Nach dem Trainingsfreitag deutete beim Singapur GP alles auf einen Zweikampf zwischen Lando Norris und Charles Leclerc hin. Im 3. Freien Training zeichnete sich dann erstmals ein Alleingang des McLaren-Piloten ab, der sich schließlich mit Pole Position und überlegenem Start/Ziel-Sieg bestätigte.

Doch Ferrari schmiss im Qualifying jegliche Chancen leichtfertig weg. Charles Leclerc und Carlos Sainz starteten nur auf den Plätzen neun und zehn. Dabei zeigte Leclerc im letzten Stint, was in Singapur wirklich im Ferrari SF-24 steckte. "Ferrari hätte das Rennen wohl gewinnen sollen, sie hatten das schnellste Auto", ist sich Fernando Alonso sicher. Hätte Ferrari ohne das Debakel in der Qualifikation wirklich eine Chance gehabt, Lando Norris ernsthaft herauszufordern?

Die Schlappe im 3. Freien Training nahm man bei Ferrari noch gelassen. Unter Flutlicht, bei niedrigeren Temperaturen musste das Auto funktionieren, nicht tagsüber. Tatsächlich war die Scuderia im Qualifying wieder näher dran, doch als es im Q3 ernst wurde, versagten die Nerven.

Ferraris Horror-Samstag: Keine Nerven, keine Temperatur

Carlos Sainz sorgte mit einem Abflug auf seiner Outlap nicht nur für Startplatz 10, sondern auch für eine längere Unterbrechung. Dadurch hatten fast alle Piloten nur einen Versuch im Q3. Leclercs Zeit reichte dabei lediglich für P7. Allerdings wurde ihm die Rundenzeit sogar noch gestrichen, weil er die weiße Linie überfahren hatte.

Der Monza- und Monaco-Sieger der Formel-1-Saison 2024 war außer sich. Er führte seinen Fehler in Kurve 1 und die mangelnde Performance auf der restlichen Runde auf die Reifentemperatur zurück, kritisierte sogar das eigene Team scharf. 10 Grad, so schimpfte er, sollen ihm schon beim Verlassen der Garage in den Vorderreifen gefehlt haben.

"Jeder macht da seine Spielchen, das gehört dazu", rechtfertigte Teamchef Fred Vasseur das Problem. Die Temperatur ging verloren, als Leclerc in der Boxengasse hinter der Konkurrenz anstehen musste. "Niemand will Erster sein, gleichzeitig will auch niemand Letzter sein", weiß Vasseur.

Mit etwas Abstand sah das auch Leclerc selbst so. Für Ferrari sind diese Spielchen ein Ärgernis, weil man sich mit dem SF-24 schwertut, Temperatur in die Pirellis zu bekommen. Der Monegasse fuhr eine recht aggressive Outlap, die reichte aber nicht, die Pneus ins Fenster zu bekommen. Ob es mit perfekter Vorbereitung für Pole gereichte hätte? Unmöglich zu zusagen, aber Lando Norris legte selbst mit einer mäßigen Runde zwei Zehntel zwischen sich und Max Verstappen auf Platz zwei. Der Brite schien am Samstag für Ferrari und auch für Leclerc außer Reichweite.

Ferrari in Singapur deutlich stärker als Mercedes

Im Rennen verlor Ferrari erwartungsgemäß viel Zeit im Verkehr. Sainz fiel von Startplatz 10 sogar noch zurück. Deshalb holten ihn die Strategen früh an die Box. Der Spanier kam schon in Runde 13 zum Stopp. Selbst Lewis Hamilton, der auf Soft gestartet war, ging 'erst' in Runde 17 zum Reifenwechsel. Beide fuhren auf Hard-Reifen bis zum Ende durch.

Während Hamilton von Position 3 stoppte, kam Sainz von P12 an die Box. Im Ziel lag Hamilton nur eine Position und zehn Sekunden vor Sainz. Dass Leclerc direkt hinter Russell über die Ziellinie fuhr, zeigt, dass Ferrari im Renntrimm gegen Mercedes haushoch überlegen war. Auf dem überholfeindlichen Marina Bay Street Circuit startete von Mercedes von 3 und 4 und kam auf 4 und 6 ins Ziel. Ferrari startet von 9 und 10 und war am Ende auf 5 und 7 - und das trotz massiven Verkehrs.

Die Reifenstrategie beim Singapur GP 2024, Foto: Pirelli
Die Reifenstrategie beim Singapur GP 2024, Foto: Pirelli

Mercedes schön und gut, aber war Ferrari in einer Liga mit Verstappen, vielleicht sogar mit Norris? Während Sainz seine harten Reifen 49 Runden um den Kurs tragen musste, fuhr Leclerc die entgegengesetzte Strategie: Er kam erst in Runde 36 von 62 zum Stopp.

Leclercs Rennen begann erst, als er Fernando Alonso in Runde 25 überholen konnte. Bis dahin hing er permanent hinter Nico Hülkenberg und Fernando Alonso fest. Als Alonso geklärt war, konnte Leclerc binnen drei Runden auch noch an Hülkenberg vorbeigehen. Erstmals im Rennen hatte er nun freie Fahrt - allerdings auf abgefahrenen Medium-Reifen.

Trotzdem ließ Ferrari Leclerc bis Runde 36 draußen, um ein größeres Reifen-Offset zu erzeugen. Weil Alonso direkt nach dem Überholmanöver in Runde 25 zum Stopp gekommen war, fand sich Leclerc nach seinem Stopp wieder hinter dem Spanier wieder. Aber mit den deutlich frischeren Reifen machte er diesmal kurzen Prozess.

Leclerc phasenweise schneller als Norris

Erst ging Leclerc an Alonso vorbei, dann tauschte Ferrari die Positionen zwischen Sainz und Leclerc, weil beide auf unterschiedlichen Strategien unterwegs waren. Von nun an konnte Leclerc zeigen, was im Ferrari steckte. Auf Hamilton holte er zeitweise mehr als zwei Sekunden pro Runde auf, das Überholmanöver in Runde 50 war nur Formsache. Fast hätte er in den letzten zwölf Runden noch Russell abgefangen. Fünf Runden vor Rennende hing er schon im Heck des Mercedes-Piloten, kam aber schließlich nicht vorbei.

Nach seinem Boxenstopp hatte Leclerc 64 Sekunden Rückstand auf Norris und 41 Sekunden auf Verstappen. Bis er in Runde 56 auf Russell auflief, konnte der Ferrari-Pilot vier Sekunden auf Norris aufholen und rund zehn Sekunden auf Verstappen.

"Aber man weiß nicht, wie sehr Norris noch gepusht hat. Zwischenzeitlich hat er auch seine Batterie geladen, um die schnellste Rennrunde zu fahren", versuchte Ferrari-Teamchef Fred Vasseur zu bremsen.

Und nicht nur das: Leclerc hatte zu diesem Zeitpunkt auch die deutlich frischeren Reifen. Norris und Verstappen hatten sich ihre harten Pneus schon sechs, respektive sieben Runden früher geholt. Dazu standen für die Führenden zu dieser Phase des Rennens deutlich mehr Überrundungen an.

Mit Gewissheit lässt sich nicht sagen, in welcher Liga Ferrari ohne verpatzte Qualifikation gefahren wäre, dafür gab es zu wenig repräsentative Phasen in diesem Rennen. Schneller als Mercedes war die Scuderia ohne Frage. Dass Ferrari aber, wie von Alonso angenommen, das Rennen hätte gewinnen können, ist angesichts der Norris-Pace eher unwahrscheinlich. Und auch Verstappen wäre wohl kein Selbstläufer geworden.

Lando Norris war schnell, die Schnellste Rennrunde ging aber an Daniel Ricciardo. Warum der Australier bei seinem womöglichen Formel-1-Abschied damit für einen Skandal sorgte, erklärt euch Christian im Video:

Racing Bulls greifen in WM ein! Unsportliche Verstappen-Hilfe? (14:32 Min.)