Die Weichen sind gestellt! Mit dem Titel "Willkommen in der Zukunft der MotoGP" stellte die Königsklasse Anfang Mai ihr neues Reglement vor, das ab 2027 zum Einsatz kommt. Auf das überarbeitete Regelwerk haben sich nach monatelangen Verhandlungen die in der MSMA (Motorcycle Sports Manufacturers Association) organisierten Hersteller Ducati, KTM, Aprilia, Yamaha und Honda in Abstimmung mit Promoter Dorna, Motorradweltverband FIM und Teamvereinigung IRTA geeinigt. Es umfasst fünf wesentliche Bereiche.

Motoren: Nachhaltigkeit statt Rekordjagd

Der Hubraum der MotoGP-Triebwerke wird von 1.000 auf 850 Kubikzentimeter reduziert. Gleichzeitig ändert sich die Zylinderbohrung. Bislang waren 81 Millimeter erlaubt, in Zukunft sind es nur noch 75. Mit diesen Parametern will man die in den vergangenen Jahren extrem gestiegenen Spitzengeschwindigkeiten verringern und den Sport damit sicherer machen. Brad Binder erreichte mit seiner KTM im Sprint von Mugello 2023 unglaubliche 366,1 km/h, wobei es sich hierbei um eine stationäre Messung handelt. Die tatsächlichen Höchstgeschwindigkeiten liegen also noch höher.

Brad Binder stellte in Mugello den Geschwindigkeitsrekord auf, Foto: Rob Gray (Polarity Photo)
Brad Binder stellte in Mugello den Geschwindigkeitsrekord auf, Foto: Rob Gray (Polarity Photo)

Im Zuge der eingeschlagenen Nachhaltigkeitsstrategie der Motorrad-Weltmeisterschaft wird ab 2027 auch das maximal zulässige Motorenkontingent verkleinert: Aktuell sind sieben Motoren pro Fahrer und Saison erlaubt, zukünftig werden es nur noch sechs sein - vorausgesetzt der Rennkalender wächst nicht weiter an. Darüber hinaus wird fortan weniger Treibstoff verbrannt. Von höchstens 22 Litern im Rennen schrumpfen die Tanks auf 20 Liter, im Sprint sind statt zwölf nur noch elf Liter erlaubt. Bereits 2021 wurde ein schrittweiser Übergang von fossilem zu nachhaltigen Kraftstoffen beschlossen. Aktuell beträgt der Anteil am MotoGP-Sprit 40 Prozent, 2027 werden es dann 100 Prozent sein.

Aerodynamik: Weniger ist eindeutig mehr

Die Flügel an den Verkleidungen der MotoGP-Bikes sind in den vergangenen Jahren zum ultimativen Hassobjekt der Fans geworden. Optisch für viele Zuseher wenig reizvoll, produzieren sie auch massive Luftverwirbelungen - im Fachjargon 'Dirty-Air' genannt - was ein knappes Hinterherfahren für die Piloten schwierig macht. Sie sorgen auch für hohe Belastungen an den Vorderreifen, was wiederum zu Überhitzung und Druckproblemen führt. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die ausufernde Aerodynamik enges und spektakuläres Racing aus mehreren Gründen erschwert.

So werden die Bikes 2027 beschnitten, Foto: MotoGP Twitter
So werden die Bikes 2027 beschnitten, Foto: MotoGP Twitter

Dieses Problem soll mit dem neuen Reglement zumindest abgeschwächt werden. Dazu wird die maximale Breite der Verkleidung an der Front um 50 Millimeter reduziert und ihre Spitze um 50 Millimeter zurückgesetzt, womit die gewaltigen Spoiler der aktuellen Generation der Vergangenheit angehören werden. Veränderungen gibt es auch am Heck der Maschinen. Der Höcker hinter dem Fahrer ist derzeit nicht Teil der 'Aero-Body-Homologation', wie es im Technischen Regelwerk der MotoGP heißt. Damit unterliegt dieser Bereich keinen Beschränkungen, was Updates im Laufe der Saison betrifft. Er kann also beliebig oft verändert werden, was massive Ressourcen verschlingt und dementsprechende Kosten für die Hersteller bedeutet. Das ändert sich 2027. Fortan ist nur noch ein Update im Jahr erlaubt.

Ride-Height-Devices weg: MotoGP-Fahrer sollen im Mittelpunkt stehen

Die Vorrichtungen, die ein Absenken der Maschine am Start oder auch im normalen Fahrbetrieb ermöglichen, werden ab 2027 vollständig verboten. Dies soll wieder mehr Verantwortung in die Hände der Fahrer übergeben und ihnen ermöglichen, zu Beginn des Rennens und beim Herausbeschleunigen aus Kurven wieder einen entscheidenden Unterschied gegenüber ihren Konkurrenten herauszuholen. Das Absenken der Bikes durch Ride-Height-Devices sorgt schließlich für einen tieferen Schwerpunkt der Motorräder, was einen massiven Zugewinn an Grip bedeutet und so vergleichsweise wenig Gefühl der Piloten am Gasgriff fordert. Außerdem sollte ein Verbot der Ride-Height-Devices ein zusätzliches Sicherheitsplus bedeuten. Einerseits, weil dadurch die Geschwindigkeiten auf den Geraden reduziert werden, andererseits weil die komplexen Vorrichtungen immer wieder von Defekten betroffen sind, was bereits zu mehreren brenzligen Situationen geführt hat.

GPS: Der gläserne Fahrer kommt

Eine Änderung, die bei der Bekanntgabe für weite Teile des MotoGP-Paddocks überraschend kam, betrifft die datengestützte Analyse an der Rennstrecke. Die von Teams gesammelten GPS-Informationen, die eine genaue Rekonstruktion der Linienwahl ihrer Fahrer ermöglicht, müssen zukünftig der Konkurrenz, der Rennleitung und den MotoGP-Stewards sowie der gesamten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden - und das direkt nach der Session. Telemetrie, also die Übertragung der Daten vom Fahrzeug an die Box in Echtzeit noch während des Einsatzes auf der Strecke, gibt es in der MotoGP im Gegensatz zur Vierradkönigsklasse Formel 1 nicht. Durch die völlige GPS-Transparenz soll das Feld der Königsklasse in Zukunft noch enger zusammenrücken, da Zeitunterschiede durch unkonventionelle Linienwahl praktisch unmöglich werden. Gleichzeitig soll sie Rennleitung und Stewards bei der Analyse strittiger Szenen unterstützen und Fans einen besseren Einblick in die Details des Sports ermöglichen.

MotoGP unter GPS-Überwachung: Was soll das?! (09:16 Min.)

Concessions: Reset zum Saisonstart 2027

Das für 2024 eingeführte neue Concessions-System, das die Hersteller anhand der errungenen Punkte in der Konstrukteurswertung in vier Gruppen einteilt und bei ausbleibendem Erfolg dementsprechende Zugeständnisse einräumt (mehr Testreifen, freies Testen mit Einsatzfahrern, mehr Wildcards, mehr Motoren, freie Motorenentwicklung und mehr Aerodynamik-Updates), bleibt grundsätzlich bestehen. Zum Saisonstart 2027 werden allerdings sämtliche Hersteller in den aktuell unbesetzten Rang B eingestuft - Ducati fährt derzeit in Rang A, KTM und Aprilia in Rang C, Yamaha und Honda in Rang D. Zur Saisonhalbzeit 2027 sind dann wieder Veränderungen in der Einteilung möglich.

Sicherheit der MotoGP steht über Rundenzeiten

Insgesamt zeigt sich, dass die Entscheidungsträger mit ihrem neuen Reglement vier wesentliche Ziele verfolgen: Der Sport soll günstiger, nachhaltiger und unterhaltsamer werden. Vor allem aber will man die MotoGP, die in den vergangenen Jahren mit einer Vielzahl an Verletzungen und schweren Unfällen oft Negativschlagzeilen schrieb, wieder sicherer machen. Sicherheit geht in diesem Fall einher mit langsameren Motorrädern. "Unsere Kalkulationen ergeben einen Leistungsabfall, der zumindest im ersten Jahr erheblich ausfallen wird", erklärt Aprilia-Rennchef Paolo Bonora. "Wir erwarten durch das neue Motorenreglement einen Verlust von 25 bis 35 PS."

Zu oft kam es zuletzt zu schweren Stürzen, Foto: LAT Images
Zu oft kam es zuletzt zu schweren Stürzen, Foto: LAT Images

Auch das Verbot der Ride-Height-Devices wird die neuen Maschinen massiv einbremsen. "Wenn du diese Systeme verwendest, fühlt es sich auf dem Motorrad an, als hättest du 30 PS mehr", verrät ein MotoGP-Testfahrer. Bonora rechnet 2027 mit rund 20 km/h weniger Topspeed. Die Klasse könnte sich also im Bereich von 340 bis 350 km/h einpendeln. Alle Reglementänderung kumuliert werden laut Analyse der Hersteller für Rundenzeiten sorgen, die je nach Rennstrecke etwa ein bis zwei Sekunden über den aktuellen Werten liegen.

Superbike-WM plötzlich bedrohlich nahe?

Einbußen, die für das Publikum mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind, welche Promoter Dorna aber dennoch in die Bredouille bringen. Denn die ebenfalls von Carmelo Ezpeleta und seinem Team gemanagte Superbike-WM liegt im Rundenzeitenvergleich nur knapp hinter der aktuellen MotoGP-Generation. Auf Strecken wie dem Circuito de Jerez beträgt der Unterschied nur rund 2,5 Sekunden.

Start eines Superbike-Rennens in Portimao
Foto: LAT Images

Superbike-WM und MotoGP könnten sich hier zukünftig also beinahe auf Augenhöhe bewegen. Zwar hinken derartige Vergleiche stets, da in der WSBK deutlich kürzere Rennen gefahren werden (in Jerez 20 Runden oder 88,56 Kilometer, während die MotoGP 25 Umläufe und 110,7 Kilometer abspult) und man für eine schnelle Runde auch eigene 'Qualifyer' von Reifenlieferant Pirelli einsetzt, die eben maximalen Grip für exakt einen Umlauf bieten. Derartige Pneus stellt Michelin in der MotoGP nicht zur Verfügung.

Reglement in der Superbike-WM sehr locker für Ducati & Co.

Bei aller berechtigten Einordnung dieser Zahlen ergibt sich dennoch ein unangenehmes Bild für die MotoGP, wenn die hochgezüchteten Prototypen, die mehrere Millionen Euro kosten, kaum schneller sind als Superbikes, die auf straßenzugelassenen Serienmotorrädern basieren. In gewisser Weise haben sich die Chefs von MotoGP und WSBK selbst in ihre missliche Lage gebracht. Ja, die Maschinen der Superbike-Weltmeisterschaft basieren auf Serienmotorrädern. Doch mit dem landläufigen Begriff einer Straßenmaschine haben diese nicht mehr viel gemeinsam. Modelle vom Kaliber einer Ducati Panigale V4R sind schon in ihrer Ausgangsversion exotische Meisterwerke der Ingenieurskunst: 218 PS spuckt der 998 Kubikzentimeter große Vierzylinder der Panigale aus und hat so mit 184 Kilogramm Leergewicht leichtes Spiel. Ein umfangreiches Aerodynamikpaket und hochwertigste Fahrwerkskomponenten garantieren bestes Handling.

Die Ducati-Panigale ist eine Höllenmaschine, Foto: LAT Images
Die Ducati-Panigale ist eine Höllenmaschine, Foto: LAT Images

Möglich ist das, weil im Reglement die Bestimmungen für eine Homologation äußerst locker angesetzt wurden. 44.000 Euro darf die Serienversion eines World Superbikes kosten. Ducatis Panigale liegt exakt zehn Euro unter dieser Hürde. Gerade einmal 125 Exemplare des Motorrads müssen hergestellt worden sein, ehe man zur Homologation beim Motorrad-Weltverband FIM antreten darf. Bei einer derart kleinen Zahl an zu produzierenden Maschinen ist es für einen Hersteller theoretisch auch kein Problem, diese mit einem beträchtlichen Verlust pro Exemplar zu verkaufen. Der etwaige Werbefaktor durch Erfolge im Rennsport wiegt dieses Minus allemal auf.

MotoGP-Paddock einig: Superbikes müssen auch eingebremst werden

Somit kämpfen die echten MotoGP-Prototypen gegen eine Art serienbasierter MotoGP-Bikes. Routinier Aleix Espargaro, der mit Saisonende 2024 seine Rennfahrerkarriere beendete, schlägt Alarm: "Wir können unsere Regeln nicht ändern und dann diesen Superbikes auch noch Qualifying-Reifen geben. Dann werden Serienmotorräder die MotoGP-Bikes schlagen und das kann kein Fan zuhause verstehen. Wenn wir aber das Level sämtlicher Klassen senken, würde das alle glücklich machen." Ducati Corse General Manager Gigi Dall'Igna stimmt zu. "Mit der Panigale sind wir zwei bis drei Sekunden hinter unserem MotoGP-Bike. Das zeigt, wie leistungsstark und schnell unsere Serienmaschinen sind. Wir müssen jetzt die richtige Balance für das Reglement der Superbike-WM finden. Nachdem wir die MotoGP-Regeln definiert haben, erwarte ich daher, dass wir jetzt auch eine Überprüfung der anderen Kategorie durchführen, um den Abstand zu wahren", mahnt der Technikguru.

Dorna-Boss Carmelo Ezpeleta teilt die Bedenken von Fahrern und Herstellern: "Die Superbike-WM soll in unserem Ökosystem an zweiter Stelle bleiben." FIM-Präsident Jorge Viegas schließt sich an. "Wir wollen die MotoGP an der Spitze haben, während die Superbikes als leicht veränderte Serienmaschinen gedacht waren. Wir haben schon vor zwei Jahren mit den Überlegungen für ein neues Reglement begonnen und werden bald etwas verkünden, um die Distanz zwischen MotoGP und WSBK zu wahren. Ich hoffe, dass wir für 2026 eine neue Generation an Superbikes definieren können. Wir sprechen mit allen Herstellern und nutzen die Britische Meisterschaft als Testplattform." Die Maschinen in der British Superbike Championship entsprechen eher dem ursprünglichen Gedanken leicht getunter Serienmaschinen. So könnte die BSB zum Wegweiser für die Weltmeisterschaft werden.

Prototypen vs. Serie: Motorrad-Abstand viel geringer als im Automobilsport

Fakt ist: Schickt man die schnellsten Serienfahrzeuge in den Vergleich gegen Prototypen, wird der Abstand im Motorradsport stets geringer ausfallen als etwa im Automobilbereich. Auf zwei Rädern bieten sich den Ingenieuren schlicht und ergreifend weniger Möglichkeiten, einen wirklich großen Unterschied auszumachen. Um die vorhandene Diskrepanz zu verdeutlichen, lohnt sich ein Vergleich zwischen GT3-Autos - den schnellsten serienbasierten Rennwagen der Welt - und der Königsklasse Formel 1. Selbst auf dem extrem kurzen Red-Bull-Ring sind die F1-Raketen in 1:02.939 Minuten um fast 25 Sekunden schneller als die GT3 Renner mit 1:27.671 Minuten.

McLaren-Fahrer Lando Norris
Die Formel 1 fährt jedem GT3-Fahrzeug um die Ohren, Foto: LAT Images

Vor Problemen, wie sie der Motorradsport aktuell mit den eng beisammen liegenden Serien MotoGP und WSBK hat, ist auch der Automobilsport nicht gefeit. Beim prestigeträchtigen 24-Stunden-Rennen von Le Mans wurde etwa zuletzt die LMP2-Klasse künstlich eingebremst. Dass private Verbrennerautos ähnlich schnell gewesen wären, wie die sündhaft teuren Hybrid-Hypercars der offiziellen Hersteller, war den Verantwortlichen ein Dorn im Auge. Den Einheitsmotoren wurden kurzerhand 40 PS an Leistung genommen. Doch all das passiert abseits der großen Öffentlichkeit. Die Position der Formel 1 als echte Königsklasse wird anders als bei der MotoGP nie in Gefahr geraten.

Markt-Nachfrage nach Superbikes sinkt: Braucht es die WM noch?

Promoter Dorna muss sich deshalb die Frage stellen, ob eine Superbike-Weltmeisterschaft in dieser Form überhaupt sinnvoll ist, wenn sie sich unter einem Dach mit der MotoGP befindet. Historisch hatte die WSBK definitiv ihre Berechtigung: Während in der größten Klasse der Motorrad-Weltmeisterschaft 500ccm-Zweitakter gegeneinander antraten, waren in der Superbike-WM Viertakter mit 1.000 oder 750ccm unterwegs. Heute gleichen sich die Maschinen konzeptuell deutlich mehr, aber die Superbikes sind der MotoGP in allen Parametern unterlegen - die zweite Klasse eben.

In den Anfangsjahren der WSBK eroberten Modelle wie Hondas VFR 750, Yamahas FZR 750 oder Suzukis GSXR 750 R die Herzen der Konsumenten und wurden zu echten Verkaufsschlagern. Der Motorradmarkt hat sich in der Zwischenzeit aber massiv verändert. Die Nachfrage nach großen Superbikes sinkt. Verschärfte Emissionsstandards in Schlüsselmärkten verkomplizieren die Situation für die Hersteller zusätzlich. Suzuki hat sein Flaggschiff GSX-R 1000 deshalb bereits eingestellt und auch Yamaha lässt seine legendäre YZF-R1 auslaufen.

In der Superbike-WM wird großartiger Rennsport geboten, Foto: LAT Images
In der Superbike-WM wird großartiger Rennsport geboten, Foto: LAT Images

Nur um das klarzustellen: Die Superbike-Weltmeisterschaft liefert in den vergangenen Jahren großartiges Racing unter hochklassigen Fahrern wie Alvaro Bautista, Toprak Razgatlioglu oder Jonathan Rea. Doch werksseitiger Motorsport verfolgt eben immer ein vorrangiges Ziel, und zwar die größtmögliche Werbewirkung für das eigene Unternehmen. Weshalb sollten also die Konstrukteure Motorräder bauen und im Rennsport bewerben, die schlussendlich im Handel keine Abnehmer finden und ein Dasein als Ladenhüter fristen? Vor allem, wenn sich der generelle Motorradmarkt aktuell in einem Aufschwung befindet.

Rund um den Erdball nehmen die Absatzzahlen zu, in Deutschland wurden 2023 16,2 Prozent mehr Motorräder verkauft als im Jahr davor. Die Top-Ten der meistverkauften Modelle bilden dabei ein Cruiser (Honda CMX 500 Rebel), drei Touring- beziehungsweise Adventure-Maschinen (BMW R1250 GS, Honda XL 750 Transalp, Yamaha Ténéré 700) und gleich sechs Naked-Bikes (Kawasaki Z 900 und Z 650, Honda CB 750 Hornet sowie CB 650 R und 650 R Neo, Yamaha MT-07). Superbikes, Supersportler oder irgendetwas, was so im Paddock der WSBK gefahren wird: Fehlanzeige.

Von wegen Witzveranstaltung: Baggers begeistern in Amerika

Nun lässt sich argumentieren, dass Touring-Maschinen, Naked-Bikes oder Cruiser eben nicht für den Rennsport gemacht sind. Das ist richtig, aber nicht unbedingt ein Argument gegen sie. Wie aufregend und erfolgreich Motorsport mit dafür eigentlich nicht vorgesehenen Maschinen sein kann, ist rund um den Planeten zu sehen. In der US-amerikanischen Superbike-Meisterschaft wurde 2020 die Rahmenserie 'King of the Baggers' eingeführt. Gefahren wird auf großen Touring-Maschinen von Harley-Davidson und Indian mit einem Mindestgewicht von 620 Pfund, also über 281 Kilogramm.

Zunächst belächelt, erfreuen sich die Baggers mittlerweile größter Beliebtheit und ziehen mehr Fans vor die TV-Geräte und an die Rennstrecke als die strauchelnde Superbike-Klasse der MotoAmerica. Beim Amerika-Grand-Prix 2024 wurde deshalb sogar erstmals im offiziellen Rahmenprogramm der MotoGP ein 'King of the Baggers' gekürt. Und eine neue Kooperation mit Harley Davidson sorgt dafür, dass dies weiterhin der Fall sein wird. Auch die Britische Superbike-Meisterschaft hat bereits einen Vertrag mit dieser Serie abgeschlossen. Ein weiteres Beispiel ist die Super-Hooligan-Klasse der MotoAmerica, in der getunte Naked Bikes wie Ducatis Hypermotard, KTMs 890 Duke R oder BMWs BMW R nineT gegeneinander antreten. In Südostasien begeistern seit Jahrzehnten Underbone-Rennen die Massen, bei denen die Fahrer kleine und kostengünstige Scooter im Bereich von 150ccm um die Strecken prügeln.

Superbike-WM kein MotoGP-Sprungbrett mehr: Es braucht eine Reform

Muster, die auch für die Superbike-Weltmeisterschaft funktionieren könnten. In der Vergangenheit hätte es noch stärkere Argumente gegen eine solche Neuausrichtung der Klasse gegeben. Da schafften es nämlich noch zahlreiche Fahrer wie Cal Crutchlow, Ben Spies oder Colin Edwards über den WSBK-Weg in die MotoGP. Mit einer Umstellung auf völlig andere Maschinen in der Superbike-WM würde man derartige Wechsel massiv erschweren. Die einst populäre und erfolgreiche Karriereroute über das WSBK-Paddock ist mittlerweile aber ohnehin zu einer Sackgasse geworden. Selbst absolute Stars wie Jonathan Rea oder Toprak Razgatlioglu kamen in der MotoGP zuletzt nie zum Zug. Fahrer, die in der Superbike-WM erfolgreich waren und den Umstieg in die Königsklasse wagten - etwa Loris Baz oder Eugene Laverty - gingen in der MotoGP völlig unter.

Cal Crutchlow war der letzte erfolgreiche MotoGP-Fahrer aus der Superbike-WM, Foto: Tech 3 Racing
Cal Crutchlow war der letzte erfolgreiche MotoGP-Fahrer aus der Superbike-WM, Foto: Tech 3 Racing

Als Ausbildungsplattform hat die WSBK also ohnehin ausgedient. Mit einer radikalen Reform würde sie aber wieder zu einer Serie werden, die gegenüber der MotoGP ein Alleinstellungsmerkmal hätte, anstatt auf ewig eine etwas langsamere Variante der Prototypenliga zu bleiben. Und die Position der MotoGP als Königsklasse des Motorradsports wäre nicht mehr in Gefahr. Für Promoter Dorna, der mittlerweile beinahe über ein Monopol auf Rundstreckenrennsport mit zwei Rädern verfügt, ein absolutes Idealszenario. Zugegebenermaßen eines, das mit einem gewissen Risiko verbunden ist. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Das gilt nicht nur für die Fahrer auf der Strecke, sondern auch für die Machthaber an ihren Büro- und Verhandlungstischen.

Diese ausführliche Analyse zur Zukunft von MotoGP und Superbike-WM erschien erstmals in der 97ten Ausgabe unseres Print-Magazins. Wenn ihr auf den Geschmack gekommen seid, dann könnt ihr es hier erwerben. Auch Geschenk-Gutscheine für eure motorradverrückten Freunde oder Verwandten haben wir für euch.