"Wie haben wir die Strategie so falsch eingeschätzt?" Diese Frage stellte sich Sebastian Vettel noch während seinem letzten Formel-1-Rennen bereits am Funk. Nachdem Aston Martin mit Ambitionen auf ein starkes Ergebnis von Platz neun aus in den Abu Dhabi GP gestartet war, landete Vettel doch wieder nur hinter seinem Teamkollegen Lance Stroll und rettete gerade noch mit Glück einen Punkt.

Aston Martin hatte beim letzten Vettel-Auftritt für ihn noch aufs falsche Strategie-Pferd gesetzt, und damit nicht nur dem vierfachen Weltmeister eine Handvoll Punkte gekostet. Damit hatte sich das Team auch den sechsten Platz in der Konstrukteurs-WM verbaut. Von Alfa Romeo wurde man strategisch übel ausmanövriert. Eine Analyse des Fehlers.

Vettel & Aston Martin: Falsch exekutierte Einstopp-Strategie

Geplant hatte Aston Martin nach einem starken Start ins Rennen früh gleich mit einer Einstopp-Strategie. Vettel kämpfte zu Rennbeginn mit den Alpines um den achten Rang. Er hatte in der ersten Runde seinen neunten Startplatz behauptet und begann dann mit starker Anfangs-Pace kontinuierlich auf den vor ihm fahrenden Esteban Ocon Druck aufzubauen, während er den hinter ihn fahrenden Fernando Alonso in Schach hielt.

Von Alfa war da weit und breit nichts zu sehen. Die WM-Gegner von Aston Martin hatten ein schlechtes Qualifying hinter sich, und Guanyu Zhou steckte zu Beginn auf dem 14. Platz fest. Valtteri Bottas lag mehrere Runden lang überhaupt nur auf dem letzten Platz, da er auf Hard-Reifen gestartet war, während fast alle anderen auf Medium gesetzt hatten.

Für Alfa schien es ein aussichtsloses Unterfangen. Bei Aston Martin machte man sich über die beiden auch keine Sorgen, sondern richtete die Strategie an der direkten Konkurrenz Alpine aus. Der mit den Reifen kämpfende Ocon kam schon in Runde 14 zum Stopp, während Vettel seinen Reifenzustand mit "sehr gut" bewertete und die Einstopp-Strategie sich immer deutlicher abzeichnete.

Aston Martin stoppt Vettel in die Fänge der Alfa-Blocker

Vettel verlängerte den ersten Stint, um sich gegen Alpine in Stellung zu bringen. Nun aber ließ sich das Team vom Wunsch eines größeren Reifen-Vorteiles treiben. Warum stoppen, wenn der Fahrer noch zufrieden war? "Er war überzeugt, dass sie in Ordnung waren", erklärt Teamchef Mike Krack. "Dann versuchst du auf dem Medium weiterzufahren. Denn der Schluss-Stint auf dem Hard ist sehr lang."

Der Fehler von Aston Martin war, dass man zu lange fuhr. Vorne an der Spitze hatte Red Bulls Strategie-Abteilung Runde 20 als den kritischen Punkt anvisiert, ab da sollte der Hard-Reifen bis ins Ziel halten. Max Verstappen exekutierte das perfekt zum Sieg. Ähnlich Charles Leclerc - Runde 21, damit bezwang er den zweistoppenden Sergio Perez.

Auch ein direkter Gegner von Vettel, Daniel Ricciardo, stoppte in Runde 19 auf Hard und fuhr danach durch. Vettel und Aston Martin zögerten. Auf den alten Startreifen begannen die Zeiten einzubrechen - und das bedeutete, dass immer mehr Autos in Vettels Boxenstopp-Fenster auftauchten. Autos, die schon gestoppt hatten und mittels Undercut nun vorbei am Aston Martin waren.

RundeRelevante Autos im Boxenstopp-Fenster
19OCO, MAG, BOT, STR, TSU
20OCO, BOT, STR, MAG, TSU, [ALO]
21OCO, STR, BOT, TSU, MAG, ALO
22OCO, STR, BOT, TSU, ALO, MAG, ALB, ZHO, [MSC]
23OCO, STR, TSU, ALO, BOT, ALB, MAG, ZHO, [RIC]
24OCO, STR, ALO, TSU, BOT, ALB, ZHO, RIC, MSC

Das Team dachte, dies sei nur vorläufig der Fall. Dass man die Zweistopper auf alternden Reifen schnell abfertigen könne. Man hatte die Rechnung ohne Alfa gemacht. "Unsere erste Priorität war, dass sie hinter uns Zeit verlieren", erklärt Chefingenieur Xevi Pujolar. Zuerst wollte man nur Valtteri Bottas dafür in Stellung bringen. Früh kristallisierte sich aber heraus, dass auch für Guanyu Zhou das am meisten Sinn machen würde.

Zhou hatte man schon in Runde 15 an die Box geholt, und bis zu Vettels Stopp fuhr der Alfa-Pilot einen Undercut-Vorteil von ganzen zwölf Sekunden heraus. Indem Aston Martin so lange wartete, warf man Vettel schließlich auf den 19. Platz zurück. Mit den neuen Reifen kam Vettel innerhalb von drei Runden schnell an zwei Nachzüglern vorbei, steckte dann aber schon drei Runden lang im Bottas-Bummelzug fest.

Kaum hatte er sich von dem befreit, ging die Qual weiter. Erst hinter Mick Schumacher. Dann holte er in Runde 37 Zhou ein. Der machte sich breit und breiter. "Manche der Manöver waren hart an der Grenze", merkt Aston-Teamchef Mike Krack an. Bis Runde 43 biss sich Vettel die Zähne am Alfa aus, dann kam er vorbei. Kaum war er vorbei, bog Zhou zum zweiten Boxenstopp ab. Seine Arbeit war getan.

Für Vettel hatte der Verkehr das Ergebnis ruiniert. Theoretisch hätte er mit seinen frischeren Reifen eine höhere Schlagzahl gehen und weniger haushalten müssen. Doch er war nun weit hinter seinen ursprünglichen Gegner Esteban Ocon zurückgefallen, gegenüber dem er keinen Zeitgewinn mehr hatte erzielen können. Ocon fiel bei seinem zweiten Boxenstopp nicht einmal hinter Vettel zurück, hatte also einen Boxenstopp gewonnen. Und als Vettel nach dem Zhou-Stopp zu Daniel Ricciardo aufschloss, hatte er nicht genügend Pace in der Hinterhand, um anzugreifen. Er landete hinter dem McLaren auf Platz 10.

Aston Martin gesteht: Hätten Vettel früher stoppen müssen

Auch der zweistoppende Lance Stroll ging an Vettel vorbei und holte Platz acht. Auf dem Papier hätte man Platz sieben und neun holen können - und damit WM-Platz sechs. Aston Martin kann nur mehr Fehleranalyse betreiben. Wahrscheinlich wäre man gleich im Start-Stint gut beraten gewesen, die Reifen härter ranzunehmen, urteilt Krack: "Dann wären wir drei, vier Runden früher stehengeblieben."

"Rückblickend wären wir wohl besser früher stehengeblieben", ist Kracks Fazit. Bei Alfa Romeo feiert man die Fahrer-Blockade als den Grund, warum das Team in der Konstrukteurs-WM den sechsten Platz gegen Aston Martin verteidigt hat: "Die Fahrer haben einen fantastischen Job gemacht, besonders Zhou. Jede Sekunde Verzögerung hat ihr Leben ein bisschen schwieriger gemacht."

Vettels Formel 1 Abschied: Schlechte Strategie, aber Happy End! (09:58 Min.)