Wie viele Gegner hat Lando Norris heute im Rennen der Formel 1 in Zandvoort? Mindestens drei. Der neben ihm startende Max Verstappen ist einer. Der hinter ihm startende Oscar Piastri ein weiterer. Und da ist dann noch der in ihm startende Lando Norris. Eine magere Red-Bull-Ausbeute macht den Niederlande-GP vorab erst recht zu einem Nerven-Thriller.

Es ist die vierte Pole in der Karriere von Lando Norris. Bis jetzt hält er bei 0 von 3 Führungen in der ersten Kurve, und 0 von 3 Siegen. Die Probleme von ihm und von McLaren in der Abteilung "Chancenverwertung" haben sich vor Zandvoort angestaut. Bei einem Rennen, das sich auf den ersten Blick wie ein zweites Ungarn zu entwickeln scheint.

Zweifel im Verstappen-Lager: Kann Red Bull überhaupt mit McLaren mithalten?

Zwar steht Max Verstappen in der Startaufstellung heute in Zandvoort besser da als zuletzt in Ungarn. Doch die erste Reihe ist trügerisch. 0,356 Sekunden fehlen ihm auf einer kurzen Rennstrecke. "Wenn du mehr als drei Zehntel im Qualifying hinten bist, dann müssen wir denke ich realistisch sein", mahnt Verstappen.

Die McLaren-Piloten sind trotz widrigster Windbedingungen schon das ganze Wochenende mit dem MCL38 überwiegend zufrieden. Das zweite größere Update-Paket der Saison mit Unterboden und neuer High-Downforce-Heckpartie lieferte einen kleinen Performance-Sprung, ohne das gutmütige Fahrverhalten des Autos negativ zu beeinträchtigen. Red Bull hat keine nennenswerten Updates. Doch die Baustelle RB20 macht weiter Probleme.

Beide Fahrer haben das in Ungarn eingeführte High-Downforce-Special im Einsatz. Das Problem mit der unberechenbaren Balance hat es nicht gelöst. "Lando scheint generell zufriedener, meine Balance geht kreuz und quer", meint Verstappen. Das dürfte zum Teil auf die Bedingungen zurückzuführen zu sein.

Seit Saisonbeginn ist eine wiederkehrende Ahnung, dass der Red Bull besonders windanfällig sei. Und Zandvoort ist bislang das bei weitem windigste Wochenende seit langem, mit regelmäßigen Böen von 30 km/h und mehr. Wie stark es heute im Rennen blasen wird, lässt sich schwer voraussagen, die Prognosen schwanken. Nur Regen gilt als sehr unwahrscheinlich.

Zandvoort bietet im Rennen perfekte McLaren-Bedingungen

Red Bull hofft, die Balance-Probleme am Samstag noch einmal verbessert zu haben. "Nach den etwas holprigen Trainingssessions sind wir glaube ich in die richtige Richtung gegangen", urteilt Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko auf ServusTV. "Damit ist auch im Rennen der Reifenverschleiß hoffentlich besser." In den Longruns hatten sich Verstappen und Norris am Freitag wie so oft auf sehr ähnlichem Niveau bewegt.

Doch ausgerechnet Max Verstappens Heimrennen kommt der Konkurrenz entgegen. Der McLaren mag diese langgezogenen mittelschnellen Kurven. Er mag leichte Bewölkung. Und auf die Longruns sollte man nicht zu sehr vertrauen. Sie fanden bei starkem Wind am Freitag statt, und überhaupt sind die Erfahrungen im Trockenen minimal.

"Niemand weiß so recht, welche Option die richtige sein wird", weiß McLaren-Teamchef Andrea Stella. Pirelli rechnet mit einer Einstopp-Strategie. Soft-Hard sollte machbar sein. Eine Einstopp bei schwierigen Bedingungen kommt ohne Zweifel dem stabileren, berechenbareren McLaren entgegen. Verstappen mag dessen Pace über 11 Runden im Training gehen können. Ob er es über 30 Runden im Rennen kann, ist fraglich.

McLaren muss in Zandvoort Dämonen exorzieren

Mit der Feststellung, dass McLaren auf dem Papier Favorit zu sein scheint, kehren wir zurück zum Faktor Nerven. "Wenn ich sage, dass ich gewinnen will, dann bin ich nicht verzweifelt", wehrte Lando Norris nach dem Qualifying ab, dass er unter starkem Druck stehe, nach den zahlreichen Fehlern am Start zuletzt abzuliefern.

Sein Teamchef Stella unterstreicht nach dem Qualifying am Beispiel des schwachen Starts von Ungarn, wie viel Arbeit in den letzten Wochen in das Thema geflossen ist: "Der Wechsel vom ersten in den zweiten Gang kam mit zu stark durchdrehenden Rädern, das Schalten war schlecht, der Schwung ging verloren. Es war eine Kombination an Auto, durchdrehenden Rädern, der Fahrer hätte es besser kontrollieren können, und unsere Einstellungen waren nicht die bestmöglichen."

Nur ein kurzer Weg ist es zur ersten Kurve von Zandvoort, Foto: LAT Images
Nur ein kurzer Weg ist es zur ersten Kurve von Zandvoort, Foto: LAT Images

"Du optimierst den Startprozess permanent. Jedes Mal, wenn du ihn auf dem Grid testest, du analysierst vorangegangene Events", sagt Stella. "In Ungarn und Spanien waren auch die zwei langen Geraden zur ersten Kurve ein Faktor, mit dem Windschatten." Das ist in Zandvoort vernachlässigbar, hier ist der Spaß nach 164 Metern bereits vorbei.

Auch Probleme in der ersten Kurve sieht Stella bei Norris keine. Spa, wo er sich verschätzte und im Kies landete, ist ein schnell identifizierter Einzelfall. Wer jedoch an dieser Stelle einen potenziellen Grund für einen neuen, einzigartigen Fehler von Norris sucht, wird sogar sehr schnell fündig. Das ganze Wochenende über bläst der Wind in Kurve 1 von hinten. Das macht Anbremsen sehr schwierig.

Strategie-Gefahren in Zandvoort: Taucht ein Mercedes noch einmal auf?

Selbst wenn Norris den Start verpatzt, so sollte McLaren an sich mit ihm und mit Piastri in einer starken Position gegen Verstappen sein. "Selbst wenn die Autos in Qualifying-Reihenfolge bleiben, ist jeder der drei in Position zu gewinnen", mahnt Stella. Einstopp-Strategie auf einer überholfeindlichen Strecke bedeutet allerdings: Fehler werden nicht verziehen. Wer den Stopp verschläft, wird den Platz voraussichtlich nie mehr wieder sehen.

Ganz auszuschließen ist hinter dem Trio George Russell nicht. Immerhin gewann Mercedes drei der letzten vier Rennen. Doch Zandvoort ist bislang eine schwache Vorstellung. Das Auto hadert mit dem Arbeitsfenster. Lewis Hamilton blieb in Q2 hängen. Nach Strafe startet er nur von P14. Im Longrun fehlte eine halbe Sekunde auf die Spitze.

Es müsste schon Chaos Mercedes entgegenkommen. Zandvoort bietet wenig Raum für Fehler. Unterbrechungen könnte die Strategie komplett über den Haufen werfen. Viele Teams sehen ein Zweistopp-Rennen als gleich schnell, nur die Überholproblematik spricht dagegen. Kommt jedoch ein frühes Safety Car, wird das ein massiver Unsicherheitsfaktor. Was tun, wenn ein Konkurrent stoppt? Dann wird Zandvoort erst recht spannend.