Singapur lieferte ein klassisches Formel-1-Rennen der Saison 2022 ab. Charles Leclerc startete von der Pole, Red Bull gewann. Ferrari machte einen einfachen Faktor dafür verantwortlich, nämlich den Start, den Leclerc verloren hatte.
Doch macht sich das Team die Sache zu einfach? Immerhin scheiterte Leclerc auch strategisch, und schaffte es im Schluss-Spurt nicht einmal, am Rennsieger Sergio Perez dranzubleiben und dadurch von einer späten Fünf-Sekunden-Strafe zu profitieren. Sowohl strategisch als auch fahrerisch war Ferrari diesmal das aggressivere Team. Die Renn-Analyse fasst die nächste Niederlage zusammen.
Ferraris erstes Problem: Der Start
Die einfache Rechnung von Ferrari, dass das Auto zumindest schnell genug war, um zu gewinnen, geht jedenfalls bei einem gewonnenen Start auf. Erst recht, da bei auftrocknender Strecke das ganze Rennen über ein Überholen abseits der Ideallinie eigentlich nicht möglich war. Perez hätte sich wohl an Leclerc die Zähne ausgebissen, hätte er den Start nicht gewonnen.
Den Grund für den schlechten Leclerc-Start muss Ferrari erst aufdröseln. Die Reaktionszeit wurde mit 0,29 Sekunden gemessen und war damit identisch, doch in der Beschleunigungsphase verendete der Ferrari qualvoll. Da auf der rechten Seite der Startaufstellung viele Schwierigkeiten hatten, und der direkt hinter Leclerc startende Lewis Hamilton an genau der gleichen Stelle in eine Wheelspin-Phase kam, liegt eine unglücklich liegende feuchte Stelle nahe.
Ferraris zweites Problem: Die Boxen-Zwickmühle
Aber hätte sich Ferrari die Führung zurückholen können? Auf Intermediates konnte Leclerc den Anschluss an Perez anfangs halten. Als es trockener wurde und die Intermediates immer mehr belastet wurden, begann er erst einmal abzufallen. "Insgesamt war die Performance auf den Intermediates gut", glaubt er. "Aber es war nicht extrem nass, also gingen die Reifentemperaturen sehr hoch und ich verlor ziemlich viel Grip an der Hinterachse, wenn ich hinter ihm war."
Der Ferrari verzeichnete in Singapur mehr Reifenabnutzung. Das schien in der Spätphase des Intermediate-Stints jedoch nicht zu Leclercs Nachteil zu geraten. In diesen letzten Runden vor dem Reifenwechsel kam die Pace zurück. Das kann damit zusammenhängen, dass sich das Intermediate-Profil so weit abnutzt, dass die Reifen fast wie ein Slick funktionieren.
In Runde 33 war Leclerc, der davor an einem Punkt schon fast sieben Sekunden zurückgelegen war, wieder bis auf 2,6 Sekunden herangefahren. Zugleich zeigte George Russell am Ende des Feldes auf Slicks erstmals Sektor-Bestzeiten. Daraufhin entschieden Ferraris Strategen auf Risiko und holten Leclerc für Medium-Slicks an die Box.
Der Plan ging von vorne bis hinten schief. Erst verbremste sich Leclerc in der schmierigen Boxengasse und verpasste seinen Stellplatz, alle Mechaniker mussten nachrücken. Eine Standzeit von 5,47 stand gegen Red Bulls verlässliche 2,8. Dann tat er sich schwer, die Medium-Slicks raus aus der feuchten Box und auf den ersten Metern auf Temperatur zu bringen. Im Mittelsektor verlor er eine halbe Sekunde auf Perez mit seinen warmen Intermediates.
Diesbezüglich kann das Setzen des Crossover-Punktes von Intermediates auf Slicks infrage gestellt werden. Pierre Gasly, der eine Runde vor Leclerc stoppte, schäumte, weil es zu früh war. Bei Leclerc ist die Sache nicht mehr so eindeutig. Die Streckenbedingungen entwickelten sich rapide. "Wir waren mutig, indem wir zwischen uns und Checo die ersten waren, die auf Slicks gewechselt haben", lobt Ferrari-Teamchef Mattia Binotto.
Der Hintergedanke ist vernünftig. Da beide Fahrer dem Feld weit enteilt waren und Perez noch immer einen kleinen Puffer hatte, gab es bei Red Bull keinen Grund, einen frühen Stopp zu riskieren. Ferrari ergriff also lieber die Initiative. Je länger man wartete, desto geringer wurde die Chance, noch etwas mit dem Stopp auszurichten, weil die Strecke sich im Minutentakt verbesserte. Regen-Entscheidungen sind immer knapp und schwierig. Rückblickend spielte es in diesem Rennen ohnehin keine Rolle. Hätte Ferrari länger gewartet, so wären die Stopps in ein Safety Car gefallen.
Ferraris drittes Problem: Leclercs finale Attacke
Nach diesem Safety Car ging Leclerc einmal noch in den Angriffsmodus und versuchte Perez mit einem hohen Tempo in einen Fehler zu treiben. Doch wie auf den Intermediates ging dem Ferrari auch auf dem Medium die Pace aus. Obwohl er auf eine potenzielle Fünf-Sekunden-Strafe für Perez hingewiesen wurde, konnte Leclerc dann den Anschluss nicht mehr halten und fiel bis zum Rennende 7,5 Sekunden zurück.
Leclerc ist daran nicht unschuldig. Mit seinen Attacken verheizte er sich seine Vorderreifen. Die Fehler nahmen zu, nach einem großen Ausrutscher fiel er aus dem DRS-Fenster und fand nicht wieder in den Tritt. Allerdings war es nicht nur das, meint er nach dem Rennen: "Nach dem Safety Car waren wir immer stark, aber da gibt es ein paar Dinge zum Analysieren. Red Bull scheint ab der sechsten oder siebten Runde sehr stark. Wir sind in den ersten sechs oder sieben Runden stark."
Hätte Leclerc also besser nicht attackieren sollen? Auch das ist sehr einfach gesagt. Die Strafe war bei weitem nicht garantiert. Denn das war kein Szenario wie zum Beispiel 2019 in Kanada, als der zweitplatzierte Lewis Hamilton bereits wusste, dass der Führende Sebastian Vettel fünf Strafsekunden hatte. In Singapur wurde hingegen erst in Runde 51 überhaupt die Untersuchung bestätigt.
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