George Russell darf sich endlich, nach langem Warten Grand-Prix-Sieger nennen. Auf seinem Sieg im Sprint folgte am Sonntag in Brasilien eine souveräne Vorstellung des Mercedes-Piloten, der 66 der 71 Runden in Sao Paulo anführte und mit Lewis Hamilton im Schlepptau sogar einen Doppelsieg für das Team perfekt machte.

Den ersten Sieg über die letzten Runden zu bringen ist immer eine Zitterpartie, aber das war es nicht nur für Russell, der nach einem späten Safety Car Hamiltons Druck standhalten musste. In der Mercedes-Garage ging die Angst um. Angst, dass Russells Sieg von einem Defekt zunichte gemacht werden könnte.

Ab Rennhalbzeit bemerkten die Ingenieure ein Wasserleck an Russells W13. "Wir haben das am Funk besprochen und waren uns alle einig, dass wir ihn auch ohne Wasser durchfahren lassen würden", verrät Teamchef Toto Wolff. "Es war nicht klar, ob wir es bis ans Ende schaffen würden."

Man entschied, Russell diese Informationen komplett vorzuenthalten. Erst recht, da man fürchtete, in den letzten fünf Runden in ein kritisches Fenster zu geraten. Da war Russell damit beschäftigt, seinen ersten Sieg gegen Lewis Hamilton zu verteidigen. Durchzufahren war akzeptabel - wäre Russell liegengeblieben, hätte Hamilton noch immer den ersten Sieg der Silberpfeile in der Saison 2022 retten können.

Sieg erleichtert Russell: Freudentränen auf der Auslaufrunde

Russells W13 hielt. Es ist eine große Erleichterung für den Briten, der einst 2020 bei seinem Auftritt als Ersatzfahrer für Mercedes schon fast den ersten Sieg geholt hätte, dann aber vom Pech ausgebremst wurde. Danach musste er ein weiteres Jahr bei Williams warten, und ausgerechnet nach der Beförderung ins Werksteam stürzte dieses 2022 ab.

Russell musste den ersten Sieg im Ziel erst einmal verarbeiten, Foto: LAT Images
Russell musste den ersten Sieg im Ziel erst einmal verarbeiten, Foto: LAT Images

Im 81. Rennen darf Russell endlich feiern. Als erster aus dem Mercedes-Juniorprogramm ist er ein GP-Sieger. "Ich war überwältigt davon, wie schnell ich nach dem Überfahren der Linie zu heulen begonnen habe", gesteht er. "Raus aus Kurve zwei sind die Tränen schon geflossen."

In den 71 Runden davor gab es keine solchen Emotionen für ihn. "Ich denke, wenn du einfach so an die Sache rangehst, dass du alles richtig machst und in einen Rhythmus kommst, dann kannst du das Rennen gewinnen", beschreibt Russell. "Aber ich wusste, mit Lewis neben mir und mit Max [Verstappen] im Rückspiegel, dass es kein lockeres Rennen werden würde."

Russell übersteht Hamilton-Druck ohne Teamorder

"Es gab einen Moment im Rennen, wo ich in meinen Spiegel geschaut habe und dort Lewis gesehen habe, und da habe ich realisiert, dass ich jetzt einfach nach vorne schauen muss", so Russell. "Nur so würde ich das Rennen gewinnen. So schnell wie möglich fahren, keine Fehler machen."

"Der Druck von Lewis war immens", beschreibt Russell die entscheidenden letzten Runden. "Als das Safety Car kam, dachte ich 'Gott, das wird ein schwieriges Ende.'" Denn Teamorder gab es keine. Russell fragte extra nach: "Ich wusste, wie wichtig der Doppelsieg für das Team war, und wenn wir nicht gegeneinander fahren, dann bringst du das Auto nach Hause. Wenn wir gegeneinander fahren, ist jede Runde wie eine Quali-Runde und muss perfekt sein, mit Risiko in jeder Kurve."

"Ich bin froh, dass ich so gewonnen habe", stellt Russell klar. Wie schon nach dem ersten Safety Car in der Startphase brachte er erneut den Restart perfekt über die Bühne und ließ gleich die schnellste Rennrunde folgen. Als das DRS freigegeben wurde, hatte er bereits mehr als eine Sekunde Vorsprung. Die konnte er bis ins Ziel halten.

Der Brasilien-Sieg ist für Russell, aber auch für Mercedes ein Durchbruch. Zwar fühlte sich das Auto nicht unbedingt besser an, erklärt Russell, aber es ist inzwischen schnell: "Das gibt besonders Lewis und mir so viel Vertrauen. Wenn wir mit suboptimaler Auto-Performance als Team so etwas abliefern können - wer weiß, was wir schaffen, wenn wir es in ein besseres Fenster bekommen."