Mit Nyck de Vries begrüßt die Formel E einen Rückkehrer und Weltmeister im Starterfeld für die bevorstehende Saison 2024. Der Niederländer gewann 2021 mit Mercedes den Titel und trug sich ebenso als Champion in die Geschichtsbücher der Elektro-Serie ein wie seine aktuellen Fahrerkollegen Sebastian Buemi (2016), Lucas di Grassi (2017), Jean-Eric Vergne (2018, 2019), Antonio Felix da Costa (2020), Stoffel Vandoorne (2022) und Jake Dennis (2023).

Sieben Meister tummeln sich nächstes Jahr im Reigen der 22 Formel-E-Piloten, die vor der zweiten Saison mit dem Gen3-Rennwagen stehen. Trotz aller Aufmerksamkeit rund um de Vries' Comeback bleibt die Frage: Was kann der 28-Jährige mit seinem neuen Team Mahindra an der Seite von Teamkollege Edoardo Mortara - dem zweiten Neuzugang beim indischen Werksteam - erreichen?

Nyck de Vries' Formel-E-Comeback: Düstere Vorzeichen

Die Vorzeichen für eine erfolgreiche Saison und die Hoffnung auf den zweiten WM-Titel stehen alles andere als gut. Nicht nur muss sich de Vries zunächst an das ihm quasi unbekannte Gen3-Auto und die neuen Hankook-Reifen gewöhnen, auch hat der ehemalige Formel-1-Pilot ausgerechnet beim schwächsten Motorenhersteller unterschrieben.

Mahindra, das zu den Pionieren der Formel E zählt und seit dem Serienbeginn 2014/15 durchweg an den Start ging, erlebte eine absolute Katastrophen-Saison. In der Team-Meisterschaft landete die Truppe auf dem vorletzten Platz - nur das eigene Kundenteam Abt Sportsline holte noch weniger Punkte. Dass selbst das Hinterbänkler-Team NIO 333 die Inder beim letzten Saisonrennen in London in der Tabelle überholte, darf als symbolischer Schlag ins Gesicht gewertet werden.

Die ehemaligen Mahindra-Fahrer Lucas di Grassi (kehrt zu den Äbten zurück), Oliver Rowland (verließ Mahindra während der Saison) und sein Nachfolger Roberto Merhi sammelten gemeinsam nur 41 Punkte. Zum Vergleich: Nick Cassidy und Sebastien Buemi führten das Jaguar-Kundenteam Envision mit 304 Zählern zum Titel-Triumph.

Für das einzige Mahindra-Highlight sorgte di Grassi beim Saisonauftakt in Mexiko-City, als er hinter dem späteren Weltmeister Jake Dennis (Andretti-Porsche) auf den zweiten Platz fuhr - zu einem Zeitpunkt, als die Teams angesichts der kurzen Vorbereitungszeit mit dem Gen3-Auto alles andere als aussortiert wirkten. In den folgenden 15 Rennen gelangen Mahindra nur noch vier weitere Punktgewinne.

Nyck de Vries und Edoardo Mortara im Vergleich

StatistikNyck de VriesEdoardo Mortara
Rennen42 seit 201979 seit 2018
Siege46
Podestplätze813
Pole Positions22
Schnellste Rennrunden22
Punkte265422
Beste PlatzierungWeltmeister 2021Vize-Weltmeister 2021

De Vries: Mahindra hatte "holprigen Start in Gen3-Ära"

"Es stimmt, dass Mahindra einen holprigen Start in die Gen3-Ära hatte", bewertete de Vries die Pleite-Saison seines neuen Arbeitgebers im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com mehr als gnädig. "Gleichzeitig haben sie während der Saison viel gelernt und ich bin sicher, dass wir gemeinsam darauf aufbauen können."

Tatsächlich rumpelte der indische Automobilgigant auf dem Weg zum Gen3-Debüt mehr schlecht als recht durch den Winter. Die Entwicklung des hauseigenen Antriebsstranges verzögerte sich wegen Lieferkettenproblemen massiv, und mit dem früheren FIA-Mann Frederic Bertrand wurde überraschend ein Nachfolger für den langjährigen Boss Dilbagh Gill eingesetzt. Das bekam auch das neue Kundenteam Abt Sportsline zu spüren, dass seine beiden Autos praktisch erst zu Beginn der Valencia-Testfahrten im Dezember 2022 erhielt und kaum Vorbereitungszeit hatte.

In den Energie-sensitiven Rennen waren die Mahindra-Antriebsstränge der Konkurrenz heillos unterlegen. Selbst auf einer schnellen Runde im Qualifying erwies sich das Paket mit Ausnahme der Äbte-Doppelpole im Regen von Berlin durch die beiden Top-Piloten Robin Frijns und Nico Müller als nicht konkurrenzfähig. Den negativen Höhepunkt erlebte Mahindra beim fünften Saisonrennen in Kapstadt, als das Team die eigenen Autos sowie die der Äbte wegen instabiler Querlenker vorzeitig vom Wettbewerb abmelden musste.

Für Mahindra gab es 2023 nichts zu holen, Foto: LAT Images
Für Mahindra gab es 2023 nichts zu holen, Foto: LAT Images

Mahindra muss 2024 mit altem Auto fahren

Zwar erwarten Experten, dass das Feld in der Formel E dank der Erkenntnisse aus der Vorsaison etwas näher zusammenrücken wird und vor allem Mahindra ein Performance-Fortschritt gelingt, doch dem sind klare Grenzen gesetzt: Aus Kostengründen ist die Hardware der Gen3-Autos - neben den zahlreichen Einheitsbauteilen auch der selbstentwickelte Heck-Motor und das Brake-by-Wire-Bremssystem - für zwei Jahre eingefroren. Alle Teams treten also mit technisch unveränderten Autos an.

"Die Fahrzeugtechnik ist für zwei Jahre festgelegt, aber wir haben immer noch Spielraum für die Weiterentwicklung des Autos durch Softwareanpassungen und Setup-Arbeiten", sagte Mahindra-Neuverpflichtung Mortara zu Motorsport-Magazin.com. "Ich glaube, dass wir, wenn wir gut als Team zusammenarbeiten, die Möglichkeit haben, dieses Paket wettbewerbsfähiger zu machen. Ob wir Rennen gewinnen werden, das kann ich nicht vorhersagen, und ich erwarte es auch nicht. Aber ich möchte auf jeden Fall sehen, dass wir uns verbessern."

De Vries und Mortara: Rückschläge in der Formel E

Mit Mortara, Vize-Weltmeister 2021 und Gesamt-Dritter 2022, sowie de Vries verfügt das Team mit Sitz im britischen Banbury zweifellos über eine der stärksten Fahrerpaarungen in der Formel E. Rückschläge hatten allerdings beide in der Vergangenheit zu bewältigen: Mortara kam in seinem sechsten Jahr bei Venturi bzw. Nachfolger Maserati im teaminternen Duell gegen Maximilian Günther unter die Räder und erlebte eine seiner schwächsten Saisons.

De Vries gewann die Weltmeisterschaft zwar schon in seinem zweiten Jahr in der Formel E, das allerdings in der 'Qualifying-Lotterie'-Saison 2021, in der 18 Fahrer mit Titelchancen zum Finale nach Berlin reisten. Mortara hätte damals ebenso locker den Titel holen können wie de Vries' Teamkollege Vandoorne, der dann 2022 stark auftrumpfte und Mercedes die zweite Weltmeisterschaft in Folge bescherte.

Der Belgier errang im letzten Jahr der Silberpfeile 213 Punkte - de Vries im baugleichen Auto kam nicht über 106 Zähler hinaus und musste sich mit Platz neun begnügen. Stattdessen fiel der frühere Formel-2-Meister durch eine teils überharte Fahrweise auf und machte sich damit im Fahrerlager nicht allzu viele Freunde. Eine obendrein missachtete Mercedes-Teamorder zugunsten von Vandoorne in London blieb ohne weitreichende Folgen.

Früher Teamkollegen bei Mercedes: Stoffel Vandoorne und Nyck de Vries, Foto: LAT Images
Früher Teamkollegen bei Mercedes: Stoffel Vandoorne und Nyck de Vries, Foto: LAT Images

Neuanfang für de Vries und Mahindra

Für de Vries bietet sich nach dem unsanften Formel-1-Rauswurf nun eine neue Gelegenheit, sein unbestrittenes Talent in einer FIA-Weltmeisterschaft unter Beweis zu stellen. Es gleicht einem Neuanfang ähnlich wie bei Mahindra, wo einige Neuverpflichtungen das Team verstärken. Dazu zählt unter anderem der erfahrene Chef-Ingenieur Tony Ross, mit dem de Vries schon bei Mercedes zusammenarbeitete, und der jetzt zum Management der Inder stößt.

"Damit wurde mir noch bewusster, welche Pläne Mahindra verfolgt und wie ernst sie dieses Projekt nehmen", freute sich de Vries über das vertraute Gesicht im neuen Team. "Innerhalb des Teams wurden schon einige Änderungen vorgenommen und es wird noch weitere Verpflichtungen geben. Die Idee, mit der Zeit hier etwas Großes aufzubauen, gefällt mir, und ich teile diese Vision."

Mahindra hofft auf neues Formel-E-Auto

De Vries und Mortara stehen vor dem Saisonauftakt am 13. Januar 2024 in Mexiko-City noch einige private Testtage sowie die offiziellen Valencia-Testfahrten (23.-27. Oktober) zur Verfügung, um sich mit dem Mahindra-Auto vertraut zu machen. An eine 'Wunder-Heilung' glaubt niemand, die Konkurrenten Jaguar und Porsche waren zuletzt meilenweit entfernt und starten als Favoriten ins neue Jahr.

Es könnte bei Mahindra eher auf eine Übergangs-Saison mit möglichen Highlights hinauslaufen, während im Hintergrund bereits die Planungen für das Gen3-Evo-Auto ab 2025 begonnen haben.

"Das Ziel ist immer, Rennen zu gewinnen, wettbewerbsfähig zu sein und an der Spitze mitzufahren", so Mortara. "Ich sage nicht, dass wir das im ersten Jahr schaffen werden, aber das ist unsere Vision und unser Ziel. Es wird sicherlich eine Menge Arbeit erfordern, denn in der Formel E dauert es eine Weile, um Veränderungen herbeizuführen. Aber wenn wir gut zusammenarbeiten, bin ich zuversichtlich, dass wir die Dinge nach und nach zum Besseren wenden können."