Endlich wieder großes Wettrüsten in der Formel 1! Darauf freuen sich in der Saison 2022 vor allem die für Technik begeisterten Fans - und das trotz der nochmals verschärften Budgetgrenze. Immerhin greifen in diesem Jahr völlig neue technische Regularien. Diese fallen zwar weitaus restriktiver als andere größere Novellen des Reglements aus, dennoch lieferten die Teams schon bei den Präsentationen ihrer neuen F1-Autos höchst verschiedene Interpretationen. Statt Einheitsbrei serviert die Formel 1 2022 ein aufregendes Potpourri an Fahrzeugdesigns.

Dass es dabei nicht bleiben wird, spätestens 2023 ein gewisse Konvergenz Einzug halten wird, ist jedem langjährigen Beobachter der Königsklasse genauso klar. Offensichtlich erfolgreichere Lösungen als die eigenen wurden in der Formel 1 schon immer mit großer Leidenschaft kopiert. Dafür bedarf es allerdings längerer Vorlaufzeit. Zunächst müssen sich überlegene Konzepte erst einmal als solche manifestieren, ehe sie überhaupt analysiert, nachvollzogen, an die eigene Philosophie adaptiert und zuletzt gefertigt werden können.

Formel 1 2022: Endlich wieder Wettrüsten mit Upgrades

Parallel läuft die Produktionskette eigener Weiterentwicklungen, die bei ihrer Einführung bei Fans und Medien immer sehr beliebten Upgrades. Das gilt insbesondere nach einem Jahr wie 2021, in dem die Boliden aus dem Vorjahr in ihren Grundzügen eingefroren wurden und im gesamten Saisonverlauf nur noch selten größere Upgrades erhielten. Einerseits war das am Ende des Regelzyklus kaum noch Gewinne versprechend, andererseits fokussierten die Teams ihre Ressourcen ohnehin schon auf die große Revolution 2022.

Für kein Team galt das mehr als für Haas. Das US-Team ließ die Entwicklung für die laufende Saison 2021 vollständig ruhen, um sich ganz auf 2022 zu fokussieren. Nach zwei Saisonrennen steht bereits fest, dass sich diese Entscheidung gelohnt hat. Die letzten Plätze in der Startaufstellung hat Haas 2022 längst nicht mehr abonniert. Stattdessen mauserte sich das Team von Gene Haas zum Q3-Anwärter - und sieht Potenzial für etwas mehr. Weil nun auch wieder größere Upgrades geplant sind? Nein.

Haas denkt noch nicht an Upgrades: Setup-Arbeit bringt erstmal mehr

"Die größten Verbesserungen kommen gerade vom Setup. Es ist aber nicht so, dass wir ein schlechtes Setup hätten. Es würde einfach noch mehr im Auto stecken, wenn wir mehr Zeit hätten, daran zu arbeiten", berichtet Teamchef Günther Steiner. Grund dafür sind zahlreiche technische Probleme bei den mit sechs Tagen ohnehin schon knapp bemessenen Testfahrten. "Es ist nicht so, dass die Jungs es nicht verstehen würden. Wir müssen einfach noch lernen, weil wir bei den Testfahrten nur die halbe Laufleistung der großen Teams geschafft haben", erinnert Steiner. "Wir müssen einfach nur wirklich herausfinden, wohin wir das Auto bringen müssen."

Allein auf diese Weise könne Haas noch viel Pace aus dem VF-22 kitzeln. "Es geht darum, jetzt einmal ein gutes Wochenende zu haben, das richtige Setup zu finden und so das Beste herauszuholen", fordert Steiner. "Und wenn wir das Beste herausholen, sind wir an der Spitze des Mittelfelds, würde ich sagen."

Haas wie Ferrari: Erst das Basispaket verstehen und optimieren

Das gelang zuletzt noch alles andere als gut, insbesondere in Saudi-Arabien. Kevin Magnussen kam am Freitag nach gleich zwei technischen Problemen an Hydraulik und Mechanik auf gerade einmal drei fliegende Runden. Mick Schumacher verunfallte im Qualifying so heftig, dass Haas einen eiligen Wiederaufbau des Boliden über Nacht eher als Risiko für die kommenden Rennen wertete, denn als Chance auf eine Aufholjagd mit dem 2022 durchaus starken Paket. So ging allerdings auch eine weitere Renndistanz wertvoller Daten verloren.

Auf große Upgrades als vielleicht einfachere und schnellere Lösung setzt das Team derzeit nicht. Haas folgt mehr dem Ferrari-Goldstandard, zunächst das eigene Paket möglichst gut zu verstehen und zu nutzen. So schraubte auch die Scuderia seit dem ersten Test in Barcelona an ihrem F1-75 bislang kaum herum. Während Mercedes und Red Bull schon beim zweiten Test in Bahrain große bis radikale Neuerungen einführten, will Ferrari selbst beim bevorstehenden dritten Saisonlauf in Australien noch keine Teile-Offensive starten.

Budgetgrenze verlangt von Formel-1-Teams Wettrüsten mit Maß

"Durch die Budgetgrenze müssen wir darauf achten, dass wir nicht alle Ressourcen für die ersten paar Rennen verbrauchen ", begründete Teamchef Mattia Binotto zuletzt diese Herangehensweise. Ferrari will sichergehen, bis Saisonende noch über Budget für neue Entwicklungen zu verfügen. Insgesamt darf jedes Formel-1-Team 2022 nur noch einen Basisbetrag von 140 Millionen US-Dollar ausgeben, zahlreiche Ausnahmen exkludiert.

"Wenn du jeden Grand Prix eine Million Upgrades für nur einen Punkt [an Abtrieb] bringst ... Das muss mehr alles andere unter der Budgetgrenze gemanagt werden", mahnt auch Haas-Teamchef Steiner. Deshalb setzt der Südtiroler in seinem Team auf Qualität statt Quantität. "Wir bringen ja auch Upgrades", kündigt Steiner für einen noch unbestimmten Termin an. "Aber ich finde, dass Upgrades immer ... Die Leute hören eben gerne, dass man Upgrades bringt. Aber wenn das ein, zwei oder drei Punkte bringt, das ist nicht das Ziel der Upgrades. Das Auto sieht anders aus, ja. Aber was macht es tatsächlich?", fragt Steiner. "Das ist mir wichtig. [...] Ich sage ja nicht, dass niemand gute Upgrades bringt, aber ich denke, dass sie manchmal überbewertet werden."

Günther Steiner: Upgrades werden teilweise überbewertet

2022 will Haas das Thema Entwicklung ruhig angehen. "Nicht, weil wir nicht das Geld hätten", winkt Steiner schon vor einer Nachfrage ab. "Wir wollen ein Paket [an Upgrades] zusammenbekommen, bei dem wir sagen können, dass es uns dann eine gewisse Menge an Punkten bringt, die wir auch ordentlich messen können und Fortschritte machen, ohne dabei die Balance des Autos zu verändern", erklärt Steiner. "Dann führen wir das ein. Nicht einfach: 'Oh, wir brauchen Upgrades! Links, rechts, Mitte!' Nein. Lass' uns erst einmal auf das Auto fokussieren und verstehen, wie wir das Beste aus ihm herausholen."

Upgrades als Irrweg: Haas-Historie liefert Negativbeispiel

Diese Herangehensweise rührt auch von der eigenen Geschichte. 2019 verzettelte sich Haas mit neuen Entwicklungen während der Saison derart, dass trotz diverser Vergleichstests nie ein Sprung nach vorne gelang. Im Gegenteil. Die Basisspezifikation des Saisonstarts erwies sich als verlässlicher und schneller. "2019 haben wir auch Upgrades gebracht und sind im letzten Rennen dann wieder beim Paket des ersten Rennens gewesen. Das waren keine guten Upgrades. Da es einmal so danebengegangen ist, will ich diesen Fehler nicht wiederholen", sagt Steiner.

Gleichzeitig wolle er natürlich auch keine Saison des Stillstands wie 2021. "Letztes Jahr haben wir nicht viel gelernt", sagt Steiner. Deshalb sollen neue Teile durchaus kommen, wenn sowohl das Team an der Strecke genügend Lehren über das Basismodell des VF-22 gezogen hat als auch die Fabrik ein nennenswertes und vielversprechendes Paket neuer Teile geschnürt hat. "Es ist kein 'Entweder, oder', sondern eine Kombination. Das Auto auf der Strecke besser hinbekommen und in der Fabrik die Teile im Windkanal entwickeln - und die bringst du dann auch", sagt Steiner auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com zu den Voraussetzungen für Upgrades.

Formel 1 2022: Ohne große Entwicklungen wohl kaum Erfolg

"Denn wie soll ich wissen, wann wir es zu 100 Prozent verstanden haben? Das tust du nie ganz. So lang kannst du nicht warten", ergänzt Steiner. "Aber wenn wir zuversichtlich sind, alles verstanden zu haben und alle Setup-Optionen durchgegangen sind, ist es okay. Aber das läuft parallel. Dann ist es einfach nur noch eine Entscheidung, wann du diese Upgrades bringst."

Ganz ohne das eine oder andere größere Upgrade wird die Formel-1-Saison 2022 sportlich in jedem Fall kaum erfolgreich zu bestreiten sein. Nicht umsonst halten zahlreiche Experten im Lauf der Saison auch etwas größere Verschiebungen des Kräfteverhältnisses als zuletzt üblich für möglich. Für etwas anderes sind die Regeln viel zu jung und die Potenziale der Teams und Autos - man denke nur an Mercedes und McLaren - dementsprechend zu groß.

Das fängt schon beim Thema Gewicht an. Fast alle Boliden liegen noch einige Kilo oberhalb des neuen Mindestgewichts von 798 Kilogramm. Zuletzt kündigte Red Bull bereits eine deutliche Diät für den Europaauftakt in Imola, das vierte Saisonrennen, an. "Das wird uns bei den Rundenzeiten signifikant gewinnen lassen", frohlockte Motorsportchef Dr. Helmut Marko angesichts des erwarteten Boosts im sich abzeichnenden WM-Duell mit Ferrari bei ServusTV.