Alpine ist in der Formel-1-Saison 2024 ein Schatten seiner selbst. Das stolze französische Nationalteam fährt nicht nur den eigenen Erwartungen meilenweit hinterher, sondern sorgt auch regelmäßig für negative Schlagzeilen. Damit soll nun Schluss sein: Mit Jack Doohan wurde in Zandvoort der zweite Fahrer für 2025 bekanntgegeben, die großen Puzzleteile wurden aber schon etwas früher gefunden und an die entsprechenden Stellen gesetzt.

Flavio Briatore ist seit einigen Wochen der neue, alte starke Mann in Enstone. Offiziell ist er Berater, de facto zieht er alle Strippen bei Renaults Formel-1-Engagement. Kurz vor der Sommerpause rekrutierte er mit Oliver Oakes einen neuen Teamchef. In Zandvoort traten beide erstmals in ihren neuen Funktionen vor ausgewählten Medienvertretern, darunter auch Motorsport-Magazin.com, auf.

Körperlich ist Flavio Briatore das Alter deutlich anzusehen. 74 Jahre ist der Italiener inzwischen alt. Auch seine Stimme ist nicht mehr so stark, wie sie einmal war. Trotzdem, sobald Briatore erzählt und antwortet, ist es da: Das Charisma, das ihn schon zu Schumacher- und Alonso-Zeiten bei Benetton und Renault so auszeichnete.

Renault feierte mit Flavio Briatore schon einmal den ganz großen Erfolg, Foto: Sutton
Renault feierte mit Flavio Briatore schon einmal den ganz großen Erfolg, Foto: Sutton

Briatore ist der Macher, der Strippenzieher. Daran ließ er auch beim gemeinsamen Auftritt mit Oakes keine Zweifel aufkommen. Immer, wenn es knifflig wurde, ergriff er das Wort. Wie beim Motor. Renault will das eigene Motorenprogramm einstellen, auch gegen den Widerstand der Belegschaft in Frankreich.

Briatore: Ich bin nicht der Böse - zumindest nicht hier

"Das wurde aber schon vor mir entschieden. Ich bin nicht immer der Böse - zumindest nicht hier", versucht sich Briatore aus der Affäre zu ziehen. Einen Plan für die Zukunft konnte er noch nicht präsentieren. "Mein Plan? Ich lebe von Tag zu Tag", wiegelte er ab. Noch immer scheint es, als wäre Mercedes in der Pole Position als Motorenlieferant ab 2026.

Dass Renault das seit den 1970er Jahren laufende Motorenprogramm Ende 2025 auslaufen lässt, deuteten viele als ersten Schritt der Franzosen, das Team zu verkaufen. "Es steht nicht zum Verkauf", stellt Briatore klar und fügt nicht ganz ernst gemeint an: "Wenn es die Möglichkeit gäbe, würden wir noch ein weiteres Team kaufen."

Motoren-Urgestein Renault verabschiedet sich aus der Formel 1. Wer ist für das Chaos verantwortlich? Formel-1-Experte Christian Danner analysiert das Chaos in Enstone und Viry:

Formel-1-Chaos bei Audi und Alpine: Was ist da los?! (06:41 Min.)

Aber steht auch Renault-Boss Luca de Meo noch so hinter dem Projekt? Laut Briatore steht dahinter kein Fragezeichen: "Wir haben den großen Vorteil, dass unser Chairman Luca de Meo ein Motorsport-Enthusiast ist und das Team unterstützt. Wir müssen ihm mit Erfolg helfen, denn Luca hat viel Aufwand und Geld reingesteckt. Ich habe während meiner Zeit bei Renault drei Vorsitzende gesehen und es ist nicht richtig, dass er beschuldigt wird."

Briatore und Oakes einig: Missmanagement bei Alpine

Woran aber liegt es, dass das Werksteam mit lediglich elf Punkten auf dem achten Platz der Konstrukteurs-WM steht? "An einem Punkt haben wir ein paar falsche Manager ausgesucht. Die Liste ist ziemlich lang. Und es gibt keine Liste mit guten Managern bei uns", wird Briatore deutlich. "Es ist schwierig, Enstone zu managen. Es ist ein großes Team, ein Monster. Man muss dort sein. Es ist sehr schwierig, es aus Paris zu managen."

Das war auch einer der Gründe, warum Briatore Oakes als Teamchef einstellte. Der Brite leitete zuvor das Nachwuchsteam Hitech Grand Prix, das aus Silverstone nur rund 45 Minuten von Enstone entfernt operiert. "Er hat noch keine Erfahrung mit einem großen Team wie diesem hier, aber er hat das Talent, erfolgreich zu sein", lobt der Italiener den zweitjüngsten Formel-1-Teamchef der Geschichte.

Der 36-jährige Oakes steht nun zusammen mit Briatore vor der Mammutaufgabe, Alpine an die Spitze zu führen. "Enstone hat aber etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann", erklärt Oakes: "Die Racing-Mentalität." Bei den Problemen stimmt er seinem Chef zu: "Es wurde die letzten Jahre nur falsch gemanagt."

Alpine-Teamchef Oliver Oakes im Gespräch mit Berater Flavio Briatore im Alpine-Motorhome
Oliver Oakes und Flavio Briatore wollen dem Missmanagement bei Alpine ein Ende bereiten, Foto: Alpine F1 Team

Uneins sind sich Briatore und Oakes aber bei den zeitlichen Plänen. "2027 wollen wir um Podien kämpfen", stellt sich Briatore vor. Von derlei Plänen hält der Brite aber nichts: "Es macht mich ein bisschen verrückt, dass heute in der Formel 1 große Reden schwingt, dass man in X Rennen dort oder dort sein will. Wir müssen nur ein gutes Team zusammenstellen und gute Autos bauen, dann sprechen die Ergebnisse am Ende für sich. Ich muss immer darüber lachen, wenn sie in der Formel 1 von kurzfristig, mittelfristig und langfristig sprechen. Was heißt das schon? Das ist für jeden anders."

Egal ob kurz- oder langfristig: Oakes und Briatore müssen Enstone auf links drehen. "Wir müssen das System revitalisieren. Wir brauchen einen Elektroschock wie von einem Defibrillator", fordert Briatore. "Ich nenne es den Flavio-Tornado", scherzt Oakes. Denn auch wenn die Racing-Mentalität noch in Enstone ist, die Sieger-Mentalität vergangener Tage vermisst Briatore: "Wenn das Team gewinnt, ist jeder Teil des Sieges, auch die Frau, die die Toilette putzt. Jeder. Das ist der Punkt, an dem wir über den Teamgeist sprechen. Jeder ist unser Champion. Die Atmosphäre ist anders als jetzt. Unsere Aufgabe, unsere Pflicht ist es, dafür zu sorgen, dass wir wieder so werden wie früher."

Newey zu Alpine? Briatore schließt Formel-1-Stardesigner nicht aus

Könnte dabei sogar Adrian Newey eine Rolle spielen? "Wer? Nein, der ist zu billig", scherzt Briatore. "Was auch immer für ein Geschäft du betreibst, egal ob im Sport oder was auch immer, ob Restaurant, Unterhaltung: du musst Teil des Marktes sein. Alpine war ein bisschen in der Ecke, niemand hat mehr über Alpine gesprochen. Jetzt sind wir da, wir haben die Finanzen, wir haben die Unterstützung des Vorsitzenden, wir haben eine große Gruppe hinter uns. Wenn etwas passiert, ist das eine gute Möglichkeit, wir machen es."

"Aber nur wenn es gut für die Mannschaft ist", stellt er klar. "Ein Mann ändert nicht das ganze Team. Aber das heißt nicht, dass es unmöglich ist. Für mich ist im Leben alles möglich." Wohin es Formel-1-Stardesigner Adrian Newey nach seinem Abschied von Red Bull wirklich zieht, ist derzeit das größte Rätsel des Sports. Bislang wird der Brite vor allem mit Ferrari und Aston Martin in Verbindung gebracht.