Ein deutliches Pace-Defizit von Red Bull war nach einem wetterbedingt stark verkürzten Trainings-Freitag noch mit Verweis auf ungewöhnliche Umstände leicht zu ignorieren gewesen. Doch am Samstag trat die Formel 1 aus gleichem Grund noch einmal im 3. Training zu Longruns an. Und dort sah Red Bull noch immer nicht gut aus. Trotz der Startplätze eins und zwei grassieren daher für morgen Zweifel bei Max Verstappen und Sergio Perez. Der Favoritencheck analysiert sie.

Der Nieselregen im 2. Training ist schuld an Verwirrung. Die ersten Longruns fuhren alle im 1. Training bei wenig Grip und noch nicht aussortiertem Setup. Durch die Bank war Untersteuern und hohe Belastung der Vorderreifen ein Problem. Über Nacht schärften alle Teams nach und neutralisierten das Fahrverhalten ihrer Autos. Daher sind die erneuten Longruns im 3. Training am Samstagvormittag tatsächlich interessant. Setups erstmals ansatzweise aussortiert, die Strecke im besseren Zustand - wie ging das aus?

Noch immer mit einer halben Sekunde Defizit für Red Bull auf vergleichbaren Medium-Reifen, wie sich herausstellt. Ignoriert man die deutlich kürzer und auf ganz anderem Programm fahrenden Williams, tun sich allerdings gigantische Lücken auf. George Russell fuhr den schnellsten Longrun, eine Sekunde vor den Ferrari von Charles Leclerc und Carlos Sainz. Dann über vier Zehntel dahinter Perez, fast sechs Zehntel dahinter erst Verstappen.

Probleme wurden von Verstappen und Perez nach dem Qualifying in der Pressekonferenz untermauert. "Bis jetzt war ich mit meinen Longruns nicht happy", stellte Verstappen klar. "Ich denke, die Pace war nicht, was ich wollte. Das ist für morgen ein bisschen ein Fragezeichen." Auch Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko war das ganze Wochenende über schnell bereit, Ferraris starke Pace in die Auslage zu stellen.

Ferrari & McLaren wiegeln ab: Das ist abgekartetes Spiel …

Dazu noch die Tatsache, dass es bereits in Australien Zweifel an der Red-Bull-Pace gegeben hatte, die nach Verstappens Ausfall und Perez' Begegnung mit einem Abreißvisier nie aufgeklärt werden konnten. "Sie waren vielleicht heute auf eine Runde nicht schnell, aber auf jeden Fall schnell im Longrun", deutet Verstappen auf die von Platz vier (Carlos Sainz) und Platz acht (Charles Leclerc) startenden Ferrari. Mehr zu dem dafür problembehafteten Qualifying der Scuderia gibt es hier:

Bei Ferrari findet man Red Bulls ganze Rennpace-Geschichte suspekt. "Nein, wir sind nicht besser", meint ein vorsichtiger Sainz, der McLaren und Mercedes bereits als wirkliche Konkurrenz identifiziert hat. "Wir sind wohl etwas leichter. Sie fahren immer sehr langsam, und freitags sieht es aus, als ob wir sie schlagen könnten. Und dann brennen sie uns 20 Sekunden auf."

Die Streckencharakteristik von Suzuka bedeutet außerdem, dass zusätzliches Gewicht das Bild sehr stark verändert. "Zehn Kilo können drei, vier Zehntel ausmachen", rechnet McLaren-Teamchef Andrea Stella vor. "Wenn es 20 Kilo sind, dann ist es schon wie eine komplett andere Kategorie." Genau das ist in seinen Augen hier der Fall - ein vollgetankter Red Bull fuhr gegen leichte Konkurrenten: "Ich denke, Red Bull sieht hier einfach stark aus. Ich wäre überrascht, wenn es ein Auto gibt, das über die Distanz klar schneller wäre."

Leclerc völlig ratlos! Warum ist Sainz plötzlich besser? (13:29 Min.)

Selbst wenn es keine 20 Kilogramm waren, so darf nicht vergessen werden: Nach dem Feedback der unzufriedenen Fahrer wurde bei Red Bull auch noch einmal am Setup nachgeschärft. Wenn dann morgen im Rennen alle mit vollen Tanks fahren, wird sich das Bild wohl schnell austarieren. Mit zwei Red Bull vorne, und dem Rest im üblichen Großkampf um das letzte Podium, mit Lando Norris und Carlos Sainz in der zweiten Startreihe mit den besten Ausgangspositionen und größten Hoffnungen. Wer (inklusive der dahinter folgenden Alonso, Piastri, Hamilton, Leclerc und Russell) Favorit ist, lässt sich nur schwer sagen.

Reifen-Zweifel in Japan: Komplizierte Lage mit der Strategie

Der Unsicherheitsfaktor Reifen hinterlässt zumindest noch ein kleines Fragezeichen bei Red Bull. Wie auch Ferrari und Aston Martin hat man in den Trainings bereits einen Hard-Reifen pro Fahrer verheizt und damit nur mehr einen übrig. Bei Mercedes und McLaren ist man hingegen fest davon überzeugt, dass bei dem hier hohen Reifenabbau eine Zweistopp mit zwei Hard-Stints die beste Lösung ist.

Reifenlieferant Pirelli kann keine klare Antwort liefern. Ein Start auf Soft, wie ihn Mercedes anzweifelt, sieht Pirelli-Sportchef Mario Isola durchaus als sinnvoll. Denn der Grip-Vorteil ist mit zu Beginn gut einer Sekunde relativ zu Medium signifikant, was beim Start zu Positionsgewinn verhelfen kann. Besonders für Ferrari mit den eher schwachen Startplätzen eine verlockende Option.

Ferrari-Fahrer Carlos Sainz Jr.
Starke Pace, aber Startplatz vier für Carlos Sainz, Foto: LAT Images

Denn zwar mag der Soft danach schnell abbauen und nur zehn Runden halten, aber die Dirty Air ist in Suzuka ein großes Problem, und damit Überholen schwierig. Obendrauf ist der Undercut ein mächtiges Strategie-Instrument. Wer also auf Soft startet, ein oder zwei Plätze gewinnt und dann schon in Runde zehn stoppt, holt sich zum Start-Gripvorteil auch noch einen Undercut-Vorteil und zwingt die Konkurrenz zum Reagieren statt Agieren.

Die Ansicht von Mercedes und McLaren, dass es für die verbleibenden 43 Runden zwei Hard-Sätze bräuchte, teilt Isola nicht: "Wenn du Soft-Hard-Medium fährst, sollte der zweite Stopp so zwischen Runde 32 und 37 kommen. Mit einem ersten Stint mit Soft für zehn bis zwölf Runden bedeutet das kaum mehr als 20 Runden auf Hard. Das sollte ohne allzu viel Reifenmanagement machbar sein." Der Hard soll bis zu 30 Runden halten können.