Nyck de Vries ist kein klassischer Formel-1-Rookie. Natürlich erfüllt er die Definition des Wortes, denn 2023 ist seine erste echte F1-Saison. Doch der Niederländer hat eine unkonventionelle Route in die Königsklasse zurückgelegt. Denn anstatt so wie seine Rookie-Kollegen Logan Sargeant und Oscar Piastri direkt von den Nachwuchsformeln in den Olymp des Motorsports vorzudringen, musste De Vries ein paar Extrarunden einlegen.

Das Kapitel Formel 1 schien für de Vries 2019 ausgeträumt zu sein. Obwohl er damals unangefochten zum Formel-2-Titel fuhr, rissen sich die Teams aus der Königsklasse nicht um ihn. Nachdem in den beiden Vorjahren mit Charles Leclerc und George Russell jeweils ein Rookie die Meisterschaft erringen konnte, wirkte de Vries' Titel in seiner dritten Saison nicht sonderlich eindrucksvoll. Nicholas Latifi war der einzige F2-Pilot, der im Winter von 2019 und 2020 den Sprung in die Königsklasse schaffte.

Nyck De Vries: Kart-Debüt mit 4 Jahren

Ein Blick zurück auf den Anfang seine Motorsport-Laufbahn: Hendrik Johannes Nicasius de Vries (Ja, das ist tatsächlich sein vollständiger Name) wurde am 6. Februar 1995 im friesländischen Uitwellingerga geboren, einem Dörfchen mit rund 350 Einwohnern. De Vries kommt aus einer Unternehmerfamilie, sein Vater Jan de Vries führt einen Autoteile-Handel. So kam de Vries schon früh in den Kontakt mit motorisierten Vierrädern. Im Alter von gerade einmal vier Jahren bekam er sein erstes Kart - ein Babykart.

Die Kindheit von de Vries verlief aus sportlicher Sicht so wie bei den meisten Formel-1-Aspiranten im Kartsport. Bis 2011 war er im Kart aktiv und das äußerst erfolgreich. 2010 und 2011 krönte er sich in der Topklasse jeweils zum Weltmeister. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn bereits McLaren als Juniorfahrer unter Vertrag genommen.

Formel-Debüt: Schneller als Gasly und Ocon

2012 kam folgerichtig der Aufstieg in die Monoposto-Szene. Mit 17 Jahren war er damit zwar relativ spät dran, doch in seiner ersten Saison im Formel Renault Eurocup war er umgehend erfolgreich unterwegs. Obwohl de Vries keinen einzigen Rennsieg einfahren konnte, landete er in seinem ersten Jahr in der Meisterschaft auf Platz 5 und besiegte damit unter anderem Esteban Ocon und Teamkollege Pierre Gasly.

Doch so beflügelnd sein Debütjahr verlief, so enttäuschend war die Entwicklung von de Vries in seiner zweiten Saison. Er kam erneut nicht über P5 im Eurocup hinaus, während unter anderem Gasly (Meister) und Ocon (P3) in eine höhere Serie aufstiegen. Von diesem Punkt seiner Karriere an, war De Vries im Vergleich zu den beiden inzwischen zu GP-Siegern gereiften Alpine-Piloten immer einen Schritt im Rückstand und das obwohl er 2014 sowohl im Formel Renault Eurocup als auch in der FR Alps-Meisterschaft den Titel einfahren konnte.

2015 folgte ein Jahr in der stärker motorisierten Formel-Renault-3.5-Topserie. Dieses Jahr konnte genauso wie die erste und einzige GP3-Saison von de Vries 2016 in Anbetracht der Umstände und des restlichen Fahrerfeldes mit dem Attribut "gut, aber nicht überragend" abgestempelt werden. Bilanz: P3 in der Formel Renault, P6 in der GP3.

Anschließend kam der Aufstieg in die GP2 (heute: Formel 2). Dort lieferte De Vries mit P7 in seiner Rookie-Saison ein solides Jahr ab. Doch alles wurde überstrahlt von Charles Leclerc, der ebenfalls in seiner ersten Saison in der Serie die F2 wie im Sturm eroberte. Gegen diese Messlatte kam er nicht an. Auch ins seiner zweiten Saison in der höchsten Nachwuchsserie lieferte der Niederländer durchwegs gute Resultate (P4 im End-Klassement), doch Rookies wie Champion George Russell und Vize-Meister Lando Norris stahlen ihm die Show.

2018: McLaren-Aus von De Vries

Im Gegensatz zum Spitzentrio der Formel 2 (Albon landete auf P3) konnte de Vries keinen F1-Platz ergattern. Im Gegenteil: De Vries verließ 2018 das Junior-Programm von McLaren. 2019 blieb er in dennoch in der Serie und konnte seine Favoritenrolle dominant mit dem Titel bestätigen. Der Formel-1-Zug schien aber schon abgefahren zu sein und so orientierte sich De Vries parallel in Richtung Formel E und auf die Langstrecke. 2018 startete er erstmals in der LMP2-Klasse in der WEC, bereits 2017 testete er erstmals in der Formel E.

2019 war er maßgeblich für den LMP2-Klassensieg von Racing Team Nederland bei den 6-Stunden von Fuji verantwortlich. Seine Zukunft lag aber in der Formel E, wo er eine Saison lang parallel zur WEC und später ausschließlich antrat. Drei Saisonen lang, also die Dauer des gesamten FE-Engagements von Mercedes blieb er mit Teamkollege Stoffel Vandoorne an Bord der Mannschaft von Ian James und trug seinen Teil zur Erfolgsgeschichte des Teams bei.

2021: F2-Champion wird Formel-E-Weltmeister

Nach einer etwas durchwachsenen Debütsaison gelang De Vries 2021 in der stark besetzten Elektro-Meisterschaft der große Wurf. De Vries krönte sich zum ersten Formel-E-Weltmeister überhaupt. Nach diesem Erfolg galt er als Kandidat auf ein Formel-1-Cockpit bei Williams, dieses ging schlussendlich aber an Alex Albon.

Ein Jahr später konnte er nur zusehen, wie Vandoorne zum FE-Titel fuhr, während De Vries in zu viele Zwischenfälle involviert war, um ein Wörtchen im Titelkampf mitzureden - inklusive einer verweigerten Teamorder. Mit einem WM-Titel in der Tasche und dem Ende von Mercedes in der Formel E lag sein Fokus aber wieder auf der Königsklasse.

Mit Williams, Aston Martin und im Werksteam sammelte er zahlreiche FP1-Einsätze in mercedes-motorisierten Rennställen. Sein Auftritt als Vertretung von Alex Albon überzeugt schließlich noch die letzten Kritiker. Ein möglicher Deal mit Formel-E-Neueinsteiger Maserati war nun nicht mehr die verlockendste Option des 27-Jährigen.

Die Frage lautete nun vielmehr, welches F1-Team De Vries einen Vertrag vorlegen würde. Die Antwort kam so schnell wie überraschend. Nachdem er sich im September mit Dr. Helmut Marko in Graz getroffen hatte, wurde er am 8. Oktober als AlphaTauri-Fahrer für 2023 vorgestellt und beerbt damit seinen ehemaligen Formel-Renault-Rivalen Pierre Gasly.