Matchball Max Verstappen heißt es erneut in Japan. War es am vergangenen Wochenende noch eher unrealistisch, so sind Verstappens Chancen, den zweiten WM-Titel seiner Formel-1-Karriere am Sonntag in Suzuka klarzumachen, diesmal um einiges realistischer. Doch Ferrari steht einmal mehr im Weg. Ein WM-Comeback mag für Charles Leclerc nicht mehr realistisch sein, doch es geht um Ruhm und Ehre. Oder Ehrenrettung.

Verstappen, Leclerc und Carlos Sainz waren im Qualifying am Samstag nur durch 57 Tausendstel getrennt. Die Entscheidung in Japan wird aber vom Start bis zum Ende vom Wetter beeinflusst. Regen entwertete beide Freitags-Trainings, und nur die 60 Minuten FP3 am Samstagmorgen haben Aussagekraft. Wer ist also Favorit morgen im Rennen? Motorsport-Magazin.com analysiert.

Last-Minute-Longruns machen Japan schwierig

Am Samstagvormittag rückte der Großteil des Feldes in den ersten 30 Minuten des 3. Trainings zu den verspäteten, üblicherweise im FP2 gefahrenen Longruns aus. Am Ende ergab das jedoch ein durchwachsenes Bild. Carlos Sainz führte die Tabelle auf dem Soft-Reifen deutlich an, Esteban Ocon lag auf dem Medium knapp vor Charles Leclerc. Red Bull war nirgends zu finden.

Das liegt jedoch an unterschiedlichen Programmen. Mehr als sonst am Freitag entfernten sich die Teams bei ihren Longrun-Fahrplänen voneinander. Ferrari fuhr direkt zu Beginn des Trainings auf neuen Reifen, wie auch die meisten anderen Teams. Nur Red Bull und Williams eröffneten die Session mit Vorbereitungsrunden, damit die Fahrer sich einschießen konnten, und fuhren ihre Longruns dann auf diesen gebrauchten Reifen.

Wertlos sind die Runden allerdings nicht unbedingt. Die Ferraris trugen auf ihren Runden zu Beginn sehr tief an, konnten die Pace aber nicht halten. Über seine elf Umläufe verteilt rutschte Sainz auf dem Soft langsam von 1:36,3 bis 1:37,6 ab, Leclerc über elf Runden auf dem Medium von 1:36,2 bis 1:37,2. Verstappen hingegen fuhr sechs Runden ohne Einbruch und landete bei einem Schnitt von 1:37,5.

Ferraris anhaltendes Reifenproblem - auch mit Japan-Upgrade?

Der Reifen-Trend ist bei weitem nicht neu. Er ist viel mehr genau das, was Ferrari in den letzten Wochen Sorgen machte. Erst zuletzt in Singapur gingen Leclerc im Schluss-Sprint relativ zu Sergio Perez die Reifen aus. Der Ferrari kommt zwar schnell ins Betriebsfenster, kann aber die Temperatur nicht so gut im Rahmen halten wie der Red Bull.

In Japan brachte Ferrari einen neuen Unterboden, doch die bisherigen Anzeichen deuten nicht darauf hin, dass das Team in Sachen Reifenmanagement wieder zur alten Stärke vor der Sommerpause zurückgefunden hat. Denn auch im Qualifying scheiterten Leclerc und Sainz daran, Vorder- und Hinterreifen über eine ganze Runde am Limit im Arbeitsfenster zu halten.

Die Überhitzung der Hinterreifen entschied wohl das Qualifying. Weder bei Leclerc noch bei Sainz gab der Hinterreifen am Ausgang der letzten Schikane noch genug her. Die abschmierende Hinterachse spielte im Hundertstelkrimi also eine kritische Rolle.

Wetter-Kompromiss im Japan-GP

In Japan das richtige Setup zu finden ist 2022 auch ohne Reifenprobleme schwierig. Die Strecke setzt sich zusammen aus Vollgas-Passagen und aus Kurven, die nach viel Abtrieb verlangen. Die Balance zu definieren ist schon schwierig genug, wenn man alle drei Trainings zur Verfügung hat. An diesem Wochenende gab es aber nur ein Training, auf einer "grünen" Strecke mit wenig Gummiabrieb, die sich im Verlauf des Samstages schnell änderte. Weniger Gummiabrieb bedeutet weniger Grip, und mehr Beanspruchung der Reifen.

Und am Sonntag könnte es wieder regnen. Nicht garantiert - den letzten Prognosen zu schließen steigt die Regenwahrscheinlichkeit im Rennverlauf von 20 auf 70 Prozent. Wenn es regnet, möchte man erst recht Abtrieb auf dem Auto haben, um mit den rutschigen Bedingungen besser zurecht zu kommen. Mercedes etwa akzeptierte nach Einbezug aller dieser Fakten auch ein unterdurchschnittliches Qualifying mit dem High-Downforce-Flügel, um im Rennen mehr Abtrieb fahren zu können.

"Ehrlich gesagt sind wir für morgen keine großen Kompromisse eingegangen", meint hingegen Charles Leclerc. "Es war sehr schwierig, das Auto für das Qualifying auf den Punkt zu bringen, nachdem wir nur FP3 hatten, aber ich denke, wir haben einen guten Job gemacht."

Max Verstappen tut sich in Suzuka mit der Setupfindung schwer, Foto: LAT Images
Max Verstappen tut sich in Suzuka mit der Setupfindung schwer, Foto: LAT Images

Diese Detailarbeit gestaltete sich bei Red Bull schwieriger, weil sich Verstappen mit der Strecke in Suzuka schwerer tut: "Ich habe immer das Gefühl, dass ich hier für das Rennen und für das Qualifying unterschiedliche Dinge möchte, jedes Jahr, und das gilt auch im Nassen. Das macht noch etwas, das ich vom Auto will. Also ist es für mich vielleicht etwas schwieriger."

Bei der Nachfrage nach Detail gibt sich Verstappen geheimnisvoll. "Ich hoffe, die Pole ist kein schlechtes Zeichen, Ferrari hatte schon viele davon", bleibt Dr. Helmut Marko gegenüber 'ServusTV' vorsichtig. "Wir haben auch, falls es regnet, eine Abstimmung gewählt, die sowohl im Trockenen als auch im Regen schnell sein sollte. Und mit Max als spezialisiertem Regenfahrer haben wir keine Bedenken."

Verstappen: Perfektes Rennen bei schwierigen Bedingungen?

Verstappen selbst kündigt jedenfalls an: "Wir brauchen ein perfektes Rennen, damit wir morgen gewinnen können." Zu viele Unsicherheiten bei Setup und Wetter spielen hinein, um einen sicheren Sieger aus den Top-4 zu prognostizieren.

Nur dürfte es hier wieder bei den Top-4 bleiben. Nichts von dem, was Mercedes in Japan bislang zeigte, legt die Silberpfeile als Siegkandidaten nahe. Im Regen sahen sie am Freitag dank Reifen-Vorteil besser aus, als sie waren. Der High-Downforce-Flügel resultierte im Qualifying in einem unterirdischen Topspeed, aufgrund dessen sich Lewis Hamilton und George Russell auf einer Runde im Kampf gegen Alpine wiederfanden. Beide Fahrer äußerten starke Zweifel daran, ob mehr als die Plätze fünf und sechs möglich sind.

Bleibt es trocken, rechnet Pirelli mit einem Zweistopp-Rennen mit einer Kombination aus Soft und Medium, eventuell auch mit Hard. Eine Einstopp will man auch nicht ausschließen. Das gilt für einen normalen Rennverlauf. Sollte der Regen wie vorhergesagt während dem Rennen kommen, dann kann alles passieren. Und dann braucht Max Verstappen wohl auch wirklich das perfekte Rennen, um den Titel klarzumachen.

Max Verstappen ist Formel-1-Weltmeister, wenn...

VerstappenLeclercPerez
P1 + FL--
P1max. P3 + FL-
P2 + FLmax. P5max. P4
P2max. P5 (ohne FL)max. P4 (ohne FL)
P3 + FLmax. P6max. P5
P3max. P7 + FLmax. P6 + FL
P4 + FLmax. P8max. P7
P4max. P8 (ohne FL)max. P7 (ohne FL)
P5 + FLmax. P9max. P8
P5max. P9 (ohne FL)max. P8 (ohne FL)
P6 + FLmax. P10max. P9
P6keine Punktemax. P9 (ohne FL)
schlechter als P6keine Titelentscheidung