1. Warum dauerte die Reifen-Entscheidung so lange?
Erst zweieinhalb Stunden vor Rennstart waren die Reifenregel finalisiert. Dafür, dass die Entscheidung so lange dauerte, gab es verschiedene Gründe. Zunächst einmal musste Pirelli die Reifen nach dem Sprint am Samstagabend analysieren. Die Ergebnisse lagen erst am Sonntag vor. Anschließend war klar, dass man kein Risiko gehen konnten und drei Reifenwechsel vorschreiben musste. Für diese Entscheidung brauchte man nicht lange, doch wie immer in der Formel 1, zieht eine Änderung einen ganzen Rattenschwanz mit sich.
Bei der Entscheidung an sich waren die Teams nicht involviert. Aber anschließend gab es ein ausführliches Meeting mit den Teammanagern, in denen Details geklärt wurden. Es galt, Spezialfälle durchzusprechen und binnen kürzester Zeit mögliche Regellücken zu schließen. Bis die Spezialisten alle Argumente vorgetragen und Lösungen gefunden hatten, verstrich viel Zeit.
2. Warum gewann Verstappen nur mit 5 Sekunden Vorsprung?
Obwohl es nur eine Safety-Car-Phase gab und die auch noch ganz am Anfang das Rennen neutralisierte, gewann Verstappen 'nur' mit 4,8 Sekunden Vorsprung. Eine ganze Reihe an Faktoren führte dazu, dass der Weltmeister nicht die volle Stärke des Pakets ausspielen konnte. Die größte Stärke des RB19 ist der Umgang mit den Reifen. Weil drei Stopps vorgeschrieben waren, war der Reifenabbau kein großes Thema mehr.
Dazu fuhr Red Bull absichtlich nicht die schnellste Strategie. Stattdessen teilte man sich die 57 Runden ungleich ein. Verstappens Stints dauerten 17, 17, 17 und 6 Runden. Piastri zum Vergleich teilte sich das Rennen in 12, 13, 18 und 14 Runden ein. Red Bull wollte damit das Risiko minimieren, ungünstig von einem Safety Car getroffen zu werden.
Gleichzeitig hatte Verstappen so bessere Chancen, die Schnellste Rennrunde zu fahren. Die kostete ihn aber Rennzeit, weil er dafür in den Runden zuvor die Batterie aufladen musste. Zusätzlich verlor Red Bull beim Boxenstopp selbst etwas Zeit, Verstappen stand 4,1 Sekunden.
3. Warum gab es Ärger bei McLaren?
Lando Norris erlebte ein durchwachsenes Wochenende. In beiden Qualifikationen, Sprint und Grand Prix musste er sich von Oscar Piastri geschlagen geben. Fehler und gestrichene Rundenzeiten in Qualifikation und Shootout waren maßgeblich für die teaminternen Niederlagen verantwortlich. Im Rennen war Norris aber einmal mehr schneller als Teamkollege Piastri. McLaren wollte aber kein Risiko eingehen und fror das Rennen teamintern ein, Norris durfte Piastri nicht angreifen. Norris fehlte dafür aber das Verständnis, weil es seiner Ansicht nach wenig zu verlieren gab: Druck auf Verstappen vorne übte Piastri nicht aus, nach hinten hatte man fast 30 Sekunden Luft.
4. Wer war schuld am Mercedes-Crash?
Mercedes erlebte in erneuter Abwesenheit von Teamchef Toto Wolff den Silber-GAU: Lewis Hamilton und George Russell kollidierten am Start. Hamilton schied aus, Russell fiel auf den letzten Platz zurück. Beide Piloten zeigten aus dem Cockpit wenig Verständnis für den jeweils anderen. Hamilton war mit Soft-Reifen von Rang drei ins Rennen gegangen, Russell mit Medium von Startplatz zwei. Dank des Extra-Grips erwischte Hamilton den besseren Start und ging an Russell vorbei - dann die Berührung.
Tatsächlich hatte Mercedes das Szenario vor dem Rennen durchgesprochen, dass Hamilton am Start aufgrund des Reifenvorteils vorbeigehen könnte. Russell war für diese Situation sensibilisiert. Aber Russell konnte nichts machen, denn Hamilton zog schlicht zu früh nach innen. Das sah auch der Routinier nach Ansicht der TV-Bilder so und nahm den Unfall zu 100 Prozent auf seine Kappe. Die Stewards sahen die Schuld ebenfalls bei Hamilton, ließen ihn aber angesichts des Startgetümmels ohne Strafe davonkommen.
5. Wofür bekam Hamilton 50.000 Euro Strafe?
Hamilton straffrei? Da war doch etwas, oder? Tatsächlich bekam der Brite noch eine Verwarnung und 50.000 Euro Strafe - allerdings nicht für den Unfall selbst. Die hohe Geldstrafe wurde ausgesprochen, weil Hamilton nach seinem Ausscheiden bei laufendem Rennbetrieb zu Fuß über die Strecke gegangen war. Was für spektakuläre TV-Bilder sorgte, weil in diesem Moment Russell an der Stelle vorbeifuhr, gefiel den Stewards gar nicht. Immerhin: Die Hälfte der Geldstrafe, also 25.000 Euro, sind zur Bewährung ausgesetzt. Lässt sich Hamilton bis Ende des Jahres nichts Ähnliches zu Schulden kommen, muss er nicht mit einer Privatinsolvenz rechnen.
6. Wurde Russells Auto beschädigt?
Für Hamilton war das Rennen durch den Unfall beendet, Russell konnte weiterfahren. Aber der Brite musste nach Runde eins an die Box kommen und fiel dadurch auf den letzten Platz zurück. Glück im Unglück: Am Auto mit der Startnummer 63 ging lediglich der linke Vorderreifen kaputt. Die Karbonteile blieben intakt, nicht einmal Nase und Frontflügel mussten beim Stopp gewechselt werden.
7. Warum stoppten Piloten erst am Ende der Safety-Car-Phase?
Der Mercedes-Crash löste eine Safety-Car-Phase aus. Trotzdem war Russell zunächst der einzige, der an die Box kam. Erst am Ende der Safety-Car-Phase kamen mit Valtteri Bottas, Lance Stroll, Kevin Magnussen und Liam Lawson noch weitere Piloten zum Reifenwechsel. Normalerweise will man zu Beginn des Safety Cars stoppen, um möglichst wenig Positionen zu verlieren.
In Katar war die Sache anders: Durch die vorgeschriebene Maximallaufzeit der Reifen machte es in den ersten beiden Runden keinen Sinn, Reifen zu wechseln. Erst ab Runde 3 ging die Rechnung auf: Wer anschließend die Reifensätze maximal ausnutzte, benötigte nur zwei weitere Stopps. Die Rechnung ging auf, weil eine Zweistopp-Strategie eigentlich die beste Rennzeit ergeben hätte. Einige Piloten hatten darauf spekuliert und waren deshalb auf Soft-Reifen ins Rennen gegangen.
8. Warum stoppte Russell nicht doppelt unter dem Safety-Car?
Eigentlich hätte Russell am Ende der Safety-Car-Phase ebenfalls noch stoppen und so auf ein de-facto Zweistopp-Rennen setzen können. Der Mercedes-Pilot war ohnehin Letzter. Sein erster Stopp war zu früh, um mit der 18-Runden-Regel bis zum Ende durchzukommen. Aber Russell hatte nicht mehr ausreichend Reifen. Dafür wären drei Reifensätze mit jeweils 18 Runden Restlaufzeit nötig gewesen. Aus diesem Grund konnten auch nicht alle Piloten wie Bottas, Stroll und Co. zocken.
9. Warum musste Perez aus der Box starten?
Nach der Kollision im Sprint musste Red Bull für Sergio Perez ein komplett neues Auto aufbauen, weil das Chassis beschädigt wurde. Obwohl alle Autos nach dem Sprint zwei Stunden lang im Parc ferme sind, begann Red Bull damit, das Auto komplett auseinanderzubauen. Anschließend wurden von Red Bull die Einzelteile in Parc-ferme-Konditionen gebracht. Daraufhin begann man sofort damit, das neue Auto auf dem Ersatz-Chassis aufzubauen.
Red Bull umging damit das Problem, das Williams bei der Reparatur von Logan Sargeants Auto in Suzuka hatte. Indem das Unfallauto komplett auseinandergebaut wurde, existierte das Auto nicht mehr im Sinne des Reglements. So konnte man sofort damit beginnen, das Ersatzauto aufzubauen. Hätte man das verunfallte Auto nicht auseinandergebaut, hätte man streng genommen ein drittes Auto im Einsatz gehabt. Das Reglement erlaubt aus Kostengründen kein komplettes Ersatzauto.
Sargeant bekam in Suzuka deshalb zusätzlich zum Boxengassen-Start noch 10 Sekunden aufgebrummt. Die Stewards waren mit Red Bulls Interpretation der Regeln nicht ganz zufrieden, sprachen aber keine zusätzliche Strafe aufs. Denn Red Bull hatte ohne die zuvor eingeholte Erlaubnis auch neue Motorteile eingebaut und damit die Parc-ferme-Regeln gebrochen, weshalb Perez ohnehin aus der Box starten musste. Auf die Doppel-Bestrafung wie bei Sargeant verzichtete man, weil Red Bull die Regeln schlauer interpretiert hatte. Das Sporting Advisory Comittee soll sich aber noch mit der Thematik befassen, um das Problem aus Regel-Sicht in Zukunft besser zu lösen.
10. Warum konnte Sainz nicht starten?
Carlos Sainz konnte gar nicht erst am Rennen teilnehmen. Grund dafür waren Probleme am Benzinsystem. Ferrari konnte oder wollte auch nach Rennende keine Details zu nennen. Dafür wäre es laut Teamchef Fred Vasseur nötig, den Benzintank auszubauen. Ein mühsames Unterfangen. Sainz hatte aber schon im Sprint technische Probleme. Der Ladezustand seiner Batterie bereitete öfter Ärger, weshalb Ferrari vor dem Rennen den Energiespeicher noch tauschte. Möglicherweise waren die Schwingungen beim Überfahren der Kerbs dafür verantwortlich, so Vasseur.
11. Wofür wurde Hülkenberg bestraft?
Nico Hülkenberg hatte sich auf Rang 15 qualifiziert, kam aber auf Rang 10 aus der Startrunde zurück - ohne einen Piloten wirklich überholt zu haben. Einen Platz gewann der Haas-Pilot, weil Sainz nicht starten konnte, einen Platz, weil Perez aus der Box startete. Zwei Plätze bekam er geschenkt, weil sich die Mercedes-Piloten gegenseitig abräumten. Fehlt noch ein Platz? Den holte sich Hülkenberg einfach selbst, indem er auf die falsche Startposition fuhr und so Alexander Albon überholte.
Dass Sainz nicht starten konnte, stand erst fest, als die finale Startaufstellung schon veröffentlicht war. Deshalb rückten die nachfolgenden Piloten in der Startaufstellung nicht nach, stattdessen sollte der Platz frei bleiben. Nico Hülkenberg passte nach der Einführungsrunde nicht auf und fuhr eine Reihe zu weit vor - und nahm somit den Startplatz von Sainz ein. Williams war wenig begeistert, weil Albon hinter Hülkenberg Zeit verlor. Die Stewards waren ebenfalls nicht begeistert und sprachen eine 10-Sekunden-Strafe aus.
12. Warum gab Sargeant auf?
Logan Sargeant gab das Rennen nach 40 von 57 Runden auf. Der US-Amerikaner war völlig dehydriert und konnte das Rennen aus physischen Gründen nicht zu Ende fahren. Das Team erklärte später, dass Sargeant schon zu Beginn der Woche Grippe-ähnliche Symptome hatte. Sargeant war der einzige Pilot, der aufgab, aber er war nicht der einzige Pilot mit körperlichen Problemen. Bei 33 Grad Umgebungstemperatur, extremer Luftfeuchtigkeit und einer brutalen Strecke mussten alle Fahrer leiden: Lance Stroll gab an, im Rennen mehrfach kurz ohnmächtig geworden zu sein, Esteban Ocon musste sich unter dem Helm übergeben und Alexander Albon musste das Medical Center aufsuchen.
13. Warum wollte Alonso, dass ihm das Team Wasser ins Auto schüttet?
Auch Fernando Alonso wurde es im Rennen zu heiß. Den Aston-Martin-Piloten machte aber nicht nur die Umgebungstemperatur zu schaffen. Schon die gesamte Saison über kämpft Alonso mit seinem heißen Stuhl. Hydraulik-Leitungen und Elektronik-Boxen erwärmen den Sitz im AMR23 übermäßig. Die Ingenieure arbeiten an dem Problem, aber eine aktive Kühlung würde Performance kosten. Deshalb fragte Alonso, ob man ihm beim Boxenstopp Wasser ins Cockpit schütten könnte. Der Wunsch wurde dem Asturier aber nicht erfüllt.
14. Welche Fahrer wurden wegen Track Limits bestraft?
Im Qualifying wurden 22 Rundenzeiten gestrichen, im Shootout 31, im Sprint 23 und im Grand Prix 51. Im Rennen wurde es unübersichtlich, weil es vor allem vier Fahrer betraf, die mehrfach bestraft wurden. Teilweise konnten sie ihre Strafen noch im Rennen absitzen, teilweise wurden auf die Rennzeit noch Strafen addiert. Insgesamt sprachen die Stewards zehn 5-Sekunden-Strafen aus, die sich auf vier Fahrer verteilten.
Sergio Perez und Pierre Gasly kassierten je drei Strafen. Perez saß 10 der 15 Sekunden im Rennen ab, Gasly 5 der 15 Sekunden. Perez bekam so nach dem Rennen 'nur' noch einmal 5 Sekunden aufgebrummt, Gasly zweimal. Lance Stroll und Alexander Albon bekamen jeweils zwei 5-Sekunden-Strafen, die auf die Rennzeit gerechnet wurden.
Nach dem Chaos in Österreich, als es nachträglich Strafen hagelte und sich die Stewards deshalb ein neuartiges System ausgedacht hatten, wurde in Katar wieder streng nach Regelbuch bestraft. Nach drei Vergehen gab es die schwarz/weiße Flagge, beim vierten Vergehen die erste Strafe. Anschließend wurde jedes weitere Verlassen der Strecke mit weiteren 5 Sekunden belohnt.
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