Die Formel 1 2022. Eine nahezu perfekte Saison für Red Bull Racing. Beide WM-Titel gewonnen, Siegrekorde en Masse eingefahren, für den Großteil der Saison das schnellste Auto im Feld gehabt. Selbst der Tod von Firmengründer Dietrich Mateschitz und der Ärger um die Budgetcap-Strafe konnten das Gesamtbild nicht trügen. Eigentlich könnte die Red-Bull-Welt aus sportlicher Sicht kaum besser aussehen. Eigentlich.

Es bedurfte schon einer ganzen Menge Kreativität, um einen Weg zu finden, der diesen Saisonabschluss für das Team noch negativ überschattet. Sie haben es dennoch geschafft. Red Bull konnte sich nur selbst schlagen - hat es aber so lange es um die beiden WM-Titel ging, so gut wie nie getan. Das geschah erst jetzt, auf den Schlussmetern beim vorletzten Saisonrennen in São Paulo, als Max Verstappen seinem in der Vergangenheit von außen betrachtet stets treuen und hilfsbereiten Teamkollegen Sergio Perez den angeordneten Platztausch verweigerte.

Bäm.

"Ich habe meine Gründe genannt." - Max Verstappen

"Das zeigt, wer er wirklich ist." - Sergio Perez

Ist Verstappen kein Teamplayer? Abwarten.

Die Funksprüche von Sergio Perez und Max Verstappen sprachen Bände. Und ließen die Formel-1-Welt binnen weniger Sekunden nach der Zieldurchfahrt aufhorchen. Der erste Saisonsieg von Mercedes, der Debüterfolg von George Russell, all das rückte sofort in den Hintergrund. Die große Frage, die allen auf den Lippen brannte, lautete auf einmal: War das wirklich das wahre Gesicht des Max Verstappen? Ist er kein Teamplayer? Und natürlich die große Frage, der sich alle Weltstars im Sport, allen voran Formel-1-Piloten, stellen müssen: Wie viel Egoist muss ein Rennfahrer sein?

Gleich vorweg: So lange Max Verstappen sich weigert, seine im Funk zitierten Gründe öffentlich zu nennen, werden wir auf all diese Fragen keine hundertprozentige Antwort geben können. Da heißt es, wie aus unseren MSM LIVE-Sendungen gewohnt: #Abwarten. Zwei Aspekte verrieten die 71 Runden in Interlagos aber auf jeden Fall: Auch als zweimaliger Formel-1-Champion hat sich Verstappen nicht allzu sehr verändert. Er gibt im Zweikampf gegen Lewis Hamilton immer noch nicht nach. Das hat die Berührung bewiesen, die beider Siegchancen begrub. Er sagt sogar offen: "Ich würde es wieder so machen." Der "Bad Boy" steckt also immer noch in ihm. Ein Begriff, den er vor einigen Jahren selbst im Exklusivinterview für unser Printmagazin für sich als Bezeichnung auserkoren hat.

Das Team betonte nach einer spontanen Aussprache wenige Minuten nach Rennende: Alles geregelt, Verstappen wird in Abu Dhabi alles dafür tun, dass Perez den Vizetitel holt. Was auch immer das bedeuten mag. Und ganz ehrlich gesagt: Wen auch immer das interessieren mag. Ja, das sind harte Worte. Fast schon so hart wie jene von Verstappen im Funk. Und ja, zu einem perfekten Saisonabschluss gehört für das Team der allumfängliche Erfolg mit den Plätzen 1 und 2 in der Fahrer-WM. So viel Teamplayer müsste man eigentlich erwarten können.

Formel 1: Schluss mit dem Teamorder-Gebettel!

Doch andererseits geht mir das Gebettele und Gejammere im Funk der zurückliegenden Grands Prix schon ein wenig auf die Nerven. Schon zuletzt fragte Sergio Perez nach einem Platztausch, in Brasilien wiederholte er dies - ebenso wie Charles Leclerc auf der anderen Seite. So viel Verzweiflung im [in Anführungszeichen] 'Kampf' um den Platz des ersten Verlierers wirkt auf mich ehrlich gesagt schon etwas peinlich.

Normalerweise heißt es seitens der Fahrer und Teams ständig: 'P2? Ist uns egal. Für uns zählen nur Siege.' Dieses Selbstverständnis gehört zu einem Mega-Star in jeder Sportart dazu. So möchte Mercedes natürlich Platz 2 gegen Ferrari holen, aber Toto Wolff betonte zuletzt mehrfach, dass sie lieber aus eigener Kraft ihren ersten Saisonsieg einfahren würden, als P2 in der Konstrukteurs-Wertung zu holen. Denn das sei der beste Weg, um im nächsten Jahr wieder um Siege und Titel zu kämpfen. So denken Serienweltmeister. Teil 1 dieses Wunsches ging in Brasilien in Erfüllung.

Verstappen ignoriert Teamorder! Was steckt dahinter? (15:37 Min.)

Ja, natürlich, für Sergio Perez, der jahrelang in nicht-siegfähigen Autos herumgefahren ist, aber auch für Charles Leclerc wäre der zweite Platz in der Fahrer-WM (ich vermeide bewusst den Begriff 'Vizeweltmeister') der jeweils größte Erfolg in ihrer Formel-1-Karriere. Und wenn sie diese Platzierung mit einer starken Leistung aus eigener Kraft einfahren, haben sie es sich verdient. Absolut. Kein Zweifel.

Gleichzeitig darf man aber auch nicht vergessen: Wollen sie dieses Ergebnis wirklich mit Teamorder einfahren? Nach so einer Saison? Die vor allem für Leclerc und Ferrari als klare Niederlage zu werten ist... Aber auch für Perez wäre es kein glorreiches Abschneiden, der von seinem Teamkollegen nach einem guten Saisonstart komplett abgekocht wurde. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wirkt das Betteln um Teamorder für WM-Rang 2 schon etwas peinlich und nicht wie etwas, das ein potenziell zukünftiger Weltmeister tun würde. Der möchte nämlich nie freiwillig der erste Verlierer sein...