Das ist neu: Das Formel-1-Reglement 2021 im Überblick (20:48 Min.)

Es ist eine Mammutaufgabe, die sich Ross Brawn und seine Kollegen da zugemutet haben. Die Formel 1 ist gemeinsam mit der FIA auf der Suche nach dem richtigen Regelwerk für 2021. Da soll es nicht wie üblich bei Evolutionen des Reglements bleiben, eine Revolution soll her. Nie standen die Chancen für einen Neuanfang besser. Ende 2020 laufen sämtliche Verträge aus. Man könnte die Formel 1 auf den Kopf stellen, wenn man es nur wollte.

Als Liberty Media 2017 die Formel 1 übernahm, hieß das große Ziel immer 2021. Was bisher unter der Regie von Chase Carey, Sean Bratches und Ross Brawn passierte, waren lediglich kosmetische Änderungen. Schon von Anfang an drehte sich alles um den großen Umbruch, um die Zukunft, um 2021. Eigentlich sollten die Regeln längst auf dem Tisch liegen, aber erst im Juli wurde die Deadline erneut verschoben. Am 15. September soll das finale Reglement jetzt stehen.

Ein Großteil des Gerüstes steht aber schon heute. Das ist zwar noch kein offizielles Reglement, aber Motorsport-Magazin.com bekam exklusive Einblicke in die Arbeit, die FIA und Formel 1 bereits unternommen haben, und durfte bereits die letzte Entwicklungsstufe des 2021er Autos sehen, die dem hier gezeigten Boliden sehr ähnlich ist.

Formel 1 2021: 4 Kernziele für neue Regeln

  • 1. Raceability: Autos und Reifen sollen zweikampffreundlich sein
  • 2. Konkurrenzfähigkeit: Kleinere Abstände zwischen den Teams
  • 3. Ästhetik: Autos mit Wow-Faktor
  • 4. Finanzen: Konkurrenzfähigkeit nicht von Geld bestimmt

Vier Hauptziele wurden für 2021 ausgegeben. Ganz oben steht die Raceability der Autos und der Reifen. Das neue Technische Reglement soll dafür sorgen, dass Renn-Autos entstehen. Also Boliden, die auch in Zweikämpfen gut zu pilotieren sind. Gleichzeitig müssen die Reifen dieser Aufgabe gewachsen sein.

Neues Reglement: FIA, Liberty nehmen viel Geld in die Hand

Im Zentrum der neuen Regeln steht also dieses Technische Reglement. Ross Brawn hat bei der Formel 1 ein eigenes Team dafür aufgebaut, um nicht mehr von der Expertise der Teams abhängig zu sein. An der Spitze seiner Techniker steht das Ingenieursurgestein Pat Symonds. Auch die FIA hat sich mit Nikolas Tombazis - dessen Karriere inkludiert unter anderem einen Posten als Ferrari-Chefdesigner - einen Experten in das eigene Team geholt.

Beide Parteien investieren erstmals viel Geld in die Entwicklung der neuen Regeln. Sie haben nicht nur personell aufgerüstet, sondern kümmern sich auch um eigene Simulationstools und dergleichen. Noch nie war der Entstehungsprozess eines Reglements auch nur annährend systematisch.

Die Hauptaufgabe ist die Aerodynamik. Wie muss die Aerodynamik aussehen, damit die Autos schnell, aber deutlich weniger empfindlich für Dirty Air sind, respektive selbst weniger verwirbelte Luft erzeugen? Die Regeln 2019 waren ein erster Versuch. Nicht ein Versuch für 2021, aber ein Test der neuen Analyse-Struktur.

Die Aero-Anpassungen für 2021 - ein Testlauf für die Formel 1, Foto: Ferrari
Die Aero-Anpassungen für 2021 - ein Testlauf für die Formel 1, Foto: Ferrari

Subjektiv ist die aktuelle Saison nicht besser. Aber das liegt an der erdrückenden Mercedes-Dominanz, nicht an den Regeländerungen. Den Regelmachern waren für die aktuelle Saison weitestgehend die Hände gebunden. Sie wollten umfangreichere Änderungen, die allerdings auf die Schnelle nicht umsetzbar waren. Eine deutliche Einschränkung der Bargeboards stand beispielsweise auf ihrem Zettel.

Obwohl der Forschungsaufwand für 2019 im Gegensatz zu 2021 vernachlässigbar gering war, haben sich die Änderungen tatsächlich bezahlt gemacht. Die Daten sagen klar, dass Überholen heute etwas besser ist. Hätte man nichts unternommen, wäre es sogar noch schlechter geworden.

Formel 1 mit massivem Aero-Umbruch für 2021 - optisch fad?

Doch 2021 reicht das freilich nicht. Aktuell verlieren die Autos in der Formel 1 50 Prozent ihres Abtriebs, wenn sie im Abstand von zwei Fahrzeuglängen hinter einem anderen Auto herfahren. Bei den aktuellen Modellen sind es nur zwischen fünf und zehn Prozent.

Dieses spektakuläre Ergebnis gelingt nur aufgrund mehrerer Änderungen. Auf der einen Seite ist entscheidend, wie der Abtrieb an den Autos erzeugt wird. Ein noch größerer Teil soll in Zukunft vom Unterboden kommen. Das gelingt über große Venturi-Kanäle, die schon vorne am Seitenkasten beginnen und mit dem heutigen Diffusor enden. Außerdem sollen die Wirbel, die von den Hinterreifen erzeugt werden, von der eigenen Aerodynamik nach oben gezogen und damit über das hinterherfahrende Auto gelenkt werden.

Dafür soll die restliche Aerodynamik deutlich simpler werden. Die Fahrzeugperformance hat bei den Regeln nicht oberste Priorität. Die Formel 1 wird aller Voraussicht nach zwei bis drei Sekunden langsamer als die aktuellen Boliden. Riesige Entwicklungssprünge sind nicht zu erwarten - was auch ein Kritikpunkt ist. Denn das Regelwerk steckt ein sehr enges Korsett. "Unser Ziel ist es, die Formel 1 besser zu machen", erklärt Ross Brawn. Die Teams hingegen haben nur ein Ziel: Das eigene Auto schneller zu machen.

Damit das Ziel der Teams nicht die Ziele der Formel 1 torpediert, wird das Regelwerk sehr einschränkend. Kritik, die Autos würden sich dann optisch nicht mehr unterscheiden, weist Brawn zurück. Ein internes Experiment soll die Kritiker beruhigen. Liberty machte sich die Mühe und lackierte virtuell alle Boliden einfarbig. Am Ende konnten selbst die Experten nur drei von zehn Autos richtig zuordnen.

FIA, Liberty, Teams testen neue Regeln für 2021

Auch deshalb wurden die finalen Regeln verschoben. Schon im Juni konnten FIA und Formel 1 einen weit vorangeschrittenen Stand vorweisen. Aber man will es noch besser machen. Deshalb befindet man sich derzeit in einem Stadium, das man selbst als 'Break the Rules' bezeichnet. Gemeinsam mit den Teams versucht man gerade, das Reglement nicht so zu interpretieren, wie man es gerne als Regelgeber hätte. Sondern so, wie man als Team an die Sache herangehen würde. Dadurch sollen mögliche Lücken offenbart werden.

Dem Comeback der aktiven Radaufhängung wurde eine Absage erteilt. Sie hätte dafür sorgen können, dass das Auto auch in verwirbelter Luft in einer aerodynamisch optimalen Position bleibt und sich auf die Gegebenheiten anpasst. Die Befürchtung der Regelmacher ist aber, dass die Aerodynamik als Folge auf die perfekte Plattform zu spitz entwickelt und dadurch wieder anfällig wird.

Formel 1 ab 2021 enger machen - Einheitsteile kommen

Das nächste große Problem sind die Abstände zwischen den Topteams und dem Rest. Australien 2013 war das letzte Rennen, das nicht von Mercedes, Red Bull oder Ferrari gewonnen wurde. Beim Sieg von Kimi Räikkönen im Lotus handelte es sich um Formel-1-Rennen Nummer 879. Silverstone am Wochenende war Nummer 1007.

Den Performance-Gedanken müssen die Teams auch dank des restriktiven Reglements neu definieren, erklärt Brawn: "Wenn sie bessere Arbeit leisten, haben sie noch immer einen Performance-Vorteil. Aber wird der statt wie jetzt zwei Sekunden dann vielleicht nur noch zwei Zehntel betragen."

Maßnahmen zur Kostensenkung und Leistungsangleichung

  • Benzinsystem vereinfachen
  • Kühlsystem vereinfachen & Lebensdauer verlängern
  • Getriebespezifikation für fünf Jahre einfrieren
  • Verbot von hydraulischer Aufhängung, weniger Fahrwerkskomponenten
  • Standard-Felgen
  • Einheitliche Radnaben, Radmuttern & einheitliches Boxenstopp-Equipment
  • Einheitslieferant für Bremsen
  • Einschränkungen bei Materialien
  • Reduzierung der Windkanalzeit um 40 Prozent

FIA sucht Optionen für Einheitsteile für 2021 - lange Liste

Dazu sollen diverse Komponenten standardisiert oder zumindest vereinfacht werden. Die Benzinsysteme sind derzeit ein Albtraum. Sie sind technisch schwer zu überwachen, kosten eine Menge Geld und sind für den Fan irrelevant. Ähnlich steht es um die Kühlsysteme, in die seit dem Start der Hybrid-Power-Unit-Ära Unsummen investiert werden. Sie sind höchst kompliziert und haben teilweise nur eine sehr beschränkte Lebensdauer. Das soll sich ändern.

Bei den Getrieben fiel die FIA schon etwas auf die Nase. Der Automobilweltverband starte ursprünglich eine Ausschreibung für einen Standardhersteller, zog diese aber wieder zurück. Um die Getriebe trotzdem etwas günstiger zu machen, sollen gewisse Teile für fünf Jahre eingefroren werden.

Unsummen werden derzeit auch für die hydraulischen Radaufhängungen ausgegeben. Hydraulische Komponenten sind ab 2021 verboten, das Fahrwerk muss insgesamt aus weniger Komponenten bestehen.

Die Einführung von standardisierten Felgen ist im Vergleich dazu ein kleiner Schritt, spart aber auch den ein oder anderen Dollar. Gleichzeitig sollen Radnaben, Radmuttern und das Boxenstopp-Equipment vorgeschrieben werden.

Bei den Bremsen geht es weiter. Hier gibt es bereits eine Ausschreibung für einen Einheitslieferanten. Selbst Mittelfeld-Teams geben heute bis zu 3 Millionen Dollar für Bremsen pro Saison aus. Mit einem Einheitslieferanten sollen die Kosten auf rund 750.000 sinken.

Moderne Formel-1-Bremsen sind Kunstwerke, Foto: Sutton
Moderne Formel-1-Bremsen sind Kunstwerke, Foto: Sutton

Der nächste Kostentreiber sind teure Materialien. Ihre Verwendung wird eingeschränkt, ohne dabei die aktuellen Entwicklungen bei den Fertigungsverfahren zu torpedieren. Additive Fertigung, also 3D-Drucken, nimmt immer mehr Einzug in die Herstellung verschiedener Komponenten. Dafür werden spezielle Materialien verwendet.

FIA: Kosten an allen möglichen Enden drücken

Außerdem soll weiter an den Windkanalzeiten geschraubt werden. Schon heute sind die teuren Stunden im Windkanal stark beschränkt, 2021 steht eine weitere Reduktion um 40 Prozent bevor. Damit sind die Bemühungen aber noch nicht zu Ende. Weitere Elemente werden derzeit geprüft, stehen aber noch nicht ganz fest. Untersucht werden vor allem folgende Maßnahmen, die die Formel 1 zusätzlich zur Budgetgrenze auf natürliche Art und Weise billiger und besser machen sollen:

  • Reduzierung der Elektronik und der Fahrhilfen
  • Abschaffung der Datenübertragung vom Auto zur Box
  • Standardisierung weiterer Komponenten, z.B. Lenkstange, Antriebswellen
  • Vereinfachung des Chassis an der Unterseite
  • Einschränkungen beim Personal am Rennwochenende
  • Wochenendformat

Formel 1 soll 2021 gut ausschauen

Auch das Aussehen der Boliden ist wichtig. Ross Brawn will einen Wow-Faktor mit den neuen Autos. Der Blick auf die Bilder des aktuellen Stands macht Hoffnung. "Mit dem Frontflügel sind wir bei der Ästhetik noch nicht zufrieden", gesteht FIA-Techniker Tombazis und erklärt: "Aber es gibt gute Gründe, warum er so breit ist."

Der Rest des Fahrzeugs kann durchaus als sehr gelungen bezeichnet werden: Die Nase ist bis zum Frontflügel tief nach unten gezogen. Die 18 Zoll großen Reifen wirken im Gesamtkonzept stimmig und aggressiv. Auf den Felgen sind aus aerodynamischen Gründen Zierblenden montiert. Über den Vorderrädern gibt es kleine Luftleitbleche, um die verwirbelte Luft der Reifen aufzufangen.

Formel 1 2021: Das aktuelle Konzept, Foto: F1
Formel 1 2021: Das aktuelle Konzept, Foto: F1

Hinter der Vorderachse sind aggressive Einlässe für die Venturi-Kanäle zu sehen. Der Halo wirkt deutlich besser in das Fahrzeugdesign integriert. Der Heckflügel steht auf zwei steil nach vorne ragenden zentralen Stelzen.

Ein Problem, das nicht zu lösen ist, ist das Gewicht. Die Formel-1-Autos sind heute mit 743 Kilogramm schwer wie nie. "Es ist frustrierend, dass die Autos so schwer sind, aber es geht nicht anders", wirbt Ross Brawn um Verständnis. Sicherheit kostet Gewicht, dazu sind auch die Batterien der Power Units keine Leichtgewichte.

Formel 1 setzt beim Motor 2021 auf Konstanz: Kein Weg zurück

Die aktuellen Motoren bleiben der Formel 1 weitgehend erhalten, das steht bereits länger fest. Die Power Unit samt ihrer beiden Energierückgewinnungssysteme MGU-K und MGU-H bleibt. Ein höherer Benzinfluss wird für mehr Leistung, Drehzahl und Sound sorgen, eine größere Batteriekapazität für mehr Elektro-Power, deren Einsatz mehr dem Fahrer obliegen soll.

Moderne Formel-1-Motoren, Foto: Mercedes/Honda/Renault
Moderne Formel-1-Motoren, Foto: Mercedes/Honda/Renault

Puristen muss Ross Brawn eine Absage erteilen: "Wir können nicht zurückgehen. Das würde die Formel 1 beschädigen. Aber wir können einen viel besseren Job machen, als wir bislang gemacht haben. Bislang lief alles unstrukturiert und deshalb sind wir in einer falschen Position."

Eine Sache, die Gewicht und Motoren betrifft, ist das Benzin. Auf der einen Seite soll immer mehr synthetischer Kraftstoff eingesetzt werden. Damit zeigt man, dass es auch abseits der Elektromobilität ohne fossile Brennstoffe geht.

Auf der anderen Seite wird über eine Wiedereinführung des Nachtankens nachgedacht, wie FIA Präsident Jean Todt bestätigte. Hier gibt es allerdings große Bedenken, was das Nachtanken mit den Rennen anstellt. Kritiker glauben, dass die Rennen dadurch noch vorhersehbarer werden und die Zweikämpfe noch stärker von der Strecke in die Box verschoben werden. Dafür wären die Autos vor allem zu Rennbeginn leichter.

Fix: Formel 1 deckelt Budget 2021 bei 175 Millionen

Während auf Technischer und Sportlicher Seite viele Dinge noch zur Diskussion stehen, ist die Budgetgrenze so gut wie fix. Maximal 175 Millionen dürfen die Teams 2021 noch ausgeben. Ausgenommen sind dabei: Die drei höchstbezahlten Manager des Teams, die Fahrergehälter, die ersten 15 Millionen an Power-Unit-Kosten, Marketing, Hospitality, und die Kosten für Unterkunft und Reisekosten unter der Saison. Ebenfalls ausgenommen: Kosten für Liegenschaften, historische Aktivitäten und mehr.

"Am liebsten hätten wir die Grenze schon ein Jahr vor den neuen Regeln eingeführt, aber das ging leider nicht", ärgert sich Brawn. Denn dann wären alle Teams mit gleichen Voraussetzungen in die neue Ära gestartet. Denn sobald das Reglement final ist, können die Teams in Hinblick auf 2021 entwickeln.

Das Ziel aller Änderungen ist klar. "Aktuell ist es egal, wie gut der Fahrer oder seine Rennstrategie ist", so Brawn. "Ohne das richtige Equipment ist es für ihn unmöglich, zu gewinnen. Wir wollen, dass ein Charles Leclerc oder ein Max Verstappen in einem Mittelfeldteam den Unterschied machen kann. Es wird - auch wenn ich es hoffe - 2021 noch nicht alles perfekt sein. Aber die Formel 1 soll auf einem deutlich besseren Weg sein."