Die Messe ist gelesen: 2018 fährt die Formel 1 mit dem Cockpitschutz Halo. Das steht seit einer Bekanntmachung des Motorsportweltverbands FIA Mitte Juli fest. Zuvor war ein Test der Alternative Shield im Rahmen des Großbritannien GP grandios gescheitert.

Sofort prasselte die Kritik von allen Seiten auf die FIA ein. Der Weltverband sah sich genötigt, den Motorsport-Puristen daraufhin (nochmals) im Detail darzulegen, welche Sicherheitsrisiken in welchem Umfang durch den Protektor gemindert werden.

Doch ein großer Teil der Kritiker ist auch durch diese Maßnahme kaum einen Zentimeter von seiner Position abgerückt. Die Kritik hält sich hartnäckig und auf gleich mehreren Ebenen: Halo passe nicht zur DNA der Formel 1, sehe einfach grausig aus oder mache den Motorsport zu sicher.

Thesen, die FIA-Präsident Jean Todt wahrnimmt, die den Franzosen allerdings größtenteils kalt lassen. Er sei von der Kritik nicht frustriert, so Todt. Was natürlich alles anderes als bedeutet, dass Todt diese Positionen teilt. Vielmehr interessiert den Welt-Advokat für mehr Sicherheit auf der Rennstrecke, aber eben auch im Straßenverkehr, das große Gesamtbild.

Jean Todt: Formel 1 ist nur der goldene Teil der Welt

"Du musst verstehen, in welcher Welt du dich befindest. Ich liebe und respektiere die Welt der Formel 1, aber es ist auch eine Art Golden Gate", schildert Todt. "Ich würde sagen, dass ich Glück habe, Zugang zu diesem zu haben. Aber ich habe auch Zugang zu dem anderen Teil", sagt der ehemalige Ferrari-Teamchef.

Damit zielt Todt auf den Alltag. 3.500 Menschen sterben weltweit im Straßenverkehr - jeden Tag. Darauf macht die FIA - unterstützt von zahlreichen Weltstars (des Motorsports) wie MotoGP-Ass Marc Marquez, Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, McLaren-Pilot Fernando Alonso, Tennis-Crack Rafael Nadal, Sänger Pharrell Williams oder Fußball-Star Antoine Griezman - mit Kampagnen wie eben #3500LIVES und der bekannteren FIA Action for Road Safety aufmerksam und kämpft für Verbesserungen.

"Deshalb denke ich nicht, dass Halo die Priorität ist", sagt Todt. "Die Priorität ist, zu überleben, zu essen, geheilt zu werden. Zugang zu besseren Aussichten zu ermöglichen ist auch sehr wichtig", stellt Todt erst einmal grundsätzlich klar. Dem eigentlichen Thema weicht Todt damit aus, ändert das allerdings umgehend.

Todt lässt Kritik kalt: Was mich kümmert, ist, wenn etwas passiert

"Um die Frage zu beantworten: Es ist mir egal", kommentiert Todt die zahllosen Negativ-Stimmen zu Halo. Kritik werde ihn dagegen in einem anderen Fall ernstlich kümmern: "Wenn etwas passiert und ich feststelle, wir hätten etwas tun können, das wir nicht getan haben." Genau hier gelte es aus der jüngeren Vergangenheit zu lernen. "Wenn du dir die letzten schweren Unfälle im Formel-Sport anschaust, hatten sie etwas mit dem Kopf zu tun", erinnert Todt. Man könne nie sicher sein. Genau deshalb sei Halo notwendig. "Wir müssen eine Vision haben, um im Vorfeld etwas zu machen."

Ein Stückweit nachvollziehen kann Todt die Halo-Hasser jedoch. "Ich kann die Leidenschaft für den Motorsport verstehen, dass die Leute es mögen wie die Autos aussehen", sagt Todt. Allerdings nehme er bereits wahr, dass sich die Wogen allmählich glätten. "Als ich vor den Formel-E-Teams ankündigte, dass wir für die Saison 18/19 nur noch ein Auto pro Rennen zulassen werden, erhielt ich nicht einen Kommentar. Als wir den Halo für die Formel 2 ankündigten, hörte ich nicht einen Kommentar. Das bedeutet, dass die Leute sich daran gewöhnen werden", meint der FIA-Präsident.

Das sei schon vor Unzeiten so gewesen. "Ich erinnere mich als ich noch leidenschaftlich für Motorsport war... nein, als meine Leidenschaft sich entwickelte, meine Helden Jim Clark und Dan Gurney waren, sie hatten einen offenen Helm - wenig Schutz, im Fall von einem Auto, das sich entzündet. Das war früher leider oft der Fall und so wurde entschieden, ihr Gesicht zu verstecken. Zu dieser Zeit waren die Fahrer glücklich. Das Problem war, dass wir jedes Jahr nicht wussten, wie viele von den Fahrern, die die Saison beginnen, sie auch beenden würden", erinnert sich Todt.

Helm, Hans & Halo: Sicherheitsfortschritt der Formel 1 fortführen

Gegenwärtig würden die Piloten im Vergleich dazu in einer Traumwelt leben. "Heute denken die Fahrer, ich respektiere und liebe sie, dass die Anzahl an Fahrern, die die Saison beginnt, dieselbe sein wird, wie die, welche die Saison beendet", sagt Todt. Deshalb gelte es, sich dafür einzusetzen, dass genau das auch in Zukunft so bleibe - in allen Bereichen. Ob nun Helm, Hans oder Halo ...

"Als ich zum FIA-Präsident gewählt wurde, gab es eine bestimmte Anzahl von Leuten, die an der Sicherheit arbeiteten. Ich denke, wir haben das verdreifacht in manchen Abteilungen.(...) Und die Leute arbeiten, aber es ist nicht nur am Auto. Es sind auch die Strecken. (...) Dann das Equipment, was auch essentiell ist. Da wurde viel Fortschritt gemacht", lobt Todt die sukzessiven Sicherheitsfortschritte - in der Formel 1 und allen anderen Rennserien.

Möglicher Zusatz-Nutzen: Kann Halo mehr als schützen?

"Das Leben eines F1-Fahrers hat keinen höheren Wert als das eines Kartfahrers. Wir müssen die ganze Pyramide des Motorsports anschauen, um das Leben sicherer zu machen. Es ist ein täglicher Kampf, diese Situation zu verbessen", sagt Todt. Ob das in Zukunft eine Kanzel in der Formel 1 zur Folge hätte und somit das endgültige Ende des offenen Cockpits? "Ich bin kein Experte, was das angeht", winkt Todt ab. "Ich verlasse mich auf die Meinungen von Experten, die das beste Konzept vorlegen. Was jetzt dabei herausgekommen ist, ist das, was die besten Erfolgsaussichten verspricht."

Und das ist Halo. Dem Cockpitschutz müsse man zudem nicht nur aus Sicherheitsgründen erst einmal eine richtige Chance geben, so Todt. Die ungeliebte Optik verbesserte sich seit den ersten Prototypen von den Wintertestfahrten 2016 bislang zwar tatsächlich nur wenig, aber zumindest etwas. Schon allein eine Lackierung in Fahrzeugfarben wie seitens Williams vorgenommen sorgte für einen immerhin kleinen Fortschritt gegenüber dem schwarzen Bügel auf rotem Ferrari bei der ersten Halo-Ausfahrt überhaupt in Barcelona.

Erster Test mit Vettel - Wie gut ist Shield? (03:49 Min.)

Die Zukunft könne hier jedoch noch weitaus größere Potentiale bergen, meint Todt. "Erstmal denke ich, dass es klare Ideen gibt. Es gibt ein paar, die ich ganz gut finde. Zum Beispiel, dem WM-Leader einen Halo in einer anderen Farbe zu geben", sagt Todt. Tour-de-France-Feeling also in der Formel 1? Warum nicht?

Warum Halo nicht für positive Elemente nutzen, ihm einen Zusatz-Nutzen verpassen? Bei den von etlichen Fans ebenso wenig geliebten Haifischflossen hat das mit Startnummern und Fahrerkürzeln in der laufenden Formel-1-Saison 2017 immerhin schon funktioniert. "Vielleicht wird es da auch eine Möglichkeit geben", hofft Todt. Doch die Formel 1 wäre nicht die Formel 1, wenn es nicht kompliziert werden würde. Todt: "Ich denke, das wird einen kleinen großen Kampf geben. Ich höre, dass einige Teams den Platz bereits an Sponsoren verkauft haben. Gut für sie ..."