Haas zog nach dem Formel-1-Wochenende in Austin alle Register und machte von seinem Recht auf Neubeurteilung Gebrauch. Das US-Team zieht damit gegen nicht geahndete Track-Limit-Vergehen bei seinem Heimrennen in Austin ins Feld. Gleich vier Fahrer von drei verschiedenen Teams müssen um ihre Punkte zittern. Am Mittwoch um 15 Uhr fällt bei einer Anhörung mit den Stewards eine Entscheidung in der Causa.

Der internationale Sportkodex (International Sporting Code) verleiht den Teams dieses Recht in Artikel 14. Dieser Abschnitt im FIA-Reglement schränkt die Einbringung eines Antrages auf eine Neubeurteilung durch eine sehr breite Formulierung kaum ein. Die Grundpfeiler: Mit dem Ende eines Rennwochenendes haben die involvierten Parteien zwei Wochen Zeit, um den Antrag einzubringen und Beweise vorzulegen. Damit dem Antrag stattgegeben wird, müssen die Beweise neu, signifikant, sowie relevant sein und dürfen zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht verfügbar gewesen sein.

Protest vs. Right of Review: Das ist der Unterschied

Dadurch unterscheidet es sich von einem Protest. Dieser muss innerhalb von 30 Minuten nach dem Rennen eingebracht werden und es ist genau vorgegeben, gegen welche Umstände er eingelegt werden kann. Vor allem darf ein Protest keine bereits als Tatsachenentscheidung getroffene Bestrafung in einem Rennen beanstanden, ein Right of Review hingegen schon.

In den letzten Jahren versuchten die Teams regelmäßig durch ein Right of Review eine Strafe zu verändern oder eine nachträgliche Strafe zu erwirken. Manche Fälle waren grotesk oder schlicht lachhaft, andere ein wahrer Krimi. Erfolgreich war eine Neubeurteilung nur selten - es sei denn man heißt Fernando Alonso. Motorsport-Magazin.com blickt zurück auf die aufsehenerregendsten Fälle der letzten Jahre.

Fernando Alonso zweimal im Neubeurteilungs-Glück

Nur zweimal endete in den letzten Saisons eine Neubeurteilung erfolgreich. Beide Vorfälle ereigneten sich innerhalb eines halben Jahres und beides Mal war Fernando Alonso der Nutznießer davon. Zunächst einmal bei seinem viertletzten Rennen für Alpine. Der Hintergrund dafür war etwas komplex.

Denn ursprünglich beendete Alonso den Grand Prix auf Platz 7. Haas legte allerdings Protest ein, da Alonso lange Zeit mit einem kaputten Spiegel unterwegs war, der sich schließlich von seinem Auto löste. Dem Protest wurde stattgegeben und Alonso erhielt eine nachträgliche 30-Sekunden-Strafe. Alpine legte wiederum Protest gegen die Strafe ein, dieser wurde abgeschmettert.

An diesem Punkt kam der Right of Review ins Spiel. Denn Alpine forderte eine Neubeurteilung, da Haas seinen ursprünglichen Protest erst zu spät eingebracht hätte. Obwohl das US-Team ursprünglich von Rennleiter Niels Wittich mündlich die Zusage erhalten hatte, das 30-Minuten-Limit überschreiten zu dürfen, gaben die Stewards den Franzosen recht. Die Strafe war damit nichtig, Alonso erhielt P7 zurück.

Den zweiten Fall gab es in der noch laufenden Saison. In Saudi-Arabien erhielt Alonso eine 5-Sekunden-Strafe, da er nicht korrekt in seiner Startbox stand. Als Alonso die Strafe an der Box absaß, schlugen die Rennkommissare ein zweites Mal zu, da der Wagenheber das Auto zu früh berührte. Aston Martin legte Video-Material vor, das bewies, dass dies in der Vergangenheit geduldet wurde. Die Neubeurteilung hatte Erfolg und Alonso behielt sein zweites Podium für das Team aus Silverstone.

Mercedes vs. Red Bull

Auch die Right-of-Review-Akte zwischen Mercedes und Red Bull in der Formel-1-Saison 2021 verfügt über zwei Episoden. Zunächst einmal die Silverstone-Eskalation. Dort verunfallte Max Verstappen nach einer Kollision mit seinem WM-Rivalen schwer, Hamilton gewann trotz einer 10-Sekunden-Strafe für die Aktion das Rennen. Diese Strafe war den Bullen zu gering. Eine Neubeurteilung wurde gefordert. Bei einem Filmtag in Silvestone fuhr RB-Testpilot Alex Albon sogar die Linie nach, welche Hamilton gewählt hatte. Doch es half alles nichts: Der Antrag auf eine Neubeurteilung scheiterte.

Der Gegenschlag aus dem Mercedes-Lager kam dann beim Brasilien-GP, als Verstappen bei einem aggressiven Verteidigungsmanöver Hamilton von der Strecke gedrängt hatte. Der Vorfall wurde notiert, doch es gab keine detailliertere Untersuchung und auch keine Strafe. Mercedes' Neubeurteilungs-Bekundung hatte keinen Erfolg. Sie wurde aufgrund des Mangels an signifikanten, relevanten und neuen Beweisen abgelehnt.

Dreimal Sebastian Vettel

Sebastian Vettel stand bei gleich drei unterschiedlichen Vorfällen in drei unterschiedlichen Jahren im Mittelpunkt eines "Right of Reviews". Erfolgreich war sein jeweiliges Team dort allerdings nie. Der erste Vorfall ergab sich infolge des Mexiko-GPs 2016. Vettel verlor sein Podium, da er spät im Rennen in der Bremszone im Kampf gegen Daniel Ricciardo seine Linie wechselte. Ein Regelverstoß, der aufgrund diverser Vorfälle - vor allem rund um Verstappen - erst ein Rennen zuvor klar definiert wurde. GPS-Daten und eine geforderte Strafe gegen Verstappen reichten als "Beweise" der Scuderia nicht aus, um den Fall neu aufzurollen.

Deutlich schmerzhafter und war wohl die Niederlage von Ferrari am grünen Tisch beim Kanada-GP 2019. Vettel hatte dort eine umstrittene Strafe erhalten. Im Zweikampf mit Lewis Hamilton war er in einer Schikane von der Strecke abgekommen und reihte sich bei der Rückkehr wieder vor dem Briten ein, sodass der Mercedes-Fahrer verlangsamen musste. Etwas bizarr mutete anschließend Ferraris Argumentation für eine Aberkennung der Strafe an. Denn als neuer "Beweis" wurde unter anderen ein Analyse-Video mit Karun Chandhok aus einer TV-Übertragung des Rennens verwendet.

Der letzte Neubeurteilungs-Anlauf rund um Vettel scheiterte schließlich beim Ungarn-GP 2021. Der Aston-Martin-Pilot überquerte die Ziellinie in Budapest sensationell als Zweiter. Er wurde allerdings anschließend disqualifiziert, da nicht mehr genügend Sprit für die einen Liter umfassende Probe vorhanden war. Für Aston Martin unbegreiflich, denn laut ihren Messsystemen waren noch 1,44 Liter vorhanden. Der Fall scheiterte spektakulär: Festgestellt wurde ein technisches Problem im Benzinsystem. Kein Grund, um die Disqualifikation zurückzunehmen.