Nach dem Qualifying der Formel 1 in Melbourne begann das große Rätselraten: Wie sieht morgen im Australien-Rennen das Kräfteverhältnis aus? Keiner weiß es so recht. Denn das zweite Freie Training am Freitag, in dem normalerweise die aussagekräftigsten Simulationen für den Renntrimm am Sonntag herausgefahren werden, wurde von Regenfällen heimgesucht.

Nur im dritten Training konnten so tatsächlich Longruns abgespult werden. Das allerdings im Vergleich zum eigentlichen Rennen zu einer wesentlich anderen Uhrzeit und bei deutlich abweichenden Witterungsverhältnissen mit starker Bewölkung und gegen Ende der Session sogar leichten Regenschauern.

Lewis Hamilton: Haben keinen Longrun gemacht

Vor dem dritten Saisonrennen stehen somit die Erfahrungswerte aller Fahrer bei null. "Ich habe nicht einmal einen Longrun gemacht. Morgen im Rennen fahre ich zum ersten Mal einen", stellte Mercedes-Pilot Lewis Hamilton nach dem Formel-1-Qualifying fest. Andere Teams brachten zwar Longruns durch, doch da viele unterschiedliche Programme abgespult wurden, lassen sich die Zeiten kaum vergleichen.

Doch auch ohne Long Runs dauert die Suche nach einem nicht lange. An Max Verstappen wird unter normalen Umständen wohl auch in Melbourne kaum ein Weg vorbeiführen. Der Weltmeister dominierte das Qualifying, genauso wie Red Bull die bisherige Saison. Wenn überhaupt war es überraschend, dass sein Vorsprung auf George Russell auf P2 nur 0,236 Sekunden betrug.

Hamilton landete mit knapp vier Zehnteln Rückstand auf P3. Er geht auch davon aus, dass Red Bull im Rennen den Ton angeben wird. "Man muss erwarten, dass sie mindestens eine Viertelsekunde, vielleicht sogar eine halbe Sekunde schneller sind", fürchtet der Routinier. Er hofft dennoch, dass Mercedes in den Kampf um den Sieg eingreifen kann: "Mit dem Windschatten und der Strategie können wir vielleicht zu zweit Druck ausüben."

Red Bull: Alonso gefährlicher als Mercedes

Bei Red Bull hat man die schwarzen Silberpfeile zwar im Blick, allerdings nicht als Hauptkonkurrent. Motorsport-Chef Dr. Helmut Marko machte im Interview bei ServusTV als Grund für die Qualifying-Überraschung die schnelle Reifen-Aufwärmphase bei Mercedes aus, die sich im Rennen in Form eines höheren Reifenverschleißes rächen könnte.

Die größte Gefahr geht laut ihm von jenem Fahrer aus, der von P4 startet. "Ich glaube noch immer, dass Fernando Alonso auf die Renndistanz der Stärkere ist. Wenn der Start normal verläuft, ist das gut für uns. Denn Mercedes sollte im Rennen nicht so schnell sein und könnte dann den Alonso aufhalten. Das gibt uns ein Polster", erwartet er.

Der Aston-Martin-Pilot selbst ist schon auf Angriff getrimmt. "Ich fühle mich zuversichtlich für morgen. Unsere Stärke ist immer noch die Longrun-Pace", so der Asturier. Aston Martin war bei den bisherigen beiden Formel-1-Rennwochenenden in Bahrain und Saudi-Arabien im Rennen die zweitschnellste Kraft hinter Red Bull und Alonso somit folgerichtig auf dem Podium. Sollten sie diese Position auch auf dem Albert Park Circuit einnehmen wollen, muss er erst einmal an den Mercedes vorbei.

Überholen ist aber, wie das Vorjahr bewies, auch auf der neuen Streckenführung des 5,278-Kilometer langen Kurses alles andere als einfach. Außerdem ist Topspeed keine Stärke des Aston Martins, an der Geschwindigkeitsmessung fehlten am bisherigen Formel-1-Wochenende in Australien etwa zwei Km/h auf den Mercedes.

Formel 1 Australien morgen: 1-Stopp-Strategie alternativlos?

Es müsste also womöglich über die Strategie funktionieren. Die ist in Melbourne aufgrund des relativ niedrigen Reifenverschleißes nicht sehr facettenreich. Pirelli geht von einer 1-Stopp-Strategie mit dem Hard- und Medium-Reifen aus. Das Idealszenario des Reifenherstellers sieht einen Start auf den Mediums vor, gefolgt von einem Reifenwechsel zwischen Runde 17 und 23. Soft-Hard ist auch möglich, soll aber etwas langsamer sein und erlaubt im ersten Stint etwa zwei Runden weniger Spielraum.

Bis zum Rennen sollen die Temperaturen im Vergleich zum Qualifying der Formel 1 heute wieder wesentlich ansteigen. 18 Grad Lufttemperatur werden erwartet. Zum Vergleich: Heute wurden 15 Grad gemessen. In Kombination mit klarem Himmel anstelle des bedeckten und zweitweise regnerischen Samstagswetters, sind das diametral andere Bedingungen. Graining wird deshalb wohl kein Faktor sein, dafür allerdings potenziell ein allgemein höherer Verschleiß.

Red-Bull-Teamboss Christian Horner sagte im Interview bei SkyF1: "Der Mercedes hat heute unter diesen Bedingungen gut funktioniert. Aber das ändert sich im Moment laufend. Ich denke, die Temperaturen sind so kalt und die Reifen so sensibel, dass zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Autos gut performen." Heißt im Umkehrschluss: Wie die Reihenfolge im Australien-GP tatsächlich aussieht, werden wir erst am Sonntag erfahren.