Spielt jetzt auch Mercedes ganz offensiv die Teamorder-Karte? Während der schärfste Konkurrent Ferrari praktisch seit Saisonstart Sebastian Vettel als klare Nummer eins im Team vorgesehen hat, Kimi Räikkönen dem Deutschen nur bestmögliche Schützenhilfe im Kampf um die Fahrer-WM leisten soll, hält es Mercedes bislang anders. Lewis Hamilton und Valtteri Bottas gelten seitens der Silberpfeile als gleichberechtigte Anwärter auf den Titel.

Ferrari setzt auf ein Pferd, Mercedes auf beide - bislang

Noch unmittelbar vor der Sommerpause schenkte Hamilton einen dritten Platz in Ungarn sogar freiwillig her, ließ Bottas, der ihn zuvor wegen einer vermeintlich besseren Angriffschance auf die Ferrari-Doppelspitze hatte überholen lassen, wieder passieren. Auch das war Teamorder. Jedoch keine Teamordner mit Blick auf die WM, sondern einzig den kurzfristigen Erfolg, sprich den Rennsieg.

Ferrari dagegen gefährdete eben jenen sogar: Hätte Räikkönen Vettel überholen dürfen, wäre der Ferrari-Sieg so gut wie sicher gewesen - dafür aber ein Punktsieg Vettels über Hamilton umso gefährdeter, lädierter Lenkung sei Dank. So aber riskierte Ferrari, womöglich gleich mit beiden Autos hinter Hamilton zu landen. Kurzum: Einen besseren Grand Prix, um die unterschiedliche Philosophie bei Mercedes und Ferrari gegenüber zu stellen, könnte es kaum geben. Doch schon zwei Rennen später bahnt sich im Mercedes-Lager ein Sinneswandel an ...

Hamilton: Mit Macht aus der Sommerpause

Aus der Sommerpause kam niemand stärker als Lewis Hamilton. Mit Siegen in Spa und Monza gewann der Brite nicht nur als erster Fahrer der Formel-1-Saison 2017 zwei Rennen in Folge, noch dazu luchste er Sebastian Vettel erstmals die WM-Führung ab.

Bottas dagegen leistete sich einen schwachen Belgien GP. Im Qualifying noch Dritter, büßte der Finne im Rennen zwei Positionen gegen Räikkönen und Red Bulls Daniel Ricciardo ein. Noch dazu verlor er die Positionen auf einen Schlag, als Landsmann und Australier Bottas Ende Kemmel in Les Combes in die Mangel nahmen, den Mercedes-Fahrer auf der linken und rechten Seite gleichzeitig kassierten - Bottas kaum mehr als Statist.

Bottas: Turbulenzen in Spa, zwecklose Rückmeldung in Monza

Noch dazu kam Bottas das gesamte Wochenende nicht zurecht, fand nie die ideale Abstimmung zwischen High- und Lowspeed-Abschnitten der Ardennen-Achterbahn. Ganz anders in Monza. Plötzlich war Bottas wieder da, zeigte ein starkes Rennen. Von P4 fuhr der Finne binnen drei Runden vor auf P2, folgte Hamilton wie ein Schatten ins Ziel.

Doch genau das ist für Bottas gleichzeitig ein Problem: Der guten Performance zum Trotz standen erneut sieben verlorene Punkte auf den Teamkollegen zu Buche - laut einer Aussage Toto Wolffs tags zuvor potentiell bereits ein Gamechanger in puncto Teamorder bei Mercedes.

Wolff vor Monza: Entscheidendes Rennen für Bottas

"Valtteri ist clever und Lewis würde es genauso sehen. Wenn die Lücke zwischen dem zweiten Fahrer und Seb immer größer wird, muss man fürs Team spielen", sagte Wolff nach dem Qualifying bei RTL. "Es ist wichtig für ihn, wie Monza ausgeht, ob der Rückstand größer wird oder kleiner." Bezogen auf Vettel hat Bottas diese Vorgabe erfüllt: Auf den Deutschen verringerte Bottas seinen Rückstand, wenn auch nur marginal, um drei Punkte.

Allerdings machte Hamilton durch den Finnen als Puffer auf Vettel umso mehr Boden gut auf den Ferrari-Piloten, übernahm sogar die Gesamtführung. "Das hat natürlich geholfen, die Lücke zwischen mir und Sebastian auszudehnen", sagte Hamilton. Damit sieht es für Bottas insgesamt alles andere als gut aus. Auf Vettel fehlen noch immer 38 Punkte - aus eigener Kraft ist das bei sieben noch ausstehenden Rennen nur knapp aufzuholen. Hamilton allerdings liegt bereits 41 Zähler voran - selbst bei einem Ausfall und gleichzeitigen Bottas-Sieg wäre der Brite somit auf dem Papier noch immer locker Mercedes WM-Speerspitze Nummer eins.

Später Ungarn-Tausch gab Mercedes zu denken

Dass Mercedes nun den Fokus auf Hamilton legt, scheint somit mehr als nur wahrscheinlich, hatte jüngst auch Niki Lauda, zumindest vage, entsprechende Andeutungen gemacht. Und auch bei Wolff lässt sich gut zwischen den Zeilen lesen. "Budapest war ein schwieriger Moment für uns. Da gab es für uns viel nachzudenken", sagte der Mercedes-Motorsportchef nach dem Italien GP.

Für Valtteri Bottas wäre das eine herbe Enttäuschung. Gerade weil er sich in Monza so stark aus seinem Spa-Tief zu befreien wusste. Das Qualifying ging zwar gehörig daneben: Nur dank der Strafversetzung gegen die Red Bull startete Bottas immerhin noch von P4, happige 2,2 Sekunden Rückstand auf Hamilton hatte sich Bottas unter schwierigen Regen-Bedingungen zuvor eingehandelt. Doch im Rennen lief es gleich mehrere Klassen besser.

Bottas hält Pace in Monza: Weil Hamilton nur verwaltet?

Nach Bottas' schnellem Sturm vor auf P2 vermochte Hamilton Bottas nie richtig zu enteilen. Kaum war der Finne hinter Hamilton angelangt, pendelte sich der Rückstand in einem kleinen Fenster ein. Weiter als 5,267 Sekunden (Runde 50) lag Bottas nie hinter Hamilton, kurzzeitig kam er bis auf 2,761 an den Briten heran (Runde 8). "Als Vierter zu starten und Zweiter zu werden, Doppelsieg, das war ein guter Tag für das Team", sagte Bottas.

Den eigenen Sieg habe er einzig im Qualifying verloren. "Die Pace zu Lewis war heute kein großer Unterschied - gleiche Autos, gleiche Pace, wer vorne ist, gewinnt dann ohne viel Drama. Dann ist die Reihenfolge, wie man ins Ziel fährt klar", meinte Bottas nach Rennende. "Ich muss nur versuchen, mich im Qualifying zu verbessern. Aber im Rennen blieb die Gap zu Lewis gleich als ich an den anderen Autos vorbei war", erinnerte Bottas.

Damit liegt der Finne zwar völlig richtig, doch stellt sich nicht zum ersten Mal die Frage: Fuhr Lewis Hamilton überhaupt Vollgas? Oder sahen wir in Monza Hammertime einzig auf der Fabel-Polerunde des Briten? Vieles deutet auf letztere Variante hin. "Wir haben versucht, das richtige Maß zu finden, wie wir sie Rennen fahren lassen können und gleichzeitig den Motor nicht zu sehr zu belasten", berichtete Toto Wolff. "Zum Ende der Saison kann die Laufleistung des Motors entscheidend sein. Deshalb drehten wir es etwas runter", ergänzte der Motorsportchef.

Für Mercedes ein durchaus wichtiger Faktor, führte man die finale Ausbaustufe doch bereits in Spa ein, muss also im Idealfall sieben Rennen damit bestreitet. Das heißt mit Blick auf die Monza-Performances der Fahrer jedoch nur, dass beide Mercedes nicht am Limit des Autos operierten. Gepusht hätten jedoch beide Fahrer dennoch, meinte Wolff. Hamilton etwa sei in der zweiten Schikane weit gegangen. Doch war Lewis Hamilton je wirklich am Limit? Wohl kaum.

Hamilton überzeugt: Hätte auf alles antworten können

"Nein, es war eine komfortable Region, um zu arbeiten. Ich wusste, ich hatte eine gute Pace und auf alles eine Antwort, was die Leute hinter mir auch immer gemacht hätten. Valtteri hat einen soliden Job gemacht, war jede Runde sehr konstant. Aber generell hatte ich das Gefühl, jederzeit ein paar Zehntel in der Hinterhand zu haben. Aber ich wusste auch nicht, wie hart er gepusht hat. Hätte er mir eine harte Zeit gegeben, hatte ich jedenfalls das Gefühl, die Pace im Auto zu haben, um zu antworten", stellte Hamilton unmissverständlich klar. "Ich habe einfach bei drei Sekunden die Pace und die Gap kontrolliert."

Erst in den letzten Runden habe er noch einmal angezogen als er sich sicher gewesen sei, dass die Reifen locker durchhalten würden. "Denn dann bekomme ich immer gerne nochmal ein Gefühl dafür, was das Auto mit dem Setup so kann. Also bin ich etwas schneller gefahren für ein paar Runden, aber noch immer nicht voll", schilderte Hamilton. Genau in dieser Phase konnte - oder wollte - Bottas nicht mehr folgen, hier liefern die Daten die größten Gaps des Rennens zwischen dem Mercedes-Duo. Zumindest ein leichter Hinweis darauf, dass Bottas tatsächlich nie in der Lage gewesen wäre, Hamilton zu matchen, hätte der je den Hammer voll fallen gelassen.

Hamilton reitet die Erfolgswelle, Bottas macht sich selbst Mut

Mit Blick auf die Gesamt-Konstellation in der WM bringt das Lewis Hamilton in eine nur noch bessere (teaminterne) Position. Der Brite scheint aktuell auf der absoluten Höhe. Das beobachtet auch Toto Wolff. Hamilton sei stärker, entschlossener aus der Sommerpause gekommen, so der Österreicher. "Bis jetzt haben Spa und Monza das demonstriert." Hamilton bestätigt: "Ich fühlte mich in den letzten drei, vier Rennen stärker und leidenschaftlicher. Silverstone war ein sehr ermutigendes Wochenende, das hat den Funken für unser Feuer entfacht!"

Und Bottas? Habe zumindest seine Probleme von Spa in Monza ausgeräumt. "Wir haben jetzt viel mehr verstanden, es im Slow-Speed-Bereich zu optimieren. Heute haben wir diese Probleme nicht mehr gesehen", sagte Wolff auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Allerdings kämpfte Bottas nicht nur damit. "Es war nicht das einzige Problem in Spa. Am schlimmsten war Sektor zwei, wo hauptsächlich mittel- und sehr schnelle Kurven sind. Man kann da keine Verbindung sehen", rätselte der Finne. "Es hat sich dieses Wochenende nicht geändert. Ich weiß noch nicht, warum Spa so schwierig war."

Während es bei Hamilton also komplett reibungslos läuft, hat Bottas derzeit die eine oder andere Hürde zu nehmen. Zusätzlich zum Punktestand nur noch ein Grund, nun voll auf den dreifachen Weltmeister zu setzen. Das weiß auch Bottas, der entsprechend die Werbetrommel für sich selbst dreht. "Ich denke, dass ich die meisten Rennen der Saison konkurrenzfähig war. Dieses war eines davon, Spa aus irgendeinem Grund nicht. Es ist auf jeden Fall eine gute Geschichte, hier einen guten Sonntag gehabt zu haben, ich hatte das ganze Rennen eine gute Pace", sagte Bottas. "Ich fühle mich jetzt in keiner Weise in einer komfortablen Lage", sagte indessen Hamilton. Den Status als Nummer eins würde ein Sportsmann wie Lewis Hamilton allerdings auch niemals fordern.