Der samstägliche Regen spülte die Formel 1 in Spa ordentlich durch. So geht es heute mit einer undurchsichtigen Startaufstellung in das Rennen in Belgien. Gut gesäubert hat der Regen die Suche nach einem Favoriten. Ob Pole-Mann Charles Leclerc, ob die Freitags-Dominatoren von McLaren, ob Straf-Opfer Max Verstappen - jeder hat andere Vorstellungen von der Favoritenrolle.

Regen und 10 Strafplätze für einen Red-Bull-Motorwechsel sind für die bunt gemischte Startaufstellung verantwortlich. Der bekennende Spa-Liebhaber Max Verstappen brannte dem Rest der Formel 1 über eine halbe Sekunde auf, muss aber um zehn Plätze zurückrücken. Charles Leclerc schlitterte völlig unerwartet auf die Pole. Vor einem wiederbelebten Sergio Perez und Lewis Hamilton.

Drei Teams auf den ersten drei Startplätzen, und darunter kein McLaren - das war die größte Überraschung des Qualifyings. Lando Norris und Oscar Piastri schwächelten im Regen und holten nur die Plätze vier und fünf. Deshalb weisen sie nun die Favoritenrolle von sich, und zurück auf den von Platz 11 kommenden Verstappen. Der sich seinerseits revanchiert.

Warum Max Verstappen McLaren in Spa wieder zum Favoriten erklärt

Nach den Freitags-Trainings hatten alle Zeichen auf McLaren gezeigt. Lando Norris hatte die Tagesbestzeit geholt, und Oscar Piastri die Longrun-Tabelle angeführt. Es war ein schwieriger Tag gewesen, und deshalb beeindruckte die Verfolger die McLaren-Stärke nachhaltig. Auch im Hinblick auf das Rennen, für das kein Regen angekündigt ist. "Wir versuchen einfach nach vorne zu kommen, mit Ferrari und Mercedes zu kämpfen, und mit ein bisschen Glück mit McLaren", so Verstappen nach dem Qualifying.

McLaren hatte von Beginn an ein Low-Downforce-Paket am MCL38 montiert. Trotz wenig Abtrieb war der Reifenverschleiß aber besser als bei der Konkurrenz. In Spa 2024 ein sehr wichtiges Thema. Denn die Strecke wurde zur Hälfte neu asphaltiert. Während der sehr glatte neue Asphalt ein hohes Grip-Niveau hat, ist der alte noch schlechter als in den Vorjahren. Und fühlt sich durch den Kontrast noch schlechter an.

Herumrutschen löste am Freitag starkes Graining aus. Fuhr man im Vorjahr noch mit Soft und Medium, so sieht Pirelli-Sportchef Mario Isola 2024 keine Chance ohne robustere Mischungen: "Auf dem Papier ist ein erster Stint auf Medium und dann ein Doppelstint auf Hard die schnellste Option. Die logische Alternative ist Medium-Hard-Medium, aber Soft-Hard-Hard und Soft-Hard-Medium kann nicht ausgeschlossen werden."

Die strategischen Summen zeigen nicht auf Red Bull. Als einziges Top-Team sparte man sich dort nur einen Hard-Reifen pro Fahrer. Und in den letzten Rennen war der RB20 zunehmend in Verruf geraten, im Renn-Trimm eine unberechenbare Balance, dadurch zu viel Rutschen und infolgedessen zu viel Verschleiß zu entwickeln. Das wäre in Kombination mit der Asphalt-Problematik und der Tatsache, dass Verstappen in der verwirbelten Luft von zehn anderen Autos losfährt, brandgefährlich.

McLaren kontert: Darum holt Max Verstappen einen Sieg von Startplatz 11

Aber sind diese Probleme für Red Bull in Spa wirklich akut? Die FP2-Longruns sind mit großer Vorsicht zu genießen. Verstappen versuchte dort einen kleineren Heckflügel, und war mit der Balance überhaupt nicht zufrieden. Mit dem größeren Flügel, auf den er schließlich zurückbaute, vermeldete er das beste Gefühl seit Wochen.

Der große Heckflügel von Red Bull und der kleine in Spa im Vergleich
Verstappen fährt das Rennen mit dem größeren Heckflügel (oben), Foto: LAT Images

"Wir wussten, auf dieser Art von Strecke hat Red Bull wohl noch einen Vorteil uns gegenüber", analysiert McLaren-Teamchef Andrea Stella und legt sich bezüglich Verstappen fest: "Er bleibt der Favorit auf den Sieg, selbst wenn er von außerhalb der Top-10 startet." Schon 2022 gewann Verstappen hier mit einer Machtdemonstration von Platz 14 kommend. Die Strecke ist dem Red-Bull-Konzept auf den Leib geschneidert.

Verstappen hält in Spa bei solchen Vergleichen dagegen, dass die Konkurrenz 2024 deutlich stärker ist. Norris findet das übertrieben: "Red Bull ist immer dran, selbst wenn andere sie anzählen wollen. Max war im Qualifying letzte Woche vorne dabei. Seine Rennpace war die gleiche wie unsere, er hat nur mehr Fehler gemacht. Und hier war er vom 1. Training an schnell." McLaren verneint nach wie vor, dass man seit Wochen das beste Auto habe.

McLaren-Fahrer Oscar Piastri
McLarens kleiner Heckflügel war im Regen-Qualifying keine Hilfe, Foto: LAT Images

Bezahlt Verstappen in Spa einen hohen Flügel-Preis?

Verstappens gutes Gefühl ändert nichts daran, dass er 10 Autos überholen muss. Und dafür ist ein großer Flügel nicht optimal. "Hier in Spa brauchst du das richtige Flügel-Niveau fürs Trockene - wenn dir Topspeed fehlt, wird es eine ziemliche Herausforderung", sagt Stella. Red Bull wähnt sich in Sicherheit. Mit DRS sollte der Topspeed-Überschuss trotzdem ausreichend sein. Und der größere Flügel hilft bei den erwarteten Reifenproblemen natürlich dank einem Mehr an Grip deutlich.

Hinauslaufen wird es auf die noch ungeklärte Frage, wie gut Verstappens Reifenverschleiß nun mit dem größeren Flügel wirklich ist. Der Verschleiß wird ihm auf jeden Fall im Kampf mit den Autos direkt vor ihm entgegenkommen. Weder Ferrari noch Mercedes sahen an diesem Wochenende beeindruckend aus. Sie verloren im Schnitt im Longrun mehrere Zehntel pro Runde.

Pole-Mann Charles Leclerc sieht sich schon durchgereicht werden: "Das wird morgen ein schwieriges Rennen für uns." Der drittplatzierte Lewis Hamilton hat genauso keine Antworten parat: "Es besteht eine kleine Chance, dass wir um einen Podestplatz kämpfen können, aber ich denke, dass es schwierig wird." Mercedes baute obendrauf am Samstag noch ein Unterboden-Update wieder ab, da man am Freitag damit in Schieflage geraten war.

Sergio Perez fährt ums Red-Bull-Hemd: Zünglein an der Spa-Waage?

Bleibt noch ein seltener Gast übrig. Sergio Perez startet heute in Spa aus der ersten Reihe. Hervorragendes Timing - am letzten Wochenende, bevor Red Bull in der Sommerpause eine große Evaluierung der Fahreraufstellung angedacht hat, gibt er ein Lebenszeichen von sich. Und er sitzt in dem gleichen Auto wie Max Verstappen. Jenem Auto, das McLaren als das stärkste dargelegt hat.

Wichtig für Perez: Er steht auf dem zweiten Startplatz. Da der Weg zur ersten Kurve kurz ist, bleibt meist der Polesetter vorne. Wer jedoch als Erster aus der ersten Kurve herauskommt, der hat eigentlich schon verloren. Der massive Windschatten macht eine Attacke auf der langen Kemmel-Geraden leicht.

Übernimmt Perez die Führung, hätte er alle Trümpfe in der Hand. Ein Top-Auto, und potenziell eine Mauer hinter sich, die seinen Verfolgern McLaren und Verstappen Zeit kostet. Denn, wie Stella am Samstagabend festhielt: "Nach dem Qualifying schauten wir auf die GPS-Daten, und ich dachte, wir würden ein bisschen einen größeren Topspeed-Vorteil haben."

Ferrari und Mercedes sind keine langsamen Autos, auch wenn es besonders beim Reifenmanagement hapert. Was McLaren zugutekommt, ist die noch relativ gute Startposition. Von Platz vier, also aus der zweiten Reihe, lässt sich für Norris schnell etwas machen. Mit einem guten Start. Nicht gerade etwas, für das er 2024 zuletzt bekannt war.