Bei Red Bull herrscht höchste Alarmstufe. Der Italien-GP stellte den Höhepunkt eines seit Monaten andauernden Abwärtstrends dar, der beide Titel gefährdet. Erstmals in der Formel-1-Saison 2024 hatte das Team auf einer klassischen Rennstrecke keine Podestchance. Max Verstappen bezeichnete den RB20 nach Platz 6 als ein 'Monster'. Was läuft da nur schief? Und: Wäre Adrian Newey jetzt nicht wertvoller den je?

Kern der Red-Bull-Probleme schon in dominanten Zeiten vorhanden

Das Problem des Red Bull ist seine Balance. Das Auto ist unberechenbar für die Fahrer, ändert seine Fahreigenschaften teilweise noch in derselben Kurve. "Es gibt ein Balance-Problem, das den Fahrern nicht erlaubt, Vertrauen am Kurveneingang zu haben. Sobald du das Heck beruhigen willst, musst du einen Kompromiss an der Front eingehen. Du bekommst Untersteuern", beschreibt Teamchef Christian Horner den Teufelskreis, in dem sich das Weltmeisterteam befindet. Selbst Ausnahmetalent Verstappen kann dies nicht mehr kompensieren, Sergio Perez leidet schon seit langem.

Irgendwo scheint Red Bull 2024 in der Entwicklung seines Fahrzeuges falsch abgebogen zu sein, so zumindest der Eindruck von außen. Horner widerspricht dem jedoch: "Wenn man tiefer geht, dann waren manche dieser Probleme auch schon früher im Jahr da, als wir Rennen mit 20 Sekunden Vorsprung gewonnen haben. Die letzten Updates sollten Abtrieb bringen, haben aber Front und Heck voneinander getrennt. Wir können das sehen, aber unser Windkanal sagt das nicht." Sogar schon beim Überauto aus der Vorsaison habe sich das Phänomen ab und zu gezeigt, etwa beim Rennen in Austin.

Red Bulls Windkanal liefert nicht: Hätte Adrian Newey helfen können?

"Andere haben Fortschritte erzielt und als wir unser Paket weitergetrieben haben, hat dies die Probleme noch weiter offengelegt", seufzt der Brite. Zwar gibt er zu, dass die Korrelation zwischen Windkanal und Strecke nicht stimmt, dennoch sieht er das zentrale Problem nicht dort: "Der Windkanal hat seine Limits, deswegen investieren wir ja auch in einen neuen. Aber er ist, was wir momentan haben, also müssen wir ihn benutzen. Der Windkanal spielt vielleicht eine Rolle, aber er ist nicht der Grund, warum wir da stehen, wo wir sind." Nur wie sollen die Ingenieure den Ursprung des Problems finden, wenn eines der wichtigsten Werkzeuge nicht funktioniert? "Dann musst du dich auf die Daten von der Strecke und vorherige Erfahrungswerte verlassen", meint Horner.

Adrian Newey und Christian Horner vor der Red Bull-Hospitality
Auch mit Newey (l.) hätte Horner (r.) Probleme erwartet, Foto: LAT Images

Erfahrungswerte en Masse in Sachen Aerodynamik hätte Adrian Newey. Die Ingenieurslegende verließ Red Bull im Mai und scheint nun auf dem Weg zu Aston Martin zu sein. Seit Newey weg ist, geht es bergab, so die Beobachtung vieler. Horner lässt das nicht gelten: "Wir hätten diese Probleme [auch mit Newey, Anm. d. Red.] gehabt, denn sie waren schon da. Der Einfluss eines Mannes könnte niemals so schnell so entscheidend sein. Das alles hat sich so richtig in Miami gezeigt und Adrian war bis zum Freitag in Miami dabei. Niemals hätte das so schnell einen Einfluss gehabt."

Tatsächlich brauchen viele Entwicklungen eine Vorlaufzeit von Monaten. Newey war also noch für einige der Updates mitverantwortlich, welche die Balance-Probleme auslösten. Doch beantwortet dies nicht die Frage, ob er mit seiner Erfahrung und seinem Verständnis der aktuellen Regeln nicht hätte helfen können, dem Problem schneller auf die Schliche zu kommen. Auch hier wiegelt Horner ab: "Er würde mit genau denselben Leuten arbeiten. Die Formel 1 ist ein Teamsport und es ist ein Problem des Teams."

McLaren macht es vor: Weniger Extrem ist mehr Balance

Doch wo ansetzen? Red Bull hat es anscheinend bei der Jagd nach immer mehr Abtrieb übertrieben: "Wir haben in manchen Bereichen das Limit erreicht und das Auto ist außer Balance. Manchmal ist es besser, etwas weniger Abtrieb, aber eine bessere Balance zu haben. Das bringt bessere Rundenzeiten, besseren Verschleiß und ermöglicht mehr Reifenmanagement." Damit ist Red Bull bei weitem nicht das einzige Team in der Formel 1, bei dem Fortschritte in der Entwicklung gesehen werden, aber dann nicht auf der Strecke ankommen.

Der Hauptrivale von Red Bull machte zuletzt vor, wie es richtig geht. "Wenn du dir den McLaren ansiehst, dann sieht er wie eine Evolution des letztjährigen Autos aus. Es ist ein viel einfacheres Auto als unseres. Vielleicht haben wir den zu komplizierten Weg gewählt und müssen einige Dinge wieder einfacher gestalten", meint Horner mit Blick auf den MCL38. Jahrelang wurde in der Formel 1 radikal und extrem entwickelt. Diese Zeiten scheinen vorbei. Die klassischen Tugenden des Rennwagenbaus sind mit den Ground-Effekt-Boliden wieder im Fokus.

"Wenn das Auto im Fenster ist, dann funktioniert es wie vorhergesagt, oder zumindest nahe daran. Aber dieses Fenster ist so schmal, dass wir daran arbeiten müssen. Das Arbeitsfenster muss ausgeweitet werden", gibt Horner die Marschrichtung vor. Arbeitsfenster und Balance, das ist derzeit wichtiger als den letzten Punkt Abtrieb zusammenzukratzen. McLaren scheint das verstanden zu haben. "Wir müssen das Blatt schnell wenden", ist Horner angesichts von nur mehr 8 Punkten Vorsprung in der Konstrukteurswertung alarmiert.

Red Bull witterte bei McLaren aber nicht nur gute Balance, sondern auch Tricksereien am Frontflügel. Die FIA hat darauf aber klar reagiert: