Leser von Motorsport-Magazin.com wussten es schon am Samstag, seit Mittwoch dieser Woche auch der Rest der Welt: Nyck de Vries kehrt nach seinem vorzeitigen Formel-1-Rauswurf in die Formel E zurück. Der Niederländer, der 2021 mit Mercedes die Weltmeisterschaft gewann, heuert bei Mahindra an - dem Team mit dem schwächsten Antriebsstrang im ersten Jahr der neuen Gen3-Autos.

Kurz nach der offiziellen Fahrer-Bekanntgabe von de Vries und seinem neuen Teamkollegen Edoardo Mortara hatte Motorsport-Magazin.com die Gelegenheit zu einem Exklusiv-Interview mit dem Rückkehrer. De Vries befindet sich derzeit am britischen Mahindra-Teamsitz in Banbury, lernt sein neues Team kennen und beginnt mit den Vorbereitungen auf die nächste Saison, die Ende Oktober mit den offiziellen Kollektiv-Testfahrten in Valencia beginnt.

Nyck, willkommen zurück in der Formel E. Wie kam es dazu, dass du 2024 für Mahindra an den Start gehen wirst?
Nyck de Vries: Fred (Bertrand, Mahindra-Teamchef; d. Red.) und ich trafen uns beim Saisonfinale in London in der Startaufstellung und haben uns etwas unterhalten. Er hat sein Interesse bekundet und wir machten ein Telefonat aus, um zu besprechen, welche Richtung das Team einschlägt. Bei diesem Call tauchte dann ein mir bekanntes Gesicht auf, nämlich das von Tony Ross.

Tony Ross war früher euer Chef-Renningenieur bei Mercedes in der Formel E und zwischenzeitlich auch in der Formel 1 für die Silberpfeile im Einsatz.
Nyck de Vries: Ja. Ich habe mich natürlich gefreut, ihn wiederzusehen. Sie haben mir beschrieben, mit welchen Ambitionen und Ideen sie wieder nach vorne kommen wollen. Es stimmt, dass Mahindra einen holprigen Start in die Gen3-Ära hatte. Gleichzeitig haben sie während der Saison viel gelernt und ich bin sicher, dass wir gemeinsam darauf aufbauen können. Parallel dazu laufen die Vorbereitungen für das Gen3.5-Auto (ab 2025; d. Red.). Ich glaube an dieses Projekt und daran, dass wir die gleichen Absichten verfolgen. Ich bin überzeugt, dass wir mit der Zeit hier etwas Einzigartiges aufbauen können.

Formel-E-Weltmeister 2021: Nyck de Vries und Mercedes, Foto: Germain Hazard / DPPI
Formel-E-Weltmeister 2021: Nyck de Vries und Mercedes, Foto: Germain Hazard / DPPI

Bei deinem Besuch des Formel-E-Finales in London sollst du auch mit anderen Teams gesprochen haben. War Mahindra am Ende die einzige Option?
Nyck de Vries: Ich habe mich dort mit mehreren Leuten unterhalten. Zu dieser Zeit habe ich hauptsächlich als Tourist zugeschaut. Ich glaube an Mahindra und die Perspektiven des Teams. Jetzt freue ich mich einfach auf dieses neue Kapitel und darauf, in die Formel E zurückzukehren. Eine Umgebung, in der ich mich zuhause fühle und viele Menschen kenne.

Tony Ross gilt als wichtiger Neuzugang im Team-Management von Mahindra. Hat seine Verpflichtung für dich den Ausschlag gegeben?
Nyck de Vries: Das war eine sehr positive Überraschung, aber nicht der entscheidende Faktor. Damit wurde mir noch bewusster, welche Pläne Mahindra verfolgt und wie ernst sie dieses Projekt nehmen. Innerhalb des Teams wurden schon einige Änderungen vorgenommen und es wird noch weitere Verpflichtungen geben. Die Idee, mit der Zeit hier etwas Großes aufzubauen, gefällt mir, und ich teile diese Vision. Die Formel E ist sehr komplex, aber gleichzeitig sind die Autos wegen der Einheitsbauteile ziemlich ähnlich. Es ist nicht so, als würde man ein komplett neues Auto bauen. Von Wochenende zu Wochenende kann das Pendel schnell in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Deshalb glaube ich, dass wir mit dem Erlernten und unserer jetzigen Arbeit schon in der nächsten Saison gute Fortschritte erzielen können.

Mahindra hatte 2023 den schwächsten Antriebsstrang und landete in der Tabelle auf dem vorletzten Platz, nur vor dem eigenen Kundenteam Abt-Cupra. Die Autos sind technisch für zwei Jahre eingefroren. Siehst du als ehemaliger Weltmeister kein Risiko in deinem Schritt?
Nyck de Vries: Das wäre etwas kurzsichtig gedacht. Der Start in die Gen3-Ära war schwierig, aber ich habe Vertrauen in das Fundament des Teams und die weiteren personellen Verstärkungen. Gerade eine solche Reaktion wie die deine macht es für mich noch spannender, weil ich an dieses Projekt glaube.

Im ersten Jahr mit den Gen3-Autos waren die Energiespar-Schlachten das große Thema. Wie bewertest du diese Art des Rennfahrens und werden wir das wieder erleben?
Nyck de Vries: Das wird sehr davon abhängen, ob die Formel E Schnelllade-Boxenstopps einführt oder nicht. Wenn das der Fall ist, wird sich dadurch die Dynamik der Rennen signifikant ändern. Es stimmt, dass wir dieses Peloton-Racing ab der zweiten Saisonhälfte häufiger erlebt haben. Das hat sicherlich für die eine oder andere Kontroverse gesorgt, aber gleichzeitig haben nur maximal drei Fahrer um den Titel gekämpft. Für die Zuschauer und mich zuhause auf dem Sofa war das sehr spannend. Für die Fahrer war es manchmal etwas stressig, aber die Formel E hat meiner Meinung nach die richtige Balance zwischen der sportlichen Leistung und dem Entertainment-Faktor gefunden.

Mahindra zählt zu den Gründungsmitgliedern der Formel E, Foto: LAT Images
Mahindra zählt zu den Gründungsmitgliedern der Formel E, Foto: LAT Images

Du kanntest bislang nur das alte Gen2-Auto. Wie groß ist die Umstellung auf das aktuelle Gen3-Fahrzeug mit höherer Leistung?
Nyck de Vries: Ich habe ja noch etwas Zeit, um mich an das neue Auto zu gewöhnen. Es geht nicht nur ums Rennfahren, sondern auch um die unterschiedlichen Systeme. Die kannte ich zuvor ja von einem anderen Hersteller (Mercedes; d. Red.). Auch der Frontmotor und die neuen Reifen bedeuten neue Herausforderungen, auf die ich nun achten muss. Deshalb bin ich aktuell beim Team im Banbury, um mich auf die neue Saison vorzubereiten.

Hast du mit den Vorkommnissen in den vergangenen Monaten rund um deinen Rauswurf aus der Formel 1 inzwischen abgeschlossen?
Nyck de Vries: Ja. Im Leben macht du unterschiedliche Phasen und Kapitel durch. Das war für mich eine weitere sehr wertvolle Erfahrung. Jetzt freue ich mich auf ein neues Kapitel in der Formel E, einer Umgebung, in der ich mich auskenne. Die Zeit, die ich in den vergangenen Wochen hatte, hat mir dabei geholfen, das noch mehr zu verstehen. Es gibt nicht dieses eine endgültige Ziel, denn das Leben dreht sich sowieso immer weiter.

Portrait der Mahindra-Formel-E-Piloten Edo Mortara und Nyck de Vries
Neues Mahindra-Duo für 2024: Edoardo Mortara und Nyck de Vries, Foto: Mahindra Racing

Wir haben gehört, dass du parallel zur Formel E nächstes Jahr auch in der WEC für Toyota an den Start gehen könntest. Zwischen den Serien kommt es nach aktuellem Stand zu einer Kalenderüberschneidung. Kannst du jetzt schon sagen, ob du 2024 alle Formel-E-Rennen bestreiten wirst?
Nyck de Vries: Wir müssen in der kommenden Zeit erst einmal schauen, in welchen Meisterschaften ich fahre oder auch nicht. Das wird zu gegebener Zeit bekanntgegeben.