Auf dem Papier sieht es aus wie eine perfekte Mischung für absolute Chancengleichheit. 2022 greift in der Formel 1 ein völlig neues Technisches Reglement, das die F1-Boliden auf den Kopf stellt. Abseits der Power Units können die Teams sämtliche Chassis- und Aerodynamik-Komponenten aus den Vorjahren nur zu sehr geringen Anteilen übernehmen, erarbeitete Vorteile der bisherigen Platzhirsche werden damit ausradiert.

Gleichzeitig greift eine Budgetgrenze, die es den bisherigen Big Playern verbietet, mehrere hundert Millionen Euro zu verpulvern, um sich so trotz technischer Revolution gleich den nächsten Vorteil gegenüber dem weniger finanzstarken, größeren Kreis der Formel-1-Teams zu arbeiten. Diese wird 2022 sogar nochmals verschärft. Nach einer Ausgangsbasis* von 145 Millionen US-Dollar (ca. 128 Millionen Euro) im Vorjahr sind es in dieser Saison noch 140 Millionen, mit denen jedes Team haushalten muss. Fahrergehälter, Bezüge der Top-Angestellten wie der Teamchefs, Marketing und unzählige weitere Kostenpunkte sind dabei ausgenommen.

Weiche Landung: 2021 Zugeständisse beim Personal

Alles, was sich auf Entwicklung, Fertigung und Einsatz der Boliden bezieht, ist allerdings in den Kostendeckel inbegriffen. Mit Folgen für das Kräfteverhältnis? 2021, dem ersten Jahr der Budgetgrenze, waren die kaum zu erkennen. Allerdings fuhren die Teams in dieser Saison auch mit weitgehend gleichen Boliden wie im Vorjahr. Wegen erheblicher finanzieller Belastungen der Corona-Pandemie waren im Winter zuvor die Chassis homologiert worden. Aus demselben Grund verschoben Formel 1 und FIA die neuen Regeln überhaupt erst von ihrem eigentlich geplanten Debüt 2021 auf 2022.

2022 ist es nun so weit - und das gleich unter einem sogar noch einmal um fünf Millionen US-Dollar engeren Finanzkorsett. "Ich denke das der Budgetdeckel einen Effekt haben wird, denn dieses Jahr geht er weitere fünf Millionen nach unten", sagt deshalb AlphaTauris Teamchef Franz Tost. Also kein Vorteil mehr, allen voran für Mercedes, Ferrari und Red Bull? Nur auf dem Papier. Tost: "Es sollten einen Unterschied machen, aber da die großen Teams noch bis zum Sommer vergangenen Jahres von einer größeren Zahl von Leuten profitieren konnten, hatten sie natürlich einen Vorteil."

Tost: Top-Teams konnten viel mehr entwickeln

Damit verweist der Österreicher auf 2021 ausgesprochene Zugeständnisse. Bis Jahresmitte hatten alle Teams mit Bedarf - also die größeren - noch Zeit, um ihren Personalstab an den Rahmen der Budgetgrenze anzupassen. Sechs Millionen US-Dollar zusätzlich gab es allein dafür. Diese sogenannte "weiche Landung" auf der Budgetgrenze diente nicht nur der Eingewöhnungszeit, sondern auch dazu, trotz Schrumpfkurs Entlassungen im größeren Stil zu verhindern. So hatten Ferrari und Mercedes mehr zeitlichen Spielraum, ihre Mitarbeiter anderen Rennprojekten wie dem GT-Sport oder der Formel E zuzuweisen.

Tost geht allerdings davon aus, dass die großen Teams durch diese Regelung bis zum Ende der Zugeständnisse von den Vorteilen ihres aufgeblähten Personalstabs profitierten, indem sie das für die überall bereits Anfang 2021 gestartete Arbeit am Auto für 2022 nutzten. "Sie konnten sehr viel mehr Forschung und Entwicklungsarbeit betreiben, besonders durch den Einsatz von Simulationswerkzeugen. Sie konnten einige verschiedene Design-Philosophien ausprobieren, um die beste Lösung zu finden", meint Tost. "Deshalb könnte es schon sein, dass die Top-Teams noch einen Vorteil haben." Entwicklung im Windkanal war hingegen ohnehin erst ab 2021 erlaubt.

AlphaTauri erwartet dennoch deutlich engeres Feld

Dennoch: Die neuen technischen Regularien allein würden genügen, um das Feld enger zusammenzubringen, so Tost. "Alle Autos sind viel dichter zusammen zu erwarten. Mit dieser neuen Ära von Autos sollten wir auf der Strecke mehr Action und ein kompakteres Feld sehen, was sich dann in mehr Spaß für die Zuschauer überträgt", sagt der langjährige Teamchef beim Rennstall aus Faenza.

2023 könne dann auch die Budgetgrenze vollständig reife Früchte tragen. Dann sinkt das Limit um weitere fünf Millionen auf nur noch 135 Millionen US-Dollar. Noch dazu gibt es keine möglichen Vorteile mehr durch Sonderregelungen im Vorjahr. Mit einer Ausnahme, die diesmal allerdings die vorerst besten Teams trifft, statt stützt: Bereits seit 2021 gilt in Sachen Windkanal-Zeit ein Malus-System für Erfolge bzw. Bonus für Misserfolge. Je weiter vorne ein Team in der Konstrukteurswertung abschneidet, desto weniger Zeit darf es in der folgenden ersten Jahreshälfte im Windkanal verbringen. In der zweiten Jahreshälfte gilt die Platzierung in der aktuellen WM. Die Ausprägung dieses Prinzips wurde zur Saison 2022 nochmals verschärft.

Tost: Erst 2023 entfaltet Budgetgrenze vollen Effekt

Ungeachtet dessen sei spätestens 2023 das Jahr der uneingeschränkt effektiven Budgetgrenze, schätzt Tost. "Denn zu diesem Zeitpunkt wird kein Team einen Vorteil haben und alle werden aufpassen müssen, um innerhalb des Kostendeckels zu bleiben", sagt der Österreicher. Selbst ein eher kleines Team wie AlphaTauri muss dann passgenau operieren.

Warum? "Vergangenes Jahr war der Budgetdeckel für uns absolut kein Problem, da wir auf einem weit darunterliegenden Level gearbeitet haben. Aber es scheint so auszusehen, dass diese völlig neuen Autos viel teurer sind als die der vorherigen Jahre", verrät Tost. "Das wird es für alle Teams schwermachen, innerhalb der Limits zu bleiben, aber das wird nur dabei helfen, die Autos in Sachen Performance zusammenzubringen. Und das, denke ich, ist sehr positiv."

Vorteil kleine Teams: Erfahrung mit geringen Möglichkeiten

Bereits 2022 sieht AlphaTauris Technischer Direktor Jody Egginton noch immer einen Vorteil der bislang sparsameren Teams: Mercedes & Co. müssen sich nach dem noch milden Debüt der Budgetgrenze 2021 erst jetzt endgültig an die Arbeit mit dünnerem Portemonnaie und Personal gewöhnen. "Ich denke, es wird etwas Zeit brauchen, bis der Budgetdeckel vollständig in das Geschäft der Teams absorbiert ist. Deshalb gibt es natürlich ein paar Vorteile für jene Teams, die vor dem Budgetdeckel keinen Zugang zu den Budgets der größeren Teams hatten", sagt Egginton. "Da musst dein Geld noch immer schlau ausgeben."

*Für jedes Rennen, das über einen Kalender von 21 Grands Prix hinausgeht, erhalten die Teams zusätzlich 1,2 Millionen US-Dollar. Real liegt die Budgetgrenze bei einem aktuell geplanten Kalender von 23 Rennen für die Saison 2022 also bei 142,4 Millionen US-Dollar. Noch unklar ist eine weitere Erhöhung dieser Maximalsumme, die den Teams 2022 für die aktuell drei geplanten Sprintrennen und mögliche Schäden zugestanden werden könnte.