinten, Eindringungsschutz
  • Verkleidung: Karbon
  • Gewicht (einschl. Kühlflüssigkeit, Öl, Fahrer): 798 kg (per Reglement)
  • Benzinsystem: ATL mit kevlarverstärkter Gummiblase
  • Vorderradaufhängung: Zugstrebe
  • Hinterradaufhängung: Druckstrebe
  • Lenkung: Servounterstützte Zahnstange und Getriebeanordnung
  • Bremssystem: Karbonscheiben und Beläge, Brake-by-Wire
  • Räder: BBS, geschmiedetes Magnesium
  • Elektronik: Einheitssteuergerät nach FIA-Standard von McLaren

Technische Daten McLaren MCL60 - Getriebe

  • Hersteller: McLaren
  • Aufbau: Karbon-Gehäuse, längsseitig installiert
  • Gänge: 8 vorwärts, 1 rückwärts
  • Gangwechsel: Sequenzielle Halbautomatik, hydraulische Aktivierung

Technische Daten McLaren MCL60 - Motor

  • Modell: Mercedes-AMG F1 M14 E Performance
  • Mindestgewicht: 150 kg
  • Hubraum: 1,6 Liter
  • Zylinder: 6 in 90-Grad-V (per Reglement)
  • Ventile: 4 pro Zylinder (per Reglement)
  • Drehzahl: 15.000 U/min (per Reglement)
  • Aufladung: 1 Turbolader
  • Hybridsystem: kinetische &
  • Hybrid-Batterie: Lithium-Ion, 20 kg Mindestgewicht
  • Batterie-Kapazität: 4 Megajoule/Runde (per Reglement)
  • MGU-K Leistung: 120 kW bzw. 163 PS (per Reglement)
  • MGU-K Drehzahl: max. 50.000 U/min (per Reglement)
  • MGU-H Leistung: unbegrenzt
  • MGU-H Drehzahl: max. 125.000 U/min (per Reglement)