"Vor 48 Stunden hätte ich nicht gedacht, dass Lewis mir sagt, dass er nächstes Jahr bei Ferrari fährt." So die nüchterne, ehrliche Feststellung von Mercedes-Teamchef Toto Wolff gegenüber Motorsport-Magazin.com, als er sich am 2. Februar den Medien stellte. Tag eins nach dem großen Vertrags-Schock um Lewis Hamilton. Der auch für Wolff einer war.

Zu Weihnachten waren die beiden, die seit 2013 gemeinsam der Inbegriff des Mercedes-Erfolges sind, noch im Einverständnis auseinandergegangen, dass mindestens zwei weitere gemeinsame Jahre folgen würden. Am Vormittag des 31. Januars trafen sie sich dann zum Frühstück in Oxford. Vorbereitung auf die neue Saison. Dort stellte Hamilton seinen Chef und Freund vor vollendete Tatsachen.

So erklärte sich Hamilton gegenüber Toto Wolff

"Die Überraschung war, dass wir die Gerüchte ein paar Tage zuvor gehört hatten, aber ich wollte auf das Frühstück warten", sagt Wolff. "Wir sind relativ schnell zum Punkt gekommen. Denn wenn man beginnt zu diskutieren, was an Entwicklungen passiert, was in der Firma, dann sind das vielleicht Informationen, mit denen man mit Bedacht umgehen muss, wenn es langfristige Themen sind."

"Deswegen hat er das gleich gesagt: 'Ich habe über den Winter eine Entscheidung getroffen, die mir sehr schwergefallen ist. Ich fahre 2025 bei Ferrari.'" Was hatte sich seit Weihnachten geändert? "Da müsst ihr Lewis fragen, warum er umgeschwenkt hat. Wie er es mir gegenüber dargestellt hat, ist völlig verständlich für mich. Nämlich, dass er eine neue Herausforderung wollte." Neues Umfeld, neue Chancen. "Dass es vielleicht seine letzte Gelegenheit war, was anderes zu machen."

"Und das ist okay", lässt Wolff seinen Star ziehen. Er versuchte gar nicht erst, ihn umzustimmen, fragte auch nicht, ob der Vertrag denn schon unterschrieben sei. "Man muss immer respektieren, wenn Menschen, wenn Erwachsene eine Entscheidung treffen. Ich kann jetzt meine Meinung dazu haben, ob ich das gut oder schlecht finde. Aber er hat sicher länger darüber nachgedacht als ich."

Lewis Hamilton mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff
Hamilton und Wolff bei der Vertragsverkündung im letzten August, Foto: Mercedes AMG F1

Option im ersten Vertragsmonat? Wolff erklärt Hamilton-Deal

Viele Fragen drehen sich rückblickend um Hamiltons Mercedes-Vertrag. Am 31. August hatte Mercedes noch verkündet, dass der 39-Jährige bis einschließlich 2025 verlängert habe. Nun relativiert Wolff. Es sei ein Eins-plus-Eins-Vertrag gewesen. Hamilton hätte stets die Möglichkeit gehabt, am Ende von 2024 nach dem ersten Jahr auszusteigen. So wie er es nun tut.

"Wir wussten, warum, nämlich um ihm und gleichzeitig uns Optionen offenzuhalten", rechtfertigt Wolff das Arrangement und verweist darauf, dass der Fahrermarkt für die nächste Saison schon seit Monaten spannend ausgesehen hatte. Daher seien beide Seiten interessiert daran gewesen, sich Alternativen offenzuhalten. Wolff respektiert, dass Hamilton so früh Nägel mit Köpfen machte: "Damit ist die Katze aus dem Sack und man kann eine klare Strategie gehen." Welche Nachfolger er im Auge hat, könnt ihr hier lesen:

So denkt Wolff über das Hamilton-Manöver

Was passierte, nachdem Hamilton es am Mittwoch ausgesprochen hatte? Wolff beschreibt: "Da habe ich erst einmal einen Schluck Wasser genommen." Aber kein Verlust der Fassung, im Gegenteil. Es ging direkt zum Geschäftlichen über. Die nötigen Vorbereitungen wurden getroffen, die ersten Leute in Kenntnis gesetzt. Am Donnerstag - Wolff hatte da Auswärts-Termine mit Ingenieuren wahrzunehmen - sprach er trotzdem per Videokonferenz mit den Fabriken in Brackley und Brixworth. Motorenchef Hywel Thomas und Cheftechniker James Allison übernahmen den Rest.

Böses Blut gibt es zwischen Hamilton und Wolff also keines: "Unsere geschäftliche Reise endet, aber das heißt nicht, dass unsere persönliche Beziehung endet. Ich habe einen Freund gefunden, wir haben über zehn Jahre eine Beziehung aufgebaut, und er musste eine sehr, sehr schwierige Entscheidung treffen."

Auch wenn Wolff selbst natürlich nicht mit der übereinstimmt. "Zwischen Ferrari und McLaren und uns war nicht viel um, also ist das vielleicht ein 50-50. In einen Red Bull zu steigen, wäre klar, was der Antrieb gewesen wäre. Das ist kurzfristig das beste Paket. Aber ich verstehe die Sorgen eines Fahrers, die teilen wir alle." Auch die Anziehungskraft von Ferrari schließt er nicht aus: "Vielleicht sich einen Traum zu erfüllen, in einem roten Overall zu stecken, und auch die Würfel zu rollen."

Wie wird Lewis Hamiltons letztes Mercedes-Jahr ablaufen?

Jetzt ist Mercedes mit einem neuen Problem konfrontiert. Wie hält man einen Fahrer vom Kaliber eines Lewis Hamilton auf Distanz, damit er im nächsten Winter nicht mit Unmengen an wertvollen Infos von Brackley nach Maranello spaziert? "Wir werden das später in der Saison evaluieren, was technische Infos angeht", kündigt Wolff an.

"Aber das macht mir keine Sorgen", meint er. "Wir haben Ingenieure, die zu anderen Teams wechseln, und die Benachrichtigungszeiten sind manchmal nur sechs Monate lang. Ich zweifle nicht an Lewis' Integrität, was das Teilen von Informationen angeht, und diesbezüglich will ich nur sicherstellen, dass wir mit beiden Fahrern eine erfolgreiche Saison haben. Da werden wir alle bei Mercedes alles geben."

Apropos Ingenieurs-Transfer - Peter "Bono" Bonnington ist seit Jahren Hamiltons Renningenieur und Fixpunkt am Funk. Könnte er mit seinem Piloten gar zu Ferrari wechseln? Wolff schließt das nicht aus: "Ich habe schon mit Bono gesprochen, und er meinte: 'Ist es der erste April?' Das ist etwas, das werden wir in der Zukunft diskutieren."